Der Versicherungsmarkt ist im Umbruch. Und der Wandel setzt die Lebensversicherer gehörig unter Druck. „Der Druck komme in immer neuen Varianten“, heißt es im neuen Map-Report 938 „Bilanzrating deutscher Lebensversicherer 2023“. Wie groß der Zwang zur Veränderung ist, zeigen die Fusionen der vergangenen Monate deutlich.
In diesem Zusammenhang steigt auch die Relevanz von umfangreichen Analysen und Vergleichen. Vor allem für die Anbieter von Produkten mit langfristig garantierten Leistungen. Wer zeichnet noch Neugeschäft und wächst? Bei wem laufen die Kosten aus dem Ruder? Welcher Anbieter verfügt über ausreichende Reserven und Eigenmittel. Wie steht es um die Kapitalerträge und welche Auswirkungen hatte die Zinswende auf die Lebensversicherer?
Größe allein reicht für ein „hervorragend“ nicht immer aus
Die beste Bewertung im Rating erzielte die LV 1871, die mit 376 Punkten beziehungsweise 94 Prozent der maximal erreichbaren 400 Punkte ein „mmm+“ für hervorragende Leistungen erlangte. Für die höchste Bewertungskategorie sind 85 Prozent erforderlich. Auf Position zwei folgt die Universa mit 357 Punkten beziehungsweise 89,25 Prozent. Auf Rang drei kam die Allianz. Bemerkenswert: Von den zehn größten Anbietern im LV-Markt konnte sich außer dem Branchenprimus, der 340 Punkte beziehungsweise 85 Prozent erhielt, kein weiterer in der Spitzengruppe platzieren. Insgesamt wurde die Top-Bewertung vom Map-Report drei Mal vergeben.
Die Hannoversche führt das Feld der mit „mmm“ für sehr gute Leistungen bewerteten Unternehmen an und verfehlt mit 339 Punkten beziehungsweise 84,75 Prozent die höchste Bewertung nur knapp. Neben der Hannoverschen gingen noch elf weitere Versicherer mit einem sehr guten Ergebnis aus dem Rennen.
Die Nürnberger, WWK und Stuttgarter verfehlten die sehr gute Bewertung um bis zu zwei Prozentpunkte und führen die Liste der mit „mm“ für gute Leistungen bewerteten Unternehmen an. Mit der Benotung „gut“ wurden neben diesen drei Anbietern noch 15 weitere Versicherer ausgezeichnet.
Beitragseinnahmen weiter rückläufig
Die diesjährige Analyse zeigt, dass die Lebensversicherer im Markt weiter zu kämpfen haben. Die verdienten Bruttobeiträge beliefen sich im Jahr 2023 auf 87,67 (Vorjahr 91,36) Milliarden Euro. Nach dem regelrechten Einbruch des Vorjahres von sieben Prozent ging es erneut um vier Prozent beziehungsweise 3,68 Milliarden Euroabwärts.
„Gestiegene Lebenshaltungskosten in Verbindung mit verhaltenen Konjunkturprognosen und geopolitischer Verunsicherung wirkten sich negativ auf den finanziellen Spielraum beziehungsweise die Bereitschaft zum Abschluss eines Altersvorsorgevertrags aus“, fasst Michael Franke, geschäftsführender Gesellschafter von Franke und Bornberg und Herausgeber des Map-report, die Situation zusammen.
Keine Beitragssteigerungen bei Gros der Befragten
64 Gesellschaften (Vorjahr: 58) gelang es nicht die Beitragseinnahmen zu steigern, wovon zwölf Anbieter im Run-Off sind oder kein Neugeschäft mehr zeichnen. Acht Anbieter lagen mit bis zu drei Prozent knapp über dem Vorjahresniveau und lediglich vier Versicherer bauten die Beitragseinnahmen zwischen plus fünf und 120 Prozent aus.
Relativ betrachtet konnte die neu gegründete und erst seit kurzem am Markt agierende Signal Iduna AG ihre Beitragseinnahmen um 119,4 Prozent auf 124,2 Millionen Euro am deutlichsten steigern. Dahinter folgen BL die Bayerische mit einem Plus von 22,8 Prozent auf 617,6 Millionen Euro, die Dortmunder mit 9 Prozent auf 27,7 Millionen Euro sowie die Swiss Life mit einem Zugang von 4,9 Prozent auf 1,39 Milliarden Euro.
In absoluten Zahlen baute die Generali die Beitragseinnahmen um 158,8 Millioen Euro am stärksten aus. Mit etwas Abstand folgen auf den weiteren Plätzen BL die Bayerische (114,8 Mio. €), Signal Iduna AG (67,59 Mio. €), Swiss Life (65,3 Mio. €) und Baloise (12,0 Mio. €). Den größten absoluten Rückgang – ohne dabei Gesellschaften im Run-Off und eingestelltem Neugeschäft zu berücksichtigen – musste die Bayern-Versicherung mit einem Minus von 575,4 Millionen Euro verkraften.
