Die digitale Transformation und die Elektrifizierung sorgen für einen gewaltigen Innovationsschub in der Automobilindustrie. Hinzu kommen neue Besitzmodelle. Es scheint keineswegs sicher, dass die Versicherungs-Granden von heute auch die maßgeblichen Spieler in der Zukunft sein werden.
Umsatzpotenziale und Datenhoheit
Bei der Absicherung von Risiken werden Automobilhersteller zukünftig wohl eine deutlich dominantere Rolle einnehmen. Ein Faktor dabei ist die zügige Umstellung der eigenen Produktpalette in Richtung elektrischer Antriebe, welche aufgrund der anhaltenden Klimadebatte und verschärfter Regulatorik deutlich an Fahrt gewinnt. Diese Entwicklung wirkt sich auch entscheidend auf die erzielbaren Umsätze über den gesamten Lebenszyklus der Fahrzeuge aus. Sinkende Wartungseinnahmen wie auch ein deutlich reduziertes Reparaturvolumen sind für Hersteller, aber insbesondere für den Handel, ein gefährliches Szenario. Ein Öl- oder Zahnriemenwechsel ist bei einem Elektrofahrzeug nicht mehr notwendig und die Besitzer von E-Fahrzeugen suchen deshalb deutlich weniger oft Konzernwerkstätten auf.
Um diese Einbußen aufzufangen, ist der Kampf um neue Zusatzdienstleistungen, wie etwa Batterieversicherungen, längst entbrannt. Bei neuen, datengetriebenen Geschäftsmodellen erfahren Automobilhersteller bereits reichlich Konkurrenz, wenn es um die Software in den Automobilen geht. Für Volkswagen ist die Eigenentwicklung dieser Software bereits das strategisch, wichtigste Projekt.
Nun scheint naheliegend, dass Automobilhersteller in absehbarer Zeit dazu übergehen, die Vielzahl der Daten, die beim Fahren erhoben werden können, selbst zu nutzen, um personalisierte Kfz-Versicherungen und weitere Zusatzdienste, wie etwa integrierte Zahlungssysteme, anzubieten. Elektropionier Tesla hat in den USA bereits im Jahr 2019 ein Pilotprojekt gestartet und bietet in Kalifornien Versicherungen für E-Fahrzeuge an, auch weil traditionellen Versicherer bis dato teuerer sind.
Die Hersteller selbst profitieren dabei von einem deutlichen Informationsvorsprung, denn Hardware, wie Sensorik und Softwarebestandteile, sind in fester Hand der Hersteller. Gleichzeitig ist es möglich, über eingebaute Messsysteme Daten zu erfassen, welche Rückschlüsse auf das Fahr- und Risikoverhalten von Nutzern ermöglichen.
Anders als die Versicherungsbranche genießen Automobilkonzerne einen direkten Zugang zu diesen Informationen. Auf der Basis kann es nun durchaus gelingen, individualisierte Tarife für Versicherungsnehmer anzubieten. Gibt ein Fahrer sein Einverständnis zur Analyse und Nutzung seiner Daten, ließen sich passgenaue Tarifoptionen für ihn eröffnen. Risikoaverse Fahrer mit regelkonformer Fahrweise könnten mit niedrigeren Prämien gelockt werden, die auf Basis der Datenreichhaltigkeit und -qualität recht exakt kalkulierbar wären.
Auch die Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen (FAS), wie etwa Brems- und Spurwechselassistenten, begünstigen sowohl das autonome Fahren, als auch die Sicherheit im Straßenverkehr. Eine Studie des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zufolge werden die Entschädigungsleistungen der Kfz-Versicherer bis 2035 durch die neuen Systeme um sieben bis 15 Prozent sinken. Viele Versicherer begegnen diesem Trend bereits heute mit ersten Rabatten in den Prämien, wenn bestimmte FAS verbaut wurden.
Das Versicherungsgeschäft birgt Tücken
Was auf den ersten Blick schlüssig und attraktiv erscheint, ist aus Sicht der Kfz-Hersteller mit einer Vielzahl von neuen Herausforderungen verbunden. Die Kfz-Versicherung ist in Deutschland seit langer Zeit ein umkämpfter und sehr margenschwacher Markt. Vergleichsportale ermöglichen es Autofahrern, schnell und komfortabel einen attraktiveren Tarif bei einem Wettbewerber zu wählen. Eine durchschnittliche „Combined Ratio“ von über 100 in diesem Versicherungszweig zeigt, dass es schwierig ist, das Geschäft mit Kfz-Versicherungen allein effizient zu gestalten.
