Als SPD, Grüne und FDP im November ihren Koalitionsvertrag vorgestellt haben, haben Sie gelobt, dass sich Maximalforderungen wie ein generelles Provisionsverbot, eine Erweiterung der BaFin-Aufsicht auf 34f-Vermittlerinnen und -Vermittler und „anderer Unsinn“ nicht durchsetzen konnten. Wie zufrieden sind Sie nach rund vier Monaten mit der neuen Bundesregierung?
Klein: Angesichts der aktuellen Entwicklung in der Ukraine und der damit fundamental verschobenen Prioritäten der Bundesregierung ist das sonst übliche „100-Tage-Resumee“ dieses Mal nur bedingt aussagekräftig. Es ist völlig verständlich, dass in den Bundesministerien Vorhaben wie die Altersvorsorgepflicht für neue Selbstständige oder die zukünftige Gestaltung der Aktienrente momentan nicht ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Aktuell geht es eher um die Unterbringung von Tausenden Geflüchteten, um ihre Versorgung und Koordination. Die Gespräche mit den für uns relevanten politischen Entscheidungsträgern deuten darauf hin, dass eher zu Beginn des neuen Jahres mit ersten konkreteren Entwürfen für die geplanten Vorhaben zu rechnen ist. Erst dann können wir beurteilen, inwiefern eine Umsetzung stimmig erfolgen wird. Kein Verständnis habe ich jedoch dafür, wenn heute immer noch die Corona-Pandemie als Grund dafür angeführt wird, dass beispielsweise das Gesundheitsministerium seine Mitwirkung an dem Gesetzentwurf zur Altersvorsorgepflicht für Selbständige noch nicht erbringen konnte. Von der Privatwirtschaft erwartet man schließlich auch, dass diese trotz der Zusatzbelastung weiter ihren Verpflichtungen nachkommt. Auch bei der Riester-Versicherung könnte man mit geringem gesetzgeberischem Aufwand zumindest absichern, dass bis zu der angestrebten größeren Reform noch ein Altersvorsorge-Angebot für die Gruppe der Geringverdiener verbleibt, bei denen die Gefahr der Altersarmut am größten ist. Hier ist die Regierung weiter zu unverzüglichem Handeln aufgefordert.
War das große Aufatmen der Branche nach der Vorstellung des Koalitionsvertrags nicht etwas voreilig? Die meisten regulatorischen Vorgaben kommen ja mittlerweile aus Brüssel, nicht aus Berlin.
Klein: Es stimmt, dass gerade die Regeln zur Berufsausübung der Versicherungs- und Anlagevermittler mehr in Brüssel als in Berlin weiterentwickelt werden. Hier stehen dieses Jahr IDD- und Mifid-II-Evaluierungen an. Dennoch ist auch hierfür der Koalitionsvertrag ein wichtiger Wegweiser. Es ist beispielsweise nicht vorstellbar, dass es in der EU an Deutschland vorbei zu einem Provisionsverbot kommt. Was die zukünftigen Rahmenbedingungen für den Beruf des Versicherungs- und Finanzanlagevermittlers betrifft, müssen wir weiterhin sehr wachsam nach Brüssel blicken. Es ist zu beobachten, dass insbesondere die europäischen Aufsichtsbehörden EIOPA und ESMA weiterhin dazu neigen, sich als Ersatzgesetzgeber ins Spiel zu bringen. Dabei erfolgt seit längerem eine intensive Fokussierung auf die Thematik der Vertriebsvergütung. Die jüngsten Konsultationen verfestigen diesen Trend. Es zeigt sich schon in den Fragestellungen häufig eine offensichtlich bestehende Voreingenommenheit. Wir sind daher gezwungen, immer wieder darauf hinzuweisen, dass wesentliche Marktregulierung nicht durch aufsichtsrechtliche Maßnahmen erfolgen kann, sondern immer einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Ein Provisionsverbot durch die Hintertür der Aufsicht ist und bleibt europarechtswidrig. Die maßgeblichen Entscheidungen zur Zukunft der privaten Altersvorsorge, der privaten Krankenversicherung oder die Frage der Aufsicht von 34f-Vermittlern werden wiederum allein in Berlin entschieden. Insoweit gibt es weiterhin Grund, den Koalitionsvertrag, der ja immer ein Kompromiss sein muss, positiv zu bewerten.
Die Aktienrente war eines der großen Wahlkampfthemen der FDP. Noch immer ist aber unklar, wie sie dauerhaft finanziert werden soll. Laut der „Süddeutschen Zeitung“ gibt es zwischen Grünen und FDP seit Wochen Reibereien wegen des genauen Zuschnitts der Aktienrente. Wie bewerten Sie das?
