Nach der Korrektur zu Beginn der Pandemie hat der Bellevue Medtech & Services eine enorme Performance-Rallye absolviert. In welchem Umfang und in welcher Form haben die Folgen der Corona-Pandemie dazu beigetragen?
Blum: Der Medtech & Services ist ein hoch innovativer, überdurchschnittlich wachsender Wirtschaftssektor, der auf Grund der nicht-zyklischen Nachfrage auch gute defensive Eigenschaften aufweist. Er ist krisenresistent, deshalb erholen sich die Aktienkurse nach exogenen Schocks sehr schnell. Die Pandemie war die erste „Gesundheitskrise“, welche einen länger anhaltenden Einfluss auf das Geschäft der Medtech & Services-Unternehmen hatte. Viele Behandlungen wurden aufgeschoben, weil die Krankenhäuser voll und ganz mit Covid-Patientinnen und -Patienten ausgelastet waren. Die Situation hat sich beruhigt, trotz neuer Coronavirus-Wellen, und der Medtech & Services-Sektor profitierte von der Erholung der Behandlungszahlen, ein positiver Trend der auch in 2022 anhält. Die Krankenversicherer entwickelten sich ebenfalls positiv, da der Schweregrad der am Coronavirus Erkrankten und damit auch die Behandlungskosten deutlich zurückgingen.
Der Gesundheitssektor gilt als wenig konjunkturanfällig und eignet sich deshalb als defensives Investment. Inwieweit trifft das auch auf den Bellevue Medtech & Services zu?
Blum: Das ist eine sehr wichtige Frage. Der Gesundheitssektor als Ganzes weist die gewünschten defensiven Qualitäten auf, aber abhängig von der Portfoliokonstruktion kann ein Healthcare Fund trotzdem sehr volatil sein. Die Volatilität kommt dann aus dem Aktienmarkt, wenn sie zum Beispiel in nicht-profitable, klein- und mittelkapitalisierte Gesundheitsaktien investieren. Der Bellevue Medtech & ServicesFonds ist klar auf die Bedürfnisse der defensiv-orientierten Healthcare Investorinnen und Investoren ausgerichtet, die etwas mehr Rendite, aber in einem schwierigen Wirtschafts- und Aktienmarktumfeld relative Stärke wünschen. Deshalb setzen wir auf großkapitalisierte Unternehmen aus dem Medtech & Services-Universum. Die Unternehmen sind innovative Marktführer und profitieren auch von den hohen Markteintrittsbarrieren.
Der Fonds fokussiert auf die Bereiche Medizintechnik und Gesundheitsdienstleistung. Durch welche wesentlichen Themen lassen sich diese beiden Sektoren charakterisieren?
Fritsch: Der Medizintechnik (Medtech) und Gesundheitsdienstleister (Services) Sektor umfasst das gesamte Gesundheitswesen ohne die Medikamentenhersteller. Die Marktkapitalisierung des Investment-universums (siehe nachfolgende Grafik) ist etwa 3,6 Billionen US-Dollar groß. Im Portfolio befinden sich beispielsweise großkapitalisierte, diversifizierte und innovative Medizintechnikunternehmen wie Abbott, Boston Scientific und Stryker, „Life Sciences Tools“-Unternehmen wie Thermo Fisher und Danaher sowie amerikanische Krankenversicherer wie UnitedHealth und Humana.
Welche Rolle spielen die beiden Bereiche für das globale Wirtschaftswachstum?
Blum: Medtech & Services entspricht etwa 85 Prozent der Wertschöpfung der globalen Gesundheitsindustrie oder etwa zehn Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Megatrends wie die steigende Lebenserwartung und damit die fortschreitende Überalterung der Gesellschaft, der Anstieg von Fettleibigkeit und chronischen Krankheiten wie Diabetes und die Zunahme des Wohlstandes in aufstrebenden Ländern in Asien und Südamerika begünstigen das langfristige Wachstum des Medtech & Services-Sektors. Die Digitalisierung des Medtech & Services-Sektors und eine rege Innovationstätigkeit spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wir schätzen das organische Umsatzwachstum des Medtech & Services-Sektor auf etwa sechs Prozent p.a., was leicht höher als das Umsatzsatzwachstum des breiten Marktes von etwa vier Prozent liegt. Im Medtech & Services-Sektor führt überdurchschnittliches Umsatzwachstum zu größeren Skalenerträgen, Innovation zu hochmargigen Produkten und Dienstleistungen. Hohe Free-Cashflow-Renditen führen zu vollen Kassen, die Aktienrückkäufe ermöglichen. Dies sind die Hauptgründe warum der Gewinn pro Aktie des Medtech & Services-Sektors mit plus zwölf Prozent (im Durchschnitt seit 2001) rund doppelt so schnell wächst im Vergleich mit dem breiten Markt (+6%).
