Es wird noch einige Wochen dauern, bis die Folgen für die Realwirtschaft nach dem Brexit-Schock in den Konjunkturdaten sichtbar werden. Erkennbar ist jedoch schon jetzt, dass die Finanzmarktakteure mit einer deutlich expansiveren Geldpolitik rechnen und auch mit deutlich niedrigeren Leitzinsen als vor dem Brexit-Referendum. Gastkommentar von Edgar Walk, Metzler Asset Management.
Die Finanzmarktakteure erwarten einen Rückgang des Zinses für Tagesgeld in der Eurozone bis auf minus 0,6 Prozent bis zum ersten Quartal 2019; mit der ersten Leitzinserhöhung der EZB auf 0,25 Prozent wird für das erste Quartal 2023 gerechnet.
Die Zinserwartungen für das Tagesgeld sind dabei ein sehr guter Indikator für die Leitzinserwartungen. Mit der nächsten Leitzinserhöhung der US-Notenbank rechnen die Finanzmarktteilnehmer erst im ersten Quartal 2019, nachdem vor dem Brexit-Referendum noch von einer möglichen Leitzinserhöhung im Juli 2016 die Rede war.
Einschränkung der Kreditvergabe größtes Risiko für Eurozone
In dieser Woche dürfte die Bank von England (Donnerstag) mit einer ersten Leitzinssenkung von 0,5 auf 0,25 Prozent den Auftakt zu einer weiteren weltweiten Lockerung der Geldpolitik machen. Da das Leitzinsniveau die Nettozinsmargen der Banken und damit deren Gewinne beeinflusst, kamen die Aktien der europäischen Banken unter anderem auch aufgrund des Kollapses der Zinserwartungen unter Druck.
Das größte Risiko für die Wirtschaft der Eurozone ist vor diesem Hintergrund eine Einschränkung der Kreditvergabe durch die Banken als eine Reaktion auf die Aktienkursturbulenzen Derzeit rechnen wir für 2017 nur mit einer moderaten Wachstumsverlangsamung in der Eurozone auf 1,0 Prozent. Sollte sich jedoch die Kreditvergabe in der Eurozone merklich verringern, könnte das Wachstum 2017 deutlich geringer ausfallen als von uns erwartet.
Investitionsausgaben in Deutschland unverändert
Immerhin zeigt eine Blitzumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) nach dem Brexit-Referendum, dass die deutschen Unternehmen ihre Investitionsausgaben in Deutschland nicht ändern und auch keine Mitarbeiter entlassen wollen. Die deutschen Unternehmen erwarten jedoch einen spürbaren Rückgang ihrer Exporte nach Großbritannien, geringe Direktinvestitionen in Großbritannien und Entlassungen bei ihren Tochterunternehmen auf der Insel.
Ein erster Blick auf die Industrieproduktion in der Eurozone im Mai dürfte zwar aufgrund des vermutlichen Rückgangs von etwa 1,0 Prozent zum Vormonat enttäuschen. Ein zweiter Blick zeigt aber, dass es dieses Jahr im Mai viele Feiertage gab, was die Produktionsdaten saisonal verzerrt haben könnte. Erste veröffentlichte Daten der deutschen Automobilindustrie zeigen, dass die Produktion im Juni stark expandiert ist. Die Inflation dürfte sich im Rahmen der ersten Schätzung von Eurostat bewegen.
US-Wirtschaft und China im Fokus
Die Konjunkturdaten aus den USA konzentrieren sich in der kommenden Woche auf Freitag. Die Einzelhandelsumsätze sowie die Industrieproduktion dürften mit einem Anstieg eine stabile Konjunktur signalisieren, während die Erzeugerpreise und die Konsumentenpreise für einen anhaltend moderaten Anstieg der Preisdynamik sprechen dürften.
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In China wird sich der Fokus auf die Industrieproduktion im Mai und das Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal richten. Insgesamt stehen derzeit die Chancen gut, dass die chinesische Regierung das Wachstum der Wirtschaft kontrolliert verlangsamen kann, ohne eine harte Landung zuzulassen.
Edgar Walk ist Chefvolkswirt bei Metzler Asset Management.
Foto: Metzler Asset Management