Klein: Auch wir nehmen war, dass es bei der Ausgestaltung der Aktienrente noch erhebliche Meinungsverschiedenheiten gibt. Die großen Fragen sind noch ungeklärt: Wer verwaltet das Geld? Worin wird investiert? Was passiert in den kommenden Jahren? Aus diesem Grund hat die Bundesregierung in ihrer jüngst veröffentlichten Haushaltsaufstellung für das Jahr 2022 die im Koalitionsvertrag vereinbarten Anschubfinanzierung in Höhe von zehn Milliarden Euro noch nicht mit einem speziell ausgewiesenen Posten berücksichtigt. Entgegen der Berichterstattung einiger Medien lässt dies jedoch keinesfalls die Schlussfolgerung zu, dass die Aktienrente damit gescheitert wäre. Zu groß wäre der Prestige-Verlust für die Ampel-Regierung. Wir gehen weiter fest davon aus, dass die Aktienrente kommen wird, sobald die großen Fragen geklärt sind. Tatsache ist aber auch, dass ein Betrag von zehn Milliarden Euro höchstens ein erster kleiner Schritt hin zur Kapitaldeckung in der gesetzlichen Rentenversicherung sein kann. Um einen signifikanten Deckungsbeitrag zu erwirtschaften, müssten erheblich höhere Summen in die Aktienrente investiert werden.
Anfang Januar wurde die Branche mit der Ankündigung der BaFin konfrontiert, die Provisionen für Lebensversicherungen künftig noch genauer unter die Lupe nehmen zu wollen. War das eine Reaktion der Behörde darauf, dass sich die neue Bundesregierung weder auf ein Provisionsverbot noch auf einen Provisionsdeckel verständigen konnte?
Klein: Es ist kein Geheimnis, dass sich Herr Dr. Grund als Verantwortlicher für die Versicherungsaufsicht für einen Provisionsdeckel stark gemacht hat. Der angekündigte Aufsichtsschwerpunkt ist daher auch eine Art Trotzreaktion auf den Koalitionsvertrag. Er liegt aber auch in einer Linie mit der Position der EIOPA, die unter ihrer neuen Chefin Petra Hielkema aus den Niederlanden – einem Land mit Provisionsverbot – unter dem Schlagwort „value for money“ ein Rahmenregelwerk für fondsgebunden Lebensversicherungen entwickeln möchte. Hier soll ein einheitliches Kostenmessungsmodell bestimmt werden, das letztendlich auf eine Festlegung von Obergrenzen hinausläuft. Die BaFin hat für die zweite Jahreshälfte die Konsultation eines Rundschreibens angekündigt, „um Aufsichtsstandards für eine angemessene Vertriebsvergütung bei Lebensversicherungsunternehmen zu etablieren“. Ihre vermeintliche Zuständigkeit konstruieren sich die Aufseher, indem sie die Kosten als Teil des Produktfreigabeverfahrens des Versicherers definieren und hier bei Abweichungen gegenüber den Durchschnittswerten Interessenkonflikte vermuten. Sie sehen, man ist bereit, gewisse Verrenkungen vorzunehmen, um in den Driver-Seat zu gelangen. Es ist der erneute Versuch, Ersatzgesetzgeber zu werden, gegen den wir uns entschieden zu Wehr setzen. Es ist enttäuschend, dass die Aufsicht offenbar nicht bereit ist zu akzeptieren, dass maßgebliche Eingriffe in die Vergütungsgestaltung einen gesetzgeberischen Akt verlangen. Dieser existiert nicht.
Der Bundesverband deutscher Versicherungskaufleute (BVK) empfiehlt, stärker qualitative Elemente bei der Vertriebsvergütung zu berücksichtigen, wie die Kundenzufriedenheit und die Weiterempfehlungsquote von Vermittlern. Auch sollten Zusatzvergütungen nicht allein an das Erreichen bestimmter quantitativer Ziele geknüpft werden. Halten Sie das für sinnvoll?
Klein: Wir sehen bereits heute, dass qualitative Elemente wie etwa niedrige Storno- und Beschwerdequoten bei unseren Mitgliedsunternehmen Einzug gefunden haben. Ob hier bei der Ausschließlichkeit noch Nachholbedarf besteht, kann ich nicht beurteilen. Moderne Vermittlungsvergütungsmodelle setzen schon seit längerem nicht auf den kurzfristigen Erfolg möglichst vieler Abschlüsse. Bei Stornohaftungszeiten von fünf bis acht Jahren ist ein langfristiger Erfolg nur mit qualitativ hochwertiger Beratung zu erreichen. Auch die geringe Fallzahl unserer für sämtliche Branchenunternehmen offenen Schlichtungsstelle für gewerbliche Versicherungs-, Anlage- und Kreditvermittlung belegt Jahr für Jahr aufs Neue, dass kein systematischer Missstand in der Beratung vorliegt.
