Dass wohlhabende Kunden besonders lukrativ sind, muss ich Ihnen nicht sagen. Was viele Berater jedoch missverstehen: Einen 2-Millionen-Euro-Klienten zu betreuen, macht kaum mehr Arbeit im Vergleich zu einem 20.000-Euro-Kunden. Trotzdem zögern viele Finanzvermittler, „dicke Fische“ zu ködern. Dabei ist es gar nicht so schwer, an diese Elite ranzukommen. Sie müssen nur verstehen, wie die Wohlhabenden ticken. Gastbeitrag von Marcus Renziehausen, The Engineers of Finance AG
Jedes Jahr veröffentlicht das Beratungsunternehmen Capgemini den World Wealth Report. Dieser gibt einen Einblick, wie viele wohlhabenden Menschen es in Deutschland gibt. Darunter fallen alle, die mehr als eine Million Dollar investierbares Vermögen besitzen, als frei zur Verfügung stehendes Kapital. 2018 waren das bundesweit etwa 1,36 Millionen „High-Net-Worth Individuals“ (HNWI). Nicht nur Finanzprofis können sich ausrechnen, wie viel ungenutztes Potenzial hier verkümmert.
(Keine) Angst vor Ablehnung und Überhebung
Stellt man diesem Pfund noch die Aktivitäten vonseiten der Finanzberater gegenüber, erhöhen sich die individuellen Chancen für ein lukratives Geschäft sogar noch: Viele Makler lassen diese Rohdiamanten bewusst liegen. Sie trauen sich schlichtweg nicht, derart Reiche überhaupt anzusprechen. Viele befürchten, vermögende Kunden seien eine Nummer zu groß für sie und dass sie sowieso keinen Zugang finden. Der zweite Irrglaube ist, dass HNWIs zu stark umkämpft seien und deren Akquise anstrengend und furchtbar kompliziert sei. Studienergebnisse aus den USA geben jedoch ein anderes Bild der Lage.
Das Oechsli Institute belegt, dass mehr als 90 Prozent der sehr solventen Kunden ihren Finanzberater per Empfehlung gefunden haben (Abbildung 1). Es ist also gar nicht nötig, extravagante Akquise-Methoden auszutüfteln oder Privatdetektive auf Streife zu schicken, um an die Schatzwächter ranzukommen. Wichtig ist und bleibt, dass Sie einen guten Job machen! Und dass Sie Stück für Stück ein Netzwerk mit Personen aufbauen, die Zugang zu finanzstarken Kontakten haben. Sowohl aktiv als auch passiv sorgen Sie so dafür, dass Ihre Lieblings-Potenzials über Empfehlungen, Beziehungspflege oder Berufsnetzwerke Kontakt zu Ihnen aufnehmen.
Goldgräberstimmung – Konkurrenz nicht in Sicht
Die zweite Sensation: Knapp die Hälfte dieser exklusiven Zielgruppe wurde in den letzten zwölf Monaten kein einziges Mal von einem Finanzberater kontaktiert (Abbildung 2). Sie würden also bei jeder zweiten Person konkurrenzlos an die Tür klopfen! Bei weiteren 26,8 Prozent hat die Konkurrenz maximal zwei Akquiseanläufe unternommen – das klingt eher nach formaler Pflicht als nach Erfolgslust. Finanzberater lassen hier sehr große Chancen liegen. Weil viele einfach nicht wissen, wie Reiche ticken, fischen sie im Trüben – oder eben gar nicht. Doch was genau erwarten die Vermögenden nun von einem Finanzprofi? Mit welchem Angebot kann man sie begeistern? Schätzen sie alte Ledersessel oder erwarten smarten Services auf dem Tablet?
So wird’s was mit der exklusiven Zielgruppe:
1. Zuhören und Verlustängste verstehen
Viele Berater machen im Kontakt mit großen Kunden zwei entscheidende Fehler: Sie reden zu viel über die Produkte und hören zu wenig zu. Zeit ist das Wichtigste, was Sie hier investieren können. Unaufmerksamkeit lockt viele Berater in die zweite Falle: Sie denken, der Ertrag einer Kapitalanlage sei für Wohlhabende das Wichtigste. Studien belegen das Gegenteil: Mehr als 90 Prozent machen sich vielmehr große Sorgen, ihr vorhandenes Vermögen zu verlieren. Verlustangst schlägt Gewinnsehnsucht. Wer das in seiner Beratung berücksichtigt, kann Gutverdiener ganz anders überzeugen.
2. Sensibel mit Kontakten umgehen
Wer weiter ins Netzwerk der Reichen eintauchen will, kann seine Klienten um eine Empfehlung bitten. Aber bitte nicht nach dem „Wen kennst du noch?“-Holzhammer-Prinzip. Profis liefern die Namen gleich mit: „Matthias, ich möchte gern deinen Bekannten Jan kennenlernen“ oder „Herr Schuster, wann sind Sie mal wieder mit Ihrem Kollegen Jan Müller beim Squash?“ Dieser Ansatz hat Stil, ist deutlich seriöser und auch zielführender. Wohlhabende fühlen sich sehr unwohl, wenn sie nach Kontakten gefragt werden. Doch mehr als 75 Prozent würden ihrem Finanzberater einen Bekannten vorstellen, wenn er mit Namen direkt nach ihm fragen würde.
3. Mut und Vertrauen fassen
Finanzberater sollten immer besten Service bieten. Wer so arbeitet, hat keinen Grund, sich von großen Zahlen oder wichtigen Namen einschüchtern zu lassen. Kopf hoch und Brust raus, heißt daher die Devise – auch wenn der Millionen-Deal anruft. Widmen Sie sich exklusiven Klienten genauso mutig und selbstbewusst wie kleinen Anlegern. Der vermögende Kontakt ist oft wie der schönste Gast auf der Gala – keiner traut sich, ihn anzusprechen. Das ist Ihre Chance.
Mein größter Aha-Moment zum Thema „wohlhabende Kunden“ war übrigens folgender: In meiner Anfangszeit als Finanzberater bot ich auf meiner Internetseite Investmentfonds ohne den sonst üblichen Ausgabeaufschlag an. Der Kunde sparte also bei Aktienfonds in der Regel 5 Prozent Gebühren. Und dann passierte es. Ich war mit meinem blauen SEAT Ibiza auf der Landstraße unterwegs zu einem wenig lukrativen Kunden, als mein Handy klingelte. Ich nahm das Gespräch an: Gerhard, 68 Jahre alt, wollte zwei Millionen Euro anlegen! Während des gesamten Telefonats grübelte ich, ob er ein echter Anleger war oder ob mich jemand veräppeln wollte. Am Ende dauerte es noch etwa drei Wochen, bis alle Formalitäten erledigt waren – mein erster Millionen-Klient! Gerhard war 18 Jahre bis zu seinem Tod mein Kunde. Natürlich war das ein Glücksgeschäft! Aber damals fiel bei mir der Groschen, dass ein Millionen-Kunde auch „nur ein Mensch“ und kein exotisches Phantom ist.
Marcus Renziehausen ist Betriebswirt und leidenschaftlicher Unternehmer, Autor und Speaker. Seit 2002 ist er als Vorstandsvorsitzender bei der The Engineers of Finance AG tätig. Renziehausen hat aus The Engineers of Finance ein erfolgreiches Unternehmen mit 15 Mitarbeitern und 1.000 angeschlossenen Finanzberatern gemacht. Er ist zudem zertifizierter scale up Senior Coach.
Foto: Marcus Renziehausen