Spätestens seit der Pandemie hat die Digitalisierung einen enormen Schub erhalten. Inwieweit hat der Fonds davon profitiert?
Fritsch: Erfolgreiche Unternehmen haben dank dem frühen Einsatz digitaler Technologien wie der Sensorik, Robotik oder Vernetzung mit der Cloud ihren Mitbewerbern massiv Marktanteile abgenommen, dies trotz der sektortypisch starken Kundenbindung. Die gestiegene Akzeptanz digitaler Lösungen im Zusammenhang mit der Corona-krise sorgte nochmal für einen zusätzlichen Wachstumsschub.
Welchen Beitrag liefert das Thema Digitalisierung für die zukünftigen Wachstumschancen in den Bereichen Medizintechnik und Gesundheitsdienstleistung?
Blum: Es gibt natürlich viele weitere wichtige technologische Entwicklungen, aber das Thema Digitalisierung ist absolut zentral. Wie wir es bereits aus unserem Privat- und Geschäftsleben kennen, sorgt die Digitalisierung für die dringend nötigen Effizienzsteigerungen und damit für eine bessere und kostengünstigere Gesundheitsversorgung. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen auf Grund der demografischen Entwicklungen in der Zukunft stark ansteigen wird, wir aber bereits heute Engpässe beim klinischen Fachpersonal haben. Eine optimierte, umfassende Betreuung vor allem von chronisch kranken Patientinnen und Patienten und auch Fortschritte in der Früherkennung birgt das größte Wertsteigerungspotenzial. Chronische Krankheiten sind für etwa 80 Prozent der Gesundheitskosten verantwortlich und gerade im dezentralisierten Behandlungsumfeld können digitale Technologien den größten Mehrwert generieren.
Welche investierbaren Megatrends haben Sie identifiziert?
Fritsch: Bei den Medizintechnikunternehmen sehen wir aufgrund der starken Innovation ein höheres Umsatzwachstum, höhere Gewinnmargen und überdurchschnittliches Gewinnwachstum. Dieses bezieht sich vor allem auf neue Produkte in den Bereichen Diabetes-Therapie, minimalinvasiver Herzklappenersatz und -reparatur sowie Operationsrobotik. In allen drei Bereichen wurden in den letzten Jahren riesige Fortschritte bei der Produktentwicklung gemacht, welche die klinischen Ergebnisse verbessern und das Gesundheitswesen effizienter machen.
In welcher Form setzen Sie diese im Fonds um?
Fritsch: Im Bereich der strukturellen Herzkrankheiten sind für den Ersatz von Aortenherzklappen (z.B. Sapien 3 Ultra von Edwards Lifesciences) und für die Reparatur von Mitralherzklappen (z.B. MitraClip von Abbott und Pascal von Edwards) hervorragende Produkte auf den Markt gekommen. Dank ihrer minimalinvasiven, katheterbasierten Technologie sind beide Verfahren viel weniger traumatisch und schonen nicht nur die Patienten und Patientinnen, sondern verkürzen auch die Klinikaufenthaltsdauer. In der Summe reduzieren sich Behandlungskosten und die klinischen Ergebnisse sind besser, als bei einer Operation am offenen Herzen. Wir schätzen, dass sich der Markt für minimalinvasive Herzklappenersatz- und reparatur von 7,0 Milliarden in 2022 auf 15 Milliarden US-Dollar in 2028 mehr als verdoppeln wird. Im Bereich der Operationsrobotik wurden große F&E-Fortschritte erzielt. Prostatektomien (Entfernung der Prostata) und Hysterektomien (Entfernung der Gebärmutter) werden heute z.B. vorwiegend robotergestützt mit dem Da Vinci Xi von Intuitive Surgical durchgeführt. Die Entwicklung von neuen Instrumenten wie Tacker und Versiegelungssysteme haben dazu geführt, dass sich robotergestützte Operationen auch für neue Indikationen mit engen Platzverhältnissen wie Hernie, Darm und Adipositas durchsetzen. Neue Robotersysteme für orthopädische Operationen (Knie, Hüfte, Wirbelsäule) und Lungenbiopsien (Diagnose und Behandlung) eröffnen große Wachstumsfelder. Hohe Präzision, bessere Beweglichkeit und weniger schnell ermüdende Chirurgen und Chirurginnen sorgen für bessere Ergebnisse und tiefere Kosten.