Unberücksichtigt bleiben hier zudem auch die Axa mit ihrer Bestandsübertragung auf die Ager sowie Zurich Deutscher Herold ebenfalls mit einer Bestandsübertragung auf die Zurich Life Legacy.
Lichtblicke im Neugeschäft
Die Geschäftsentwicklung in der deutschen Versicherungswirtschaft war im Jahr 2023 durch das weitgehend unverändert hohe Marktzinsniveau und die hohe Inflation geprägt. Daneben sahen sich die Versicherer laut Map-Report Herausgeber Franke mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert. Zudem erzeugt die demografische Entwicklung zunehmend Druck die Digitalisierung voranzutreiben, da der Fachkräftemangel durch die rückläufigen Mitarbeiterzahlen in den Berufsbildern der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik noch verschärft wird.
Wurden im Vorjahr noch 402.291 Policen (-8,4 %) weniger als im Jahr 2021 verkauft, konnte sich der Absatz jetzt um 14.231 Verträge (0,3 %) auf 4.421.379 Policen leicht erholen. Bezogen auf die Versicherungssumme liegt das Plus um 2,7 Prozent.
Das Annual Premium Equivalent (APE) konnte diesem Trend zwar folgen, blieb aber dennoch in den roten Zahlen. Nach einem Minus von 9,9 Prozent im Vorjahr ging es zum Jahresende 2023 durchschnittlich um -0,7 Prozent bergab. Trendresistent zeigte sich das Neugeschäft nach APE hingegen bei der BL und der Signal Iduna. Die Bayerische legte insgesamt um 31,6 Prozent zu, die Signal Iduna AG kam auf 28,9 Prozent.
Die eingelösten Versicherungsscheine an Haupt- und Zusatzversicherungen nach laufendem Beitrag stiegen zum Jahresende 2023 branchenweit um 4,5 Prozent auf 3,99 Milliarde Euro. Mit hohen Zuwächsen glänzten hier die BL die Bayerische (30,9 %), die Gothaer (25,1 %) und der Versicherer im Raum der Kirchen (VRK) (22,1 %). Deutlich im Minus liegt hingegen das Einmalbeitragsgeschäft. Hier ging es um 15 Prozent nach unten, im Branchenschnitt von 20,46 auf 17,38 Milliarden Euro.
Zugmaschine Fondspolicen
Sonstige Lebensversicherungen, zu denen vor allem auch fondsgebundene Verträge (FLV) zählen, waren erneut das Zugpferd im Verkauf und wurden am häufigsten unters Volk gebracht. Mit 1.527.369 eingelösten Versicherungsscheinen war diese Produktlinie die mit Abstand absatzstärkste. Der Neugeschäftsanteil betrug 34,6 Prozent.
Die fünf erfolgreichsten Anbieter in dieser Sparte waren Generali, Allianz, Bayern-Versicherung, Debeka sowie R+V. Mit 729.462 verkauften Verträgen zeichneten die großen Fünf mit 47,8 Prozent beinahe die Hälfte des gesamten Neugeschäfts.
Rentenversicherungen kamen im Jahr 2023 mit 14,7 Prozent und 648.439 Verträgen auf den vorletzten Rang beim Neugeschäftsanteil. Im Vergleich wurden 7.006 Policen mehr als im Vorjahr abgesetzt. Die erfolgsreichsten Verkäufer kamen aus den Reihen der Allianz (96.555 Verträge), Generali (42.377 Verträge), Nürnberger (40.745 Verträge) und R+V (32.037 Verträge). Von den Gesellschaften mit einem Neugeschäft von mehr als 20.000 Policen konnten die Generali (23.321), Allianz (7.957) und R+V (6.959) das Neugeschäft im Vergleich zum Vorjahr am erfolgreichsten forcieren.
Im Segment der Risiko-Lebensversicherungen (RLV) betrug der Neugeschäftsanteil mit 774.383 verkauften Policen 17,5 Prozent. Spitzenreiter blieb hier unangefochten die Targo mit 277.526 Abschlüssen.
Storno unauffällig
Anders als vielfach befürchtet, hatte weder die Corona-Pandemie noch die Inflation und gestiegene Zinsen oder der Ukraine Krieg bisher signifikanten Auswirkungen auf die Stornoquoten. Die Stornoentwicklungen in den einzelnen Sparten waren zwar leicht steigend, „aber im Rahmen der üblichen Schwankungen“, wie Franke betont.
In der KLV lag das Storno, berechnet auf die Anzahl der Verträge, mit 1,80 Prozent geringfügig über dem Vorjahresniveau von 1,73 Prozent. Die höchste Stornoquote mit 3,39 Prozent (Vorjahr: 3,40 %) verzeichneten fondsgebundene Verträge, gefolgt von Risiko-Lebensversicherungen mit 2,98 Prozent (Vorjahr: 2,86 %).
Bei Rentenverträgen stieg das Storno mit 2,31 Prozent marginal über das niedrige Vorjahresniveau von 2,22 Prozent. Bei den Kollektiv-Versicherung fiel die Kennzahl von im Vorjahr bei 2,47 liegend auf 2,33 Prozent. Die Stornoquoten sind trotz allgegenwärtiger Krisen und globaler Unsicherheiten noch immer sehr gering und über den gesamten Bestand mit 2,55 Prozent in etwa auf Vorjahresniveau von 2,51 Prozent.
