Der Ende 2019 von der Europäischen Kommission vorgestellte Green Deal ist ein Konzept mit dem Ziel, bis 2050 in der Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren und somit als erster Kontinent klimaneutral zu werden. In den umfangreichen Maßnahmen, die hierzu vorgesehen sind, kommt dem Finanzsektor eine wesentliche Rolle zu. Nachhaltigkeitsthemen sollen zukünftig stark in die Entscheidungsprozesse von Investitionen und Finanzierung einbezogen werden. Als Orientierungsrahmen zur Zielerreichung dient nach der Vorstellung der EU-Kommission ein hochkomplexes Verordnungssystem zur Nachhaltigkeitsthematik.
Mit der „Taxonomie-Verordnung“ hat die EU-Kommission ein Klassifizierungssystem für wirtschaftliche Aktivitäten geschaffen, die nach wissenschaftlichen Kriterien als nachhaltig eingestuft werden. Sie definiert sechs gemeinsame Nachhaltigkeitsziele, die in der EU erreicht werden sollen: „Klimaschutz“, „Anpassung an den Klimawandel“, „Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen“, „Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft“, „Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung“ und „Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme“. Eine Aktivität gilt gemäß Taxonomie als nachhaltig, wenn sie eines dieser sechs Taxonomie-Ziele wesentlich fördert, kein anderes Taxonomie-Ziel verletzt und bestimmte Mindeststandards bei Menschen- und Arbeitnehmerrechten einhält. Mithilfe dieses Systems können grüne Anlageprodukte definiert werden, die komplett oder zu einem gewissen Mindestanteil in Taxonomie-konforme Aktivitäten investieren, um Kapitalströme anhand von Nachhaltigkeitsaspekten zu lenken.
Die „Offenlegungsverordnung“ regelt die Berichtspflichten über nachhaltige finanzielle Wirtschaftsaktivitäten. Aus ihr leitet sich gleichfalls die Einteilung von nachhaltigen Anlageformen in unterschiedliche Kategorien ab. So werden nachhaltige Investitionen in „hellgrüne“ und „dunkelgrüne“ Produkte eingeteilt. Als ökologisch nachhaltig, „dunkelgrün“, gelten Produkte, wenn sie im Sinne der Taxonomie-Verordnung eines der sechs Umweltziele direkt fördern und die anderen genannten Bedingungen einhalten. Sie stellen eine Art „Goldstandard“ im Bereich der Nachhaltigkeit dar. Kein Wunder, dass Asset Manager versuchen, ihre nachhaltigen Produkte in die beiden „grünen“ Kategorien nach der Offenlegungsverordnung einzuordnen, wenn möglich sogar in den Goldstandard.
Genau an dieser Stelle taucht ein Begriff im Markt auf, der vor einigen Jahren nur einer Gruppe von Experten bekannt war: „Greenwashing“. Mit dem Begriff ist im Bereich des Kapitalmarkts gemeint, dass Produktanbieter zum Zweck der Maximierung des Profits gegenüber Anlegern unzureichende oder sogar falsche Information über den Inhalt des Produkts machen. Greenwashing täuscht den Anleger damit über die Erfüllung seiner Anlageziele abseits der erwarteten Rendite. Seine herkömmliche Renditeerwartung mag durch ein „gegreenwashtes“ Produkt ohne Weiteres erfüllt werden: Finanzielle Nachteile drohen ihm durch Greenwashing nicht.
Die heftig geführte Diskussion über Greenwashing überdeckt einen anderen, in die gegenteilige Richtung laufenden Aspekt: Es gibt derzeit fast keine Produkte, die völlig der Taxonomie-Verordnung genügen. Zwar ließen sich solche Produkte bei Konzentration auf direkte Umweltinvestitionen wie beispielsweise Windkraft oder Solarenergie auf den Weg bringen. Nach derzeitiger Prognose kann die wachsende Nachfrage jedoch nicht bedient werden. Umso kritischer ist der Frage nachzugehen: Wer sind die Initiatoren der derzeit bereits im Markt angebotenen Produkte? Und wie werden „grüne“ Produkte voraussichtlich platziert werden?