Welche Kriterien müssen Unternehmen erfüllen, damit diese Eingang in das Portfolio finden?
Blum: Der Bellevue Medtech & Services (Lux) Fonds investiert weltweit in Aktien von Unternehmen des Medizintechnik- und Gesundheitsdienstleistungssektors und konzentriert sich dabei auf profitable, liquide großkapitalisierte Unternehmen mit einem reiferen Produktportfolio sowie auf schnell wachsende Small- und Mid- Caps, die über disruptive Produkt- und Dienstleistungsangebote verfügen. Die Aktienselektion des Fonds basiert auf fundamentaler Industrie- und Unternehmensanalyse und erfolgt ausschließlich Bottom-up, unabhängig von der Benchmark-Gewichtung und unter der Berücksichtigung der Fonds ESG-Faktoren bei der Umsetzung der Anlageziele. Zentral ist dabei unser Stakeholder-Ansatz, der die Interessen aller Beteiligten wie der Patienten und Patientinnen, Ärzte und Ärztinnen/Krankenhäuser und Krankenversicherer abwägt. Damit wollen wir sicherstellen, dass Produkte und Dienstleistungen erfolgreich abgesetzt werden können. Dabei spielt insbesondere der medizinische Nutzen, das Sparpotenzial für das Gesundheitswesen und das erwartete Marktpotenzial der entsprechenden Produkte und Dienstleistungen eine wichtige Rolle.
Besondere Chancen sehen Sie bei den US-amerikanischen Krankenversicherern. Warum?
Blum: US-Krankenversicherer finden wir aufgrund des Wachstums der Anzahl der Versicherungsnehmer und -nehmerinnen und der Prämien attraktiv. Einerseits erfreut sich „Medicare Advantage“ – erweiterte Krankenversicherungen für Senioren und Seniorinnen ab 65 – großer Beliebtheit und andererseits bieten immer mehr Bundesstaaten „Medicaid“-Krankenversicherungen für Erwachsene unter 65 mit tieferem Einkommen an. UnitedHealth ist mit einem geschätzten Umsatz für 2022 von 320 Milliarden US-Dollar eines der größten Gesundheitsunternehmen der Welt. Die Krankenversicherungssparte UnitedHealthcare (49% des Gewinns) ist der größte Krankversicherer in den USA, der eine Vielzahl verschiedener Krankenversicherungen z.B. in den Bereichen „Commercial“ für amerikanische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Medicare Advantage für Pensionierte und Medicaid für Menschen mit tieferem Einkommen anbietet. Die Dienstleistungssparte Optum (51% des Gewinns) beinhaltet die 3 Bereiche Optum Health, Optum Insight und Optum Rx. Optum Health bietet haus- und fachärztliche Versorgung, Akutversorgung und ambulante chirurgische Versorgung an und versucht dabei Menschen proaktiv in das Management ihrer Gesundheit miteinzubeziehen. Optum Insight vorsorgt das Gesundheitssystem mit zuverlässigen Dienstleistungen, Analysen und Plattformen, die klinische, administrative und finanzielle Prozesse einfach und effizient für alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Gesundheitssystems machen. Optum Rx verhandelt direkt für seine Kunden und Kundinnen wie z.B. Arbeitgeber, Krankenversicherer und Krankenhäuser mit den Medikamentenherstellern, um möglichst gute Produkte zu einem möglichst tiefen Preis einzukaufen.
Wo sehen Sie im Segment der Medizintechnik in den kommenden Monaten besonderes Kurssteigerungspotenzial?
Fritsch: In der Medizintechnik glauben wir, dass Unternehmen mit einem hohen Anteil von verschiebbaren chirurgischen Eingriffen aufgrund von signifikant weniger Covid-bedingten Krankenhausaufenthalten und hoher Immunität in der Bevölkerung über das höchste Kurssteigerungspotenzial verfügen. In den vergangenen Coronavirus-Wellen wurde die Spitalkapazität zu einem großen Teil für die Behandlung von am Coronavirus erkrankten Patienten und Patientinnen absorbiert. Zudem glauben wir, dass Unternehmen mit erfolgreichen Produktzulassungen und Markteinführungen in den Bereichen Diabetes und strukturelle Herzkrankheiten eine attraktive Kursperformance erzielen werden.
In den Sektoren Pharma und Biotech liegen oft große Risiken hinsichtlich des Erfolgs klinischer Studien und der Distribution. Gibt es vergleichbare Risiken in den beiden Bereichen, die der Fonds fokussiert?