Stille Reserven werden zu stillen Lasten
Zum Jahresende 2022 brachen infolge der Zinswende die Kurse von kaum verzinsten Anleihen im Bestand massiv ein. Aus den vormals stillen Reserven in Höhe von 155,9 Milliarden Euro wurden innerhalb eines Jahres stille Lasten in Höhe von 106,8 Milliarden Euro. Zum Jahresultimo 2023 hat sich die Situation wieder etwas entspannt und die stillen Lasten sind branchenweit auf 74,7 Milliarden Euro gesunken. Das entspricht 7,30 Prozent der gesamten Kapitalanlagen, nach 10,3 Prozent im Vorjahr.
Als Folge stieg die Gesamtreserve-Quote, bei der neben den Bewertungsreserven auch die freie RfB und der Schlussüberschussanteilfonds einfließen, im Branchenschnitt von -6,19 auf -3,03 Prozent. Bei 26 Gesellschaften (Vorjahr: 17) war diese Kennzahl inzwischen wieder positiv, bei den restlichen 52 untersuchten Anbieten bewegt sich das Spektrum zwischen -0,32 (Volkswohl Bund) und -24,93 Prozent (Concordia Oeco).
Mit dem aktuellen Zinsniveau können die Anbieter in der Neuanlage wieder höhere Zinsen erzielen als für die Bedienung der Bestandsgarantien an die Versicherten notwendig ist. Da die Zinsen inzwischen wieder gefallen sind, dürfte sich die Situation bei den Bewertungsreserven weiter entspannen.
Geringeres Neugeshcäft – Risiko für die Reserven
Hier schließt sich auch der Kreis zum Neugeschäft. Denn für die Versicherer geht ein geringes Neugeschäft nicht nur mit weniger Einnahmen einher, sondern kann auch ein Risiko hinsichtlich der Reserven darstellen. Durch ein nachhaltiges Wachstum im Neugeschäft können Lebensversicherer die nötige Liquidität erzielen, um in höherverzinsliche Anlagen zu investieren. Für Anbieter, die im Vergleich zu ihrem Bestand einen hohen Anteil an Neugeschäft haben, ergeben sich Vorteile gegenüber Versicherern mit einem großen Bestand und relativ wenig Neugeschäft.
Höherer Garantiezins
Zum 1. Januar 2025 kommt die erste Erhöhung des Höchstrechnungszinses (HRZ) seit Juli 1994. Laut Franke hat die letzte Senkung des Höchstrechnungszinses im Januar 2022 auf den historisch niedrigen Wert von 0,25 Prozent hat viele Kunden abgeschreckt und deutliche Bremsspuren im Neugeschäft hinterlassen. Durch die Anpassung des Höchstrechnungszinses und die damit verbundenen Garantien könnte sich die Situation nun entspannen
„Für Anbieter bedeutet der höhere HRZ zunächst eine Entlastung in den Bilanzen. So entsteht für die Versicherer wieder ein größerer finanzieller Spielraum, wenn die erforderlichen Deckungsrückstellungen für garantierte Leistungen sinken“, meint Reinhard Klages, Analyst des map-report. Er erwartet, dass ab 2025 mehr Produkte angeboten werden, die sicherheitsorientierten Kunden einen garantierten Kapitalerhalt bieten. „Kalkulatorisch wäre sogar wieder eine 100-prozentige Beitragsgarantie möglich“ ergänzt Franke. Ob sich die Versicherer diesen Gefahren, gerade in unsicheren Zeiten, noch einmal aussetzen, bezweifeln Klages wie Franke.
Folgen auch für biometrische Tarife
Die höheren Garantiezinsen bringen den Verbrauchern nicht nur Vorteile, etwa bei klassischen Lebensversicherungen, sondern wirken sich auch positiv auf die Prämienberechnung von Risiko- und Berufsunfähigkeitsversicherungen aus. Zudem könnten die garantierten Rentenleistungen bei Policen mit flexiblen Rentenfaktoren steigen.
Die höheren Garantien geben den Produkten einen Attraktivitätsschub, was zu einer steigenden Nachfrage führen könnte, hoffen Klages wie Franke. Auch weil der Bedarf nach Lebensversicherungen weiter beste. Zwar benötigt die klassische Versicherung als langfristige Sparform noch stärkere Impulse von den Kapitalmärkten, doch mit der ersten Anhebung des HRZ seit 30 Jahren dürften Lebensversicherungen mit (reduzierten) Garantien für die Branche weiterhin relevant bleiben, erwarten die Studienautoren. „Die Versicherer scheinen durchaus froh über die Akzeptanz ihrer Produkte mit geringerer Garantie zu sein, denn dadurch besteht Spielraum für Investments mit höheren Renditechancen bei gleichzeitig geringeren Solvenzkapitalanforderungen“, so das Fazit des Map-Report.