Bereits heute gibt es erste Telematiktarife bei etablierten Playern, die zudem im Wettbewerb mit Insurtechs stehen. Dabei sind die Versicherer aktuell von zwischengeschalteten Datenlieferanten abhängig oder betreiben mit viel Aufwand eigene Technologien, wie Apps oder Telematik-Boxen, die über eine Schnittstelle im Kfz rudimentäre Fahrzeugdaten auslesen. Der große, wirtschaftliche Erfolg blieb bis dato jedoch aus. Zu groß scheinen in Deutschland die Vorbehalte etwa in puncto Datenschutz. Nutzer scheuen sich, sensible Daten an Großunternehmen wie Versicherer zur Auswertung freizugeben.
Am ehesten können datenbasierte Policen jüngeren, digitalaffinen Kunden schmackhaft gemacht werden. Wichtig ist in jedem Fall, deutlich zu dokumentieren und zu kommunizieren, wo und wie die Daten gespeichert werden und in welcher Form die Auswertung stattfindet. Ein geschlossenes System hingegen könnte bei den Fahrern die Bereitschaft erhöhen, Daten preiszugeben. Entscheidend wird jedoch sein, dem Nutzer klare Mehrwerte aufzuzeigen: bei der Preisersparnis oder in Form zusätzlicher, individualisierter Service- und Versicherungsleistungen.
Eine weitere, nicht zu unterschätzende Herausforderung für den Aufbau eigener Versicherungsleistungen durch Automobilhersteller, ist der Aufbau der für das Versicherungsgeschäft notwendigen Infrastruktur und Prozess-Know-hows. Gerade die Bearbeitung von Schadenfällen ist aktuell ohne fachkundige Sachbearbeiter, entsprechende digitale Infrastrukturen und Netzwerke, wie zu Werkstätten oder anderen Dienstleistern, kaum möglich. Für Neueinsteiger besteht somit die Herausforderung, in einem ohnehin umkämpften Markt entsprechende fachfremde Geschäftsbereiche auf der grünen Wiese aufzubauen und reibungslos zu betreiben.
Zwar haben Insurtechs bewiesen, dass Digitalisierung und Automatisierung enorme Potentiale bei Effizienz, Kundenkomfort und auch Kostenersparnis entlang der gesamten Kfz-Wertschöpfungskette bieten. Jedoch sind Alleingänge von Herstellern sehr gewagt, zumal das Versicherungsgeschäft in klar vorgegebenen regulatorischen Rahmenbedingungen operiert, was den administrativen Aufwand zusätzlich verschärft und somit für viele Automobilhersteller eine unüberwindbare Hürde darstellt.
Neue Ökosysteme prägen die Mobilität von morgen
Trotz des Für und Wider zeigen die jüngsten Entwicklungen, dass Hersteller in Zukunft eine weit größere Rolle im Versicherungsgeschäft spielen und möglicherweise den zukünftigen Weg maßgeblich mitbestimmen. Dabei scheint der Ansatz über Kooperationen zwischen Automobilherstellern, Versicherern und anderen Serviceanbietern zunächst Mittel der Wahl.
So haben unlängst etwa Daimler und der Schweizer Rückversicherer SwissRe die gemeinsame Plattform Movinx angekündigt. Mit der neuen Versicherungsplattform wollen sie tiefer in die Wertschöpfungskette der Versicherungsbranche einsteigen und zusätzlichen Einfluss auf Produktentwicklung und die Preisgestaltung neuer Lösungen bekommen. Auch Allianz oder Ergo kooperieren seit Jahren erfolgreich mit Automobilproduzenten.
Kfz-Hersteller hegen die Ambition, im Zuge der Digitalisierung des Fahrerlebnisses zum aggregierenden Plattformanbieter, zu werden. Die Bereitstellung von Daten an ausgesuchte Partner bietet dabei zahlreiche Potentiale, um Nutzern weitere Services anzubieten. Schon heute ist die Kfz-Versicherung für viele Anbieter reines Commodity, um einen Kundenzugang zu gewährleisten, über den weitere Produktangebote an den Nutzer erfolgen können.
Auf Basis der Fahrzeugdaten könnte dies in Zukunft weit zielgenauer und nachhaltiger erfolgen. Etwa wenn es darum geht, bei Grenzübertritten spezielle Auslandsversicherungen anzubieten oder den Versicherungsschutz für Fahranfänger in der Familie anzupassen. Auch sind On Demand-Versicherungslösungen denkbar, die dann greifen, wenn das Auto auch tatsächlich bewegt wird. Oder Mobilitätslösungen, die den Nutzer bei jeder Art der Mobilität, wie Auto, Bahn, Fahrrad, E-Bike, etc. absichern. Es scheint unstrittig, dass die nächste Dekade geprägt sein wird von neuen Lösungen – das Mobilitätsökoystem erlebt einen Wandel, der auch vor Versicherern nicht Halt macht.
Die Autoren: Dr. Thomas Zwack ist Partner bei Capco und leitet dort den Bereich Versicherungen für Deutschland, Österreich und die Slowakei. Marcel Heinz ist Senior-Consultant und spezialisiert auf digitale Versicherungslösungen mit Fokus auf neue datenbasierte Geschäftsmodelle.