Blum: Der Produktzulassungsprozess von Pharma- und Biotechnologieprodukten ist langwieriger, komplizierter und mit weniger Visibilität versehen im Vergleich mit Medizintechnikprodukten. Echte Produktinnovation ist sehr wichtig für das zukünftige Umsatz- und Gewinnwachstum des Medizintechniksektors und deshalb beobachten wir diese Entwicklung permanent. Wir beobachten Zulassungsverfahren für komplexere Medizintechnikprodukte wie z.B. US FDA PMA („Premarket Approval“) und FDA „De Novo“ genau und haben in den vergangenen Jahren eine stabile Anzahl von Produktzulassungen gesehen. Die Zulassungswahrscheinlichkeit dieser komplexeren Produkte schwankt zwischen 80 und 90 Prozent. Der Innovationsprozess ist evolutorisch, d.h. die Unternehmen entwickeln kontinuierlich verbesserte Produktegenerationen. Deshalb kennt der Sektor auch keine Patentklippe.
Gegenwärtig spielen die Themen Inflation sowie geopolitische Risiken an den Finanzmärkten eine besonders große Rolle. Inwieweit beeinflussen diese Unsicherheiten auch den Bellevue Medtech & Services und seinen Investmentprozess?
Blum: Im Medizintechnikbereich bevorzugen wir großkapitalisierte, solide finanzierte und diversifizierte Unternehmen, da sich diese stabiler im aktuellen Zins- und Inflationsumfeld verhalten. Vorsichtiger sind wir bei klein- und mittelkapitalisierten Unternehmen. Dass sich das aktuelle Zins- und Inflationsumfeld zu Gunsten von klein- und mittelkapitalisierten Unternehmen ändern wird, ist unbestritten aber der Zeitpunkt ist schwierig vorherzusagen. Bei den Gesundheitsdienstleistern sind wir auf US-Krankenversicherer fokussiert. Diese profitieren von steigenden kurz- und mittelfristigen Zinsen, weil sie höhere Zinserträge und damit höhere Gewinne erzielen können. Höhere Inflationserwartungen wirken sich positiv auf Prämien aus, weil höhere Kosten von Leistungserbringern wie Spitäler weitergegeben werden können. Der geopolitische Konflikt in der Ukraine und die damit zusammenhängenden internationalen Sanktionen gegen Russland dürften vernachlässigbare negative Folgen für Umsätze und Gewinne des Medtech & Services-Sektors haben, da diese Märkte einerseits relativ klein sind und andererseits gesundheitsrelevante Güter kaum sanktioniert werden dürften. Investoren und Investorinnen favorisieren im Moment Aktien von Unternehmen, die ihre Umsätze und Gewinne ausschließlich in den USA erwirtschaften, was bei den US-Krankenversicherern der Fall ist.
Spätestens seit diesem Jahr können Investoren auch das Thema ESG nicht mehr links liegen lassen. Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit im Rahmen des Fonds?
Fritsch: ESG ist integraler Bestandteil unseres Investmentprozesses. Unternehmen, die gegen globale Normen verstoßen wie z.B. Exposure zu kontroversen Waffen, werden konsequent aus dem Universum ausgeschlossen. Auch nehmen wir unsere Stimmrechte als Aktionäre permanent war. Bei der Fundamentalanalyse beziehen wir zusätzlich Research von MSCI ESG mit ein. Im Rahmen des „Engagements“ haben wir begonnen, mittels Fragebogen und nachfolgenden Gesprächen eine Standortbestimmung vorzunehmen. Ziel ist es, von jedem Unternehmen die wichtigsten drei bis fünf Aktionsfelder zu kennen, um die Fortschritte der Unternehmen über die Zeit transparent und messbar zu machen. Zusätzlich werden wir die für unser Anlageuniversum wichtigsten Fokusgebiete, Produktsicherheit sowie Privatsphäre und Datensicherheit, umfassender im Anlageprozess einbinden.
Letzte Frage: Warum sollten Anlegerinnen und Anleger in den Bellevue Medtech & Services investieren?
Blum: Demografie und Innovation wird noch für lange Zeit für ein überdurchschnittliches Gewinnwachstum von Medtech & Services sorgen. 2022 werden Medizintechnikunternehmen von der Erholung von elektiven Eingriffen und Krankenversicherer von überdurchschnittlichem Wachstum bei „Medicare Advantage“ und steigenden Zinssätzen profitieren. Wir sehen die attraktive Bewertung des Medtech & Services-Sektors leicht unter dem langfristigen Durchschnitt als guten Einstiegszeitpunkt.
Die Fragen stellte Frank O. Milewski, Cash.