Energiewende und europäische Wirtschaftskrise haben auch den Stromkonzernen zugesetzt. Nach Ansicht des Frankfurter Vermögensverwalters Mainfirst macht es aber wieder Sinn, einige europäische Versorgerunternehmen näher anzuschauen.
Gastkommentar: Torsten Graf, Mainfirst
Nach langer Zeit ist es wieder interessant, europäische Versorgerunternehmen näher anzuschauen. Der Branchenindex Stoxx Europe 600 Utilities, der sich zwischenzeitlich verdoppelt hatte, ist seit Anfang 2008 nun wieder auf sein Ausgangsniveau von 2002 zurückgefallen. Damit sind auch die Bewertungen gefallen; ausgewählte Unternehmen sind unserer Meinung nach sogar attraktiv.
Der aktuelle Kurs des Energiekonzerns E.ON von 12,80 € entspricht einem Preis-Buchwert-Verhältnis (PBV) von lediglich knapp über 1. Diese Kennzahl haben wir vorsichtig gerechnet und den materiellen Buchwert zugrunde gelegt. Das bedeutet, wir haben den erworbenen „Goodwill“ von immerhin 13,2 Milliarden Euro oder 36 Prozent des Eigenkapitals mit Null angesetzt. Nach unserer Erfahrung ist ein derart berechnetes PBV von 1 oder tiefer ein guter Einstiegszeitpunkt für den mittel- bis langfristigen Investor. Allerdings müssen die drei Bedingungen erfüllt werden, dass weiterhin Gewinne erwirtschaftet werden, eine Kapitalerhöhung auszuschließen ist und keine Insolvenz droht.
E.on mit Auffangnetz
E.on erfüllt diese Bedingungen. Die Gewinnkraft ist zwar reduziert aber weiterhin solide. Im Schnitt der vergangenen acht Jahre erzielte E.on einen freien Cash Flow von 1,6 Milliarden Euro, wobei nur das Jahr 2008 negativ ausfiel. Das entspricht einem Betrag von 0,84 Euro pro Aktie. Da die Nettoschulden infolge der ergriffenen Restrukturierung und Verkäufe kein Problem mehr darstellen, kann man unserer Meinung nach berechtigte Hoffnung auf eine Dividende von 0,70 Euro im kommenden Mai hegen, was einer attraktiven Dividendenrendite von 5,5 Prozent entsprechen würde.
Das erachten wir als schönes „Auffangnetz unter dem Aktienkurs“. Die Dividende von 0,70 Euro wäre zwar eine weitere Dividendenkürzung nach 1,10 Euro für das Geschäftsjahr 2012 und 1,50 Euro für 2010. Doch wir sind der Ansicht, für das Management führt daran kein Weg vorbei. Im Übrigen scheint sich auch der Aktienmarkt mittlerweile auf diese Größenordnung eingestellt zu haben, so dass eine Dividende in der genannten Höhe keine negative Überraschung darstellen würde.
Neben den Bewertungskennzahlen gefällt uns an E.on, dass die Bilanzsanierung praktisch abgeschlossen ist. Das Unternehmen ist eines der seltenen europäischen Versorgerunternehmen ohne Staatsbeteiligung und die internationale Expansion in aussichtsreiche Märkte wie die Türkei und Brasilien kommt stetig voran. Des Weiteren haben wir im Versorgersektor eine positive Einstellung gegenüber Iberdrola. Mit einem Preis-Buchwert-Verhältnis von 0,9 und einer Dividendenrendite von 7,5 Prozent ist E.ons spanischer Konkurrent sogar noch attraktiver bewertet, wobei er obendrein profitabler arbeitet und auch in puncto Cash Flow besser abschneidet. Allerdings wird dieses Bild von der Situation auf dem Heimatmarkt Spanien und der Verschuldung getrübt.
Vorbehalte haben wir dagegen bei E.ons Ruhrgebietsnachbar RWE und EdF aus Frankreich. Beide sind nach unserer Analyse sowohl bei Bewertung als auch den qualitativen Faktoren weniger attraktiv. Hier missfällt uns auch der bestimmende Einfluss der staatlichen beziehungsweise kommunalen Aktionäre.
Autor Torsten Graf leitet den Mainfirst Classic Stock Fund bei Mainfirst in Frankfurt.
Foto: Mainfirst