Die niedrigen Zinsen veranlassen viele Bausparkassen zur Kündigung von Bausparverträgen. Die Kündigungswelle wirft nicht nur juristische Fragen auf, sondern hat auch wirtschaftliche Konsequenzen.
In letzter Zeit würden Bausparkassen in großem Umfang Altverträge kündigen, die Sparern aus heutiger Sicht äußerst attraktive Zinsen garantieren. Eine Welle von Klagen gegen diese Kündigungen beschäftige aktuell deutschlandweit die Gerichte und werde demnächst den Bundesgerichtshof erreichen.
Keine Berufung auf Sonderkündigungsrecht
Nach Auffassung von Tobias Tröger, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt und am Loewe-Zentrum Safe, und seinem Mitarbeiter Thomas Kelm ist die Kündigungspraxis nicht mit der Rechtslage vereinbar.
In der am Donnerstag erscheinenden Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW 39/2016) erklären die Juristen, dass sich Bausparkassen nicht aufgrund des Niedrigzinsumfelds auf ein Sonderkündigungsrecht nach Paragraph 489 Absatz I Nummer 2 BGB berufen könnten.
Fristentransformation ist Aufgabe der Kreditinstitute
Es sei eine originäre Leistung von Kreditinstituten, und somit auch Bausparkassen, im Rahmen der Fristentransformation das Risiko von Zinsänderungen in ihrem Geschäft zu berücksichtigen. Würde man ihnen in einem ungünstigen Zinsumfeld ein Sonderkündigungsrecht zugestehen, belohne man solche Institute, die dieser ökonomisch elementaren Aufgabe nicht gerecht geworden sind.
So entstünde moral hazard (das Risiko moralischen Fehlverhaltens): Die Kreditinstitute hätten in Zukunft keinen Anreiz mehr, Zinsrisiken überhaupt noch in ihre Verträge einzukalkulieren. Sie würden in guten Zeiten Gewinne einstreichen und in schlechten Zeiten unattraktive Verträge kündigen.
Gesamtwirtschaftliches Interesse durch Kündigung gefährdet
Dies sei kontraproduktiv, da die Transformationsfunktion der Kreditinstitute im gesamtwirtschaftlichen Interesse liege. „Die erheblichen Gefahren einer für (Marktpreis-)Risiken unempfindlichen Refinanzierung des Finanzsektors sind nicht erst seit der Finanzkrise bekannt“, schreiben Kelm und Tröger in ihrem Beitrag.
Rechtlich umstritten sei insbesondere die Kündigung von Verträgen, bei denen der Mindestsparbetrag bereits erreicht ist. Bausparverträge bestehen aus Sicht der Kunden aus einer Ansparphase und einer Darlehensphase, die frühestens mit Erreichen des vertraglich festgesetzten Mindestsparbetrags eintritt und – im Falle des Weitersparens – mit Erreichen der Bausparsumme entfällt.
Aufgrund der oftmals vor Jahren vereinbarten und heute attraktiven Zinsbedingungen vieler Verträge würden zahlreiche Verbraucher ihre Bausparverträge über den Zeitpunkt der Zuteilungsreife (Erreichen des Mindestsparbetrags) hinaus weiterlaufen lassen sie somit eher als Geldanlage denn als Kapitalbasis zum Bauen nutzen.
Rechtlicher Ausweg: Schieflage der gesamten Branche
Einen rechtlichen Ausweg sehen die Autoren lediglich für den Fall, dass aufgrund eines branchenweit ungenügenden Risikomanagements die Schieflage einer großen Anzahl von Instituten und damit eine Gefahr für die Finanzstabilität droht.
In diesem Fall sei jedoch nicht das Zivilrecht, sondern das Aufsichtsrecht gefragt. Für die Beurteilung eventueller systemischer Konsequenzen sei die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zuständig. Gehe es dagegen nur um einzelne Institute, so müssten diese die Folgen ihrer Fehler im Management von Marktpreisrisiken selbst tragen.
Das Loewe-Zentrum Safe – Sustainable Architecture for Finance in Europe – widmet sich der Analyse der europäischen Finanzmärkte und ihrer Regulierung. Mehr als 50 Professorinnen und Professoren und ebenso viele Nachwuchswissenschaftler aus den Feldern Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaft, Soziologie und Finanzmathematik erforschen die Anforderungen an einen optimalen Ordnungsrahmen für moderne und stabile europäische Finanzmärkte. (kl)
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