Trotz der von der Fed im Dezember eingeläuteten Zinswende hat sich die Europäische Zentralbank (EZB) Ende Januar dazu entschlossen, den Leitzins nicht anzuheben. Da die europäische Inflationsrate noch weit von der – von der EZB gewünschten – Zwei-Prozent-Marke entfernt ist, ist eine weitere Lockerung der Geldpolitik zu erwarten. Gastkommentar von Stephan Gawarecki, Dr. Klein
Die Gründe für die schwache Entwicklung der Inflation sind vor allem in den niedrigen Ölpreisen, in den konjunkturellen Problemen von Schwellenländern wie Russland und Brasilien, dem nachlassenden Wirtschaftswachstum in China, in Schwankungen an den Finanzmärkten und in den geopolitischen Krisen zu sehen. Bisher haben sich Inflation und Konjunktur trotz des umfangreichen Anleihenkaufprogramms der EZB, mit dem sie seit März 2015 Milliarden in die Eurozone pumpt und das im Dezember um sechs Monate bis März 2017 verlängert wurde, nicht wie erhofft entwickelt.
Im Dezember lag die Inflation bei lediglich 0,2 Prozent, im Januar bei 0,4 Prozent – und damit unter dem Ziel von zwei Prozent. Im Dezember war die EZB in ihrer Prognose für das Gesamtjahr 2016 noch von einer Inflation in Höhe von einem Prozent ausgegangen, allerdings wurde dabei noch ein wesentlich höherer Ölpreis zu Grunde gelegt.
Weitere Lockerung der Geldpolitik wahrscheinlich
Auch die Erwartungen für das Wirtschaftswachstum für 2016 in der Eurozone wurden auf 1,7 Prozent nach unten angepasst. Das sind 0,1 Prozentpunkte weniger als noch im Herbst. Die Entwicklung wird weiterhin positiv eingeschätzt, allerdings könnten das globale Umfeld sowie der schwache Welthandel den Aufschwung beeinträchtigen. Die globale Wachstumsprognose liegt bei 3,4 Prozent für 2016 und 3,6 Prozent für 2017.
EZB-Chef Draghi hat für die nächste EZB-Sitzung am 10. März eine weitere Lockerung der expansiven Geldpolitik in Aussicht gestellt sowie eine Überprüfung der bisherigen Maßnahmen angekündigt. „Sollte die Inflation auf Dauer niedrig bleiben, so ist eine viel stärker konjunkturfördernde Politik erforderlich, um das zu ändern“, so Draghi.
Eine Fortsetzung der strukturellen Reformen in den Volkswirtschaften in der Eurozone ist essentiell, um bessere Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen und die Staatsdefizite zu reduzieren. Draghi hatte erst in der letzten Woche vor dem Europäischen Parlament in Straßburg gesagt, dass ohne die EZB-Politik mit ihren milliardenschweren Anleihenkäufen die Euro-Zone 2015 in eine Deflation gerutscht wäre. Draghi spielt bei der nächsten Sitzung für die Ausweitung der Anleihenkäufe in die Karten, dass ausgerechnet ihr schärfste Kritiker, Bundesbank-Chef Jens Weidmann, aufgrund des sog. Rotationsprinzips nicht mitstimmen wird.
Ob es tatsächlich dazu kommt, ist in großem Maße von den dann überarbeiteten Wirtschaftsprognosen abhängig, die erstmals bis 2018 reichen sollen. Senkt die EZB ihre Prognose für die Inflation der kommenden Jahre, ist eine Lockerung der Geldpolitik wahrscheinlich. Neben einer zusätzlichen Ausweitung der Anleihenkäufe wäre dann ein noch höherer Strafzins denkbar, den Banken für ihre Einlagen bei der Notenbank zahlen müssten. Aktuell liegt dieser bei minus 0,3 Prozent.
Brexit-Gefahr sorgt für Unsicherheit
Zusätzliche Unsicherheit verursacht der geplante Volksentscheid der Briten über einen Ausstieg aus der EU. Seit Anfang November wurde das Pfund im Vergleich zum Euro um rund fünf Prozent abgewertet und hat auch gegenüber dem Dollar nachgegeben. Rational betrachtet sollten die Briten aufgrund erheblicher Risiken und hoher Kosten in der EU verbleiben. Aber die für Entscheidung für oder gegen einen Brexit ist eher emotional. Aus diesem Grund hofft der britische Premierminister David Cameron auf möglichst viele Zugeständnisse der EU auf dem EU-Gipfel übernächste Woche, um die Briten noch zum Bleiben zu bewegen.
Der Ausstieg der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas wäre nicht nur ein europapolitischer, sondern auch ein wirtschaftlicher Schock. Aktuell ist das Leistungsbilanzdefizit von Großbritannien mit vier Prozent der Wirtschaftsleistung bedenklich hoch. Sollten tatsächlich ausländische Investoren in großem Stil ihr Geld abziehen, so könnte dies eine schwere Wirtschafts- und Finanzkrise auf der Insel als Folge haben.
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Bereits jetzt drückt die Ungewissheit vor dem Referendum das Wirtschaftswachstum um rund einen Viertelprozentpunkt. Der Ausstieg der Briten könnte zusätzlich eine negative Signalwirkung für weitere Länder haben, da in einer Reihe von Volkswirtschaften die Europa-Skepsis wächst.
Anhebung des Leitzinses in den USA praktisch ohne Auswirkungen in Europa
Mit ihrer ersten Zinserhöhung seit fast zehn Jahren hatte die Fed im Dezember in den USA die erwartete Zinswende eingeläutet. In der jüngsten Ratssitzung Ende Januar wurde aber auf ein erneutes Drehen an der Zinsschraube verzichtet. Zudem hat Fed-Chefin Janet Yellen die Aussicht auf eine Zinserhöhung im März erheblich gedämpft, aber nicht ausgeschlossen.
Man wolle beobachten, wie sich die schwächere Weltwirtschaft, der starke Dollar, die Inflationsrate und die Arbeitslosenzahlen entwickeln. Sollte die US-Konjunktur in den USA deutlich weniger wachsen als erwartet, könnte der gerade eingeschlagene Zinserhöhungskurs vorzeitig beendet werden.
In Europa sinken die Zinsen derweil weiter. Seit der letzten EZB-Sitzung am 21. Januar ist das Zinsniveau noch einmal um rund zehn Basispunkte gesunken, so dass die Bestkonditionen für zeuhnjährige Annuitätendarlehen bei rund 1,1 Prozent liegen.
Stephan Gawarecki ist Vorstandssprecher des Finanzdienstleisters Dr. Klein, Lübeck.
Foto: Dr. Klein