Immerhin stimmen alle am Prozess der Industrieversicherung Beteiligten überein: Der Findungsprozess für eine Versicherungsprämie – Darstellung der Risikoexponierung und der präventiven Maßnahmen, Abschätzung der Folgen eines Schadenfalls sowie Ermittlung einer angemessenen Deckungssumme – wird den Möglichkeiten der heutigen Zeit nicht gerecht: Er ist weder voll digital noch ohne Systembrüche. Er läuft nicht automatisiert ab, sondern ist von vielen Eingaben per Hand abhängig und damit fehleranfällig. Aus diesen Gründen ist er auch zeitaufwendig und hindert Aktuare, Broker und Risikoverantwortliche daran, sich wichtigen strategischen Aufgaben zu widmen. Dies wird der Branche – alle Jahre wieder – in jeder Erneuerungsrunde bewusst, führte aber bislang zu keiner Lösung im Sinne aller Marktteilnehmer. Dennoch gilt: Nicht aufgeben, sondern im Dialog bleiben – Gelegenheiten dazu gibt es ausreichend, die nächste auf dem Insurer Summit von WTW am 29. Februar.
Die versicherungsnehmende Wirtschaft ist bereit
Den Unternehmen selbst sind dabei die wenigsten Vorwürfe zu machen. Sie haben in den vergangenen Jahren hart daran gearbeitet, ihre Risikosituation besser zu verstehen. Immer häufiger können sie Risiken selbständig evaluieren und entscheiden, welche sie selbst tragen können oder wie sie ihr Schadenpotenzial durch Präventionsmaßnahmen möglichst geringhalten.
Die Versicherungsnehmer tragen auch fleißig all jene Daten zusammen, die ihre Versicherer in der Verlängerungsphase einfordern. Nicht zuletzt machen sie diese Fortschritte in Zusammenarbeit mit ihren Maklern: Hier stehen ihnen Tools und Daten zu Verfügung, mit denen sie ihre Risikosituation adäquat abbilden können.
Auch wenn an einigen Stellen noch mehr Bereitschaft und Offenheit wünschenswert wäre – die Versicherungsnehmer erfüllen die Voraussetzungen für eine gemeinsame Datenplattform längst.
Gemeinsamer Nenner der Versicherer?
Auch die Versicherer waren in den letzten Jahren nicht untätig: Viele sammeln Daten bereits über eigene Plattformen ein. Diese verschaffen ihnen ein umfassendes Risikoverständnis. Doch solange derartige Lösungen nur auf einen Anbieter beschränkt sind, werden sie den Markt nicht nach vorne bringen. Sobald ein Unternehmen den Versicherer wechselt, fängt der Eingabe-Marathon wieder von vorne an.
Versicherer kämpfen ihrerseits mit komplexen IT-Landschaften und unterschiedlichster Software. Jeder Anbieter hat individuelle Anforderungen, Sensibilitäten und sein ganz eigenes Selbstverständnis.
Und dennoch: Selbstverständlich ist es möglich, sich auf eine gemeinsame Risikoaustauschplattform zu einigen! Es bedeutet, alle Daten auf einer einzigen Plattform zusammenfließen zu lassen. Dort können der Austausch und die Kommunikation zwischen Makler, Kunde und Versicherer in einem kohärenten Umfeld erfolgen. Informationen zu Versicherungsorten und -summen sowie Umsätzen laufen hier zusammen, und alle Teilnehmer können die Plattform wie selbstverständlich nutzen. Der automatisierte Austausch spart kostbare Ressourcen nicht nur im Underwriting des Versicherers – er reduziert die Fehlerquote auf allen Seiten.
Alles Zukunftsmusik? Nein – was wir hier brauchen, ist vor allem der Wille zur Kooperation. Hierbei geht es, wieder einmal, mehr um Vertrauen und Mut als um Technik und Datenschutz.
Risikoaustauschplattformen werden kommen
Umfragen in Deutschland zufolge werden automatisierte Risikoaustauschplattformen in zehn Jahren der Standard am Markt sein – und auch ich bin überzeugt, dass Automatisierung für eine erfolgreiche Industrieversicherung künftig unverzichtbar ist. Aber: Wir schaffen das nur, wenn wir nicht mehr mit geschlossenen Systemen, sondern mit einer offenen Plattform für alle Marktteilnehmer arbeiten. Dafür brauchen wir den Mut und das Bekenntnis aller Beteiligten.
Safak Okur ist Head of Broking Deutschland/Österreich im Geschäftsbereich Corporate Risk & Broking bei WTW (Willis Towers Watson).