An dieser Stelle kommt die erweiterte Form der Geeignetheitserklärung ins Spiel. Finanzprodukte mussten schon immer den Anlagezielen des Kunden entsprechen. Dieser soll seine Risiken kennen und die Folgen der Investition müssen für ihn tragbar sein. In Zukunft ist zusätzlich nach seinen Nachhaltigkeitspräferenzen zu fragen. Der Kunde selbst entscheidet über den von ihm gewünschten Grad an Nachhaltigkeit. Ein Produkt in der Angebotspalette des Beraters kann mit den Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden übereinstimmen, muss es aber nicht. Sollten die Kundenpräferenzen zu den Berater-Angeboten nicht passen, so muss der Berater dem Kunden die Abweichungen erklären. Danach kann der Kunde entscheiden, ob er seine Nachhaltigkeitspräferenz im Sinne der Produkte, die der Berater anbietet, ändern möchte.
Ein guter Verkäufer hat diese Situation im Vorfeld strategisch antizipiert. Deshalb könnte er versucht sein, die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen im Sinne seines Produktangebotes zu steuern. Es besteht damit das Risiko, dass der Anleger über die Abfrage seiner Nachhaltigkeitspräferenz sein (vermutlich regelmäßig vorrangiges) Rendite- oder Sicherheitsziel aus den Augen verliert, etwa wenn sich Risiken für den Bestand des investierten Kapitals aus der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Emittenten ergeben.
Zeiten, in denen Produkte eher monothematisch entwickelt und vermarktet wurden, gab es viele. Man denke an die Zonenrandförderung in den siebziger Jahren, Sonderabschreibungen für den Aufbau der neuen Bundesländer oder auch die Tonnagesteuer bei Schiffsbeteiligungen.
Dabei standen in der Bewerbung dieser Produkte regelmäßig steuerliche Aspekte im Fokus, während sie trotz des regelmäßigen Bestehens eines Totalverlustrisikos immer wieder auch als sichere Produkte zum Zweck der Altersvorsorge angepriesen wurden. So waren die Steuersparmöglichkeiten bei Immobilienfonds der 1990er Jahre so hoch, dass Produkte ohne eine steuerliche Verlustzuweisung in der Nähe von mindestens 80 Prozent als nahezu unverkäuflich galten.
Und so lässt sich eine neue Fehlallokationen erahnen: Wenn schnödes Steuern sparen schon Milliarden umlenkt, dann erst Recht die Rettung des Planeten. Das dürfte viele kleine oder unerfahrene Produktanbieter wenn nicht gar Hasardeure anlocken.
An dieser Stelle kann daher nicht genug darauf hingewiesen werden, dass „gut gemeint“ noch lange nicht „gut gemacht“ bedeutet. Belege wie zum Beispiel eine Erfolgsbilanz aus der Vergangenheit des Produktgebers oder Informationen über die bisherige Arbeit des Managements sind damit weiterhin von ganz zentraler Bedeutung für eine Anlageentscheidung. Hehre Ansprüche dürfen keine Plausibilität aushebeln. Hier sind Berater und Anleger gleichermaßen gefragt.
Hans Peter Wolter ist Mitglied der Obmannschaft im DIN-Ausschuss „Finanzdienstleistungen für den Privathaushalt“ sowie Berater und Aufsichtsrat verschiedener Finanzdienstleistungsunternehmen. Jochen Strohmeyer ist Sozius der auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisierten Kanzlei MZS Rechtsanwälte, Düsseldorf. Beide sind Mitglieder im Beirat der Vereinigung zum Schutz für Anlage- und Versicherungsvermittler (VSAV).