Nach der reflexhaften Reaktion der Märkte auf die Entscheidung der britischen Bevölkerung, aus der Europäischen Union (EU) auszutreten, könnten längerfristige Folgen für anhaltende Unsicherheit sorgen. Gastkommentar von Dr. Michael Hasenstab, Franklin Templeton
Meiner Meinung nach ist es wichtig, das Ergebnis des Brexit-Referendums unter zwei Gesichtspunkten zu betrachten: erstens die dauerhaften Effekte, die es auf Großbritannien, Europa und die Weltwirtschaft haben dürfte, und zweitens die eher vorübergehenden Faktoren.
Auf längere Sicht gesehen ist das Abstimmungsergebnis für die britische Wirtschaft, deren Handel mit Europa mehr als 50% des gesamten globalen Außenhandels ausmacht, eindeutig von Nachteil. Zudem wird es für Großbritannien sehr schwierig werden, Freihandelsabkommen zu vereinbaren, die den für EU-Mitglieder geltenden Handelsarrangements entsprechen. Auswirkungen wird es auf die Mobilität von Arbeitskräften geben – und auch auf den Finanzsektor in London.
Der breite politische Wille schwindet
Bedeutendere Folgen für Europa aber sind zu erwarten, wenn das Ergebnis ein Anzeichen für eine zunehmende populistische und nationalistische Stimmung in ganz Europa ist, die sich gegen die EU und das Projekt der Eurozone richtet. Im Jahr 2011 waren wir überzeugt, dass die Eurozone intakt bleiben würde – trotz der massiven ökonomischen Ungleichgewichte, der fehlenden politischen, steuerlichen und Bankenunion sowie der Unfähigkeit Italiens zu strukturellen Reformen. Wir gingen davon aus, dass diese Probleme abgearbeitet werden könnten, soweit es den unbedingten und überzeugenden politischen Willen gibt, als Union zusammenzubleiben.
Leider aber lassen der Brexit und das überraschende Ergebnis erkennen, dass dieser breite politische Wille rasch schwindet. In Zukunft wird es meiner Meinung nach weitere Referenden und mehr nationalistische Parteien geben, die sich für einen EU-Ausstieg einsetzen. Dies dürfte zu enormer Volatilität und einer schwierigen Zeit für die Eurozone führen.
Wir rechnen nicht damit, dass irgendeine dieser Folgen sofort eintritt. Mit Sicherheit muss man sie als Anleger jedoch mit einkalkulieren.
Seite zwei: Risikoassets könnten sich in den Schwellenländern erholen