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Martin Gräfer: Pflichtversicherung gegen Elementarschäden? Bitte keine Placebo-Police!

Foto: Die Bayerische
Martin Gräfer: "Eine Pflichtversicherung hilft im Schadensfall. Aber sie verhindert keine Katastrophe."

Statt pauschaler Hilfe für alle im Schadensfall braucht es ein System, das Verantwortung belohnt: Versicherung vor Vater Staat. Die neue Bundesregierung setzt erste Impulse. Jetzt braucht es mehr – ein starkes Gesamtkonzept aus Pflicht, Prävention und politischem Mut. Ein Gastbeitrag von Die Bayerische Vorstand Martin Gräfer.

Union und SPD haben sich auf eine große Koalition verständigt. Und sie haben sich in einem für uns Versicherer hochrelevanten Thema wohl auf eine Richtung geeinigt: Elementarschäden sollen künftig kein Randthema mehr sein.

Der kürzlich veröffentlichte Koalitionsvertrag zeigt: Jede Wohngebäudeversicherung soll künftig nur noch mit integriertem Elementarschutz angeboten werden – auch im Bestand. Eine Opt-out-Regelung wird geprüft. Erstmals denkt eine Bundesregierung das Thema ganzheitlich – und will handeln.

Das ist gut. Richtig gut sogar. Aber es wirft auch Fragen auf. Viele Fragen.
Denn: Die Richtung stimmt – aber der Weg ist noch nicht klar.

Der Wille ist da. Das Bewusstsein hoffentlich bald auch.

Der Klimawandel kommt nicht, er ist längst da. Und die Folgen sind drastisch: Jeder dritte Keller in Deutschland war laut GDV bereits von Starkregen betroffen. Überschwemmungen reißen Existenzen mit sich – nicht nur an Flüssen, sondern auch mitten in der Stadt.


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Deshalb ist es richtig, dass mehr Menschen einen Versicherungsschutz erhalten sollen. Eine Pflichtversicherung kann helfen, wenn alles andere versagt hat. Sie kann finanziell ersetzen, was verloren geht. Aber sie ist eben kein Schutzschild. Kein Rückstauventil. Kein Damm oder Rückhaltebecken.

Versicherung ersetzt keinen Hochwasserschutz

Wir bei der Bayerischen haben bereits 2021 gehandelt – mit einer klaren Haltung: Wohngebäudeversicherung gibt es nur noch mit Elementardeckung. Oder gar nicht.

Denn was bringt ein Schutz, den man sich schönrechnet? Was bringt eine Versicherung, die im Ernstfall fehlt? Genau deshalb begrüßen wir, dass die neue Regierung dieses Thema angeht – aber sie muss weiterdenken.

Eine Pflicht ohne Prävention wird teuer. Für alle. Das sehen wir gerade auch in Frankreich. Deren seit 1982 bestehendes Modell mit staatlichem Rückversicherer schützt zwar 98 % aller Haushalte, läuft seit einigen Jahren aber defizitär. Dennoch ist es ein gutes Beispiel, was funktionieren kann und was nicht.

Bürokratie: Das dickste Brett kommt erst noch

Was im Entwurf gut klingt, wird in der Praxis schnell zur Mammutaufgabe: Wer kontrolliert, ob wirklich alle versichert sind? Wer greift ein, wenn jemand keine Police hat? Und möchte der Staat wirklich auch bestimmen, was in den Versicherungsbedingungen zu regeln ist und was nicht?

Schon heute weiß die Branche nicht, wer unversichert ist. Eine Pflicht bringt also nicht nur neue Verantwortung – sondern auch immense Verwaltungslasten. Ohne zentrale Behörde ist das kaum machbar. Und selbst dann wird es kompliziert.

Opt-out: weniger Zwang, mehr Wirkung?

Gerade auch deshalb sollte man eine andere Option nicht zu schnell vom Tisch wischen: Die Opt-out-Lösung. Sie zwingt niemanden zur Versicherung – aber sie verpflichtet die Anbieter, Elementarschutz immer mit anzubieten. Wer ihn nicht will, muss aktiv widersprechen. Das erhöht die Durchdringung. Reduziert Bürokratie. Und respektiert die Entscheidungsfreiheit.

Rückversicherung? Gute Idee – aber ohne Plan

Auch die geplante (teil-)staatliche Rückversicherung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Denn Rückversicherungspreise schwanken stark – und treffen die Erstversicherer oft zu einem Zeitpunkt, an dem sie ihren Kunden längst feste Angebote gemacht haben.

Ein (teil-)staatlicher Rückhalt könnte mehr Stabilität schaffen. Doch wie genau diese Lösung aussieht, ist bisher völlig offen. Auch hier gilt: Gut gedacht. Aber noch nicht zu Ende gedacht.

Prävention statt Wiederaufbau

Am wichtigsten ist: Wir dürfen uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Weder Politik noch Bürger. Eine Pflichtversicherung hilft im Schadensfall. Aber sie verhindert keine Katastrophe.

Wir brauchen klare Vorgaben für Bauplanung. Verbindliche Maßnahmen für Risikogebiete. Und eine ehrliche Debatte über den Umbau unserer Städte. Denn es kann nicht das Ziel sein, dass es in Deutschland Gebiete gibt, in denen alle zehn Jahre ein Schaden unausweichlich ist.

Alle in der Pflicht – Verantwortung beginnt vor dem Schaden

Eines muss klar sein: Verantwortung für Schutz und Sicherheit kann nicht allein auf den Schultern der Versicherer oder der Politik lasten. Länder und Kommunen müssen vorausschauend planen, investieren und handeln – mit klaren Bauvorgaben, mit Hochwasserschutz und mit smarter Infrastruktur. Hier geben die Veröffentlichungen erste kleine Lichtblicke.

Aber auch jede und jeder Einzelne ist gefragt. Wer in Risikogebieten lebt, muss selbst Vorsorge treffen – baulich, organisatorisch und eben auch versicherungstechnisch. Es braucht einen Schulterschluss aller Beteiligten. Denn ganz gleich, ob es am Ende eine Pflichtversicherung gibt oder nicht: Der Schutz unseres Eigentums ist eine Gemeinschaftsaufgabe.

Unser Ziel muss sein: Sicherheit statt Subvention

Heute gilt oft: Wer nicht versichert ist, bekommt staatliche Hilfe und damit Geld des Steuerzahlers. Morgen sollte gelten: Wer versichert ist, bekommt Hilfe. Wer nicht, trägt bewusst das Risiko.

Nur so entsteht ein echter Anreiz, Verantwortung zu übernehmen. Und nur so kann sich der Staat langfristig aus der Rolle des Nothelfers zurückziehen.

Pflicht ist gut. Bewusstsein ist besser.

Die neue Bundesregierung hat einen Anfang gemacht. Das ist lobenswert. Aber es darf nicht beim Anfang bleiben. Was wir jetzt brauchen, ist ein Gesamtkonzept. Aus Pflicht, Prävention und politischer Weitsicht. Aus Mut, Bürokratie zu denken – aber nicht zu ersticken. Und aus der Einsicht: Es geht nicht nur um eine Police. Es geht um unser Zuhause. Und wie wir es schützen. Mit Verantwortung. Und mit Verstand.

Martin Gräfer ist Vorstandsmitglied die Bayerische

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