Ein wichtiges Thema für Vermittler ist derzeit die Nachhaltigkeit. Investitionen in neue Atomkraft- und Gaswerke sollen in der Europäischen Union unter bestimmten Auflagen als nachhaltig gelten. Ökoworld-Chef Alfred Platow hat das als „politisch gesteuertes Greenwashing“ bezeichnet. Mit Atomkraft und Gas verliere die Taxonomie gänzlich ihre Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Hat er recht?
Klein: Ganz so weit möchte ich nicht gehen. Grundsätzlich besteht die Idee der Sustainable-Finance-Strategie der EU darin, die europäischen Geldströme mehr in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken, was wir natürlich begrüßen. Wo man sich hingegen streiten kann, ist bei der Frage nach dem Grad des staatlichen Eingriffs in die soziale Marktwirtschaft. Wie weit soll die Richtungsvorgabe seitens des europäischen Gesetzgebers gehen? Nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine und das sich dadurch aufzeigende massive Problem der Abhängigkeit von russischen Rohstoffen zeigt beispielsweise, wie schnell sich Rahmenbedingungen ändern können. Auf einmal wird in mehreren europäischen Ländern wieder darüber diskutiert, ob Atomkraft – wenn auch als Brückentechnologie – nun doch noch länger für einen Teil der sicheren Energieversorgung in Betracht kommen soll. Belgien hat bekanntlich das Abschalten mehrerer Atomkraftwerke angesichts der Ukraine-Krise sogar um zehn Jahre nach hinten verschoben. Die Europäische Union ist eben eine Gemeinschaft von 27 Staaten mit 27 unterschiedlichen Ansichten – auch in Bezug auf Gas und Atomkraft. Die Taxonomie ist daher ein Kompromiss. Klar ist aber auch: Es wird definitiv nachhaltige Produkte mit und nachhaltige Produkte ohne einen Anteil von Gas- und Atomkraft geben. Die Bürger werden auswählen können, welche Produkte sie kaufen möchten. Dafür brauchen sie qualifizierte Berater, die sie kompetent in der Auswahl unterstützen.
Sie haben in einem offenen Brief an die Europäische Kommission die Verschiebung des Inkrafttretens der Abfragepflicht von Nachhaltigkeitspräferenzen gefordert, das für August geplant ist. Sehen Sie noch Chancen für eine Verschiebung?
Klein: Mit der Nachhaltigkeitsfragepflicht ab dem 2. August vollführt die EU einen ihrer Schildbürgerstreiche, die den Verdruss über eine eigentlich gut gemeinte europäische Idee weiter steigert. Der ursprüngliche Gesetzgebungszeitplan sah vor, dass sieben Monate vor der Fragepflicht zu den Nachhaltigkeitspräferenzen verbindliche technische Regulierungs-Standards dafür festgelegt sind, was als nachhaltig gilt. Nun ist die Reihenfolge auf den Kopf gestellt worden und diese Standards treten erst fünf Monate nach der Pflicht zur Ermittlung der Nachhaltigkeitspräferenzen in Kraft. Haftungssichere Produktempfehlungen können daher ab August dieses Jahres noch gar nicht abgegeben werden. Votum und FECIF, der europäische Dachverband der Finanzberater, waren die ersten Verbände, die dies in Brüssel deutlich gemacht haben. Inzwischen haben auch die großen europäischen Produktgeberverbände das Thema aufgegriffen. Wir sind hier mit unserer Forderung sowohl bei den Praktikern in den Abteilungen der EIOPA und der ESMA als auch beim deutschen Finanzministerium auf Zustimmung gestoßen. Die Kommission wird eine Verschiebung des Inkrafttretens der Nachfragepflicht jedoch nicht in Angriff nehmen. Zu groß ist offenbar der gefürchtete Imageschaden für das politisch exponierte Vorhaben. Die Aufsichten sollen angewiesen werden, im ersten Jahr der Geltung der Nachfragepflicht nachsichtig zu sein. Dies reicht jedoch nicht aus und wir werden bei Votum für die Vermittler entsprechende Kundenhinweise entwickeln, die über die Situation aufklären, um Haftungssicherheit zu gewähren.
Die Fragen stellte Kim Brodtmann, Cash.