Beeindruckende Beispiele automatisiert erstellter, personalisierter Inhalte, Sprachassistenten und Chatbots, die selbst komplexe Beratungsanfragen beantworten und viele weitere machen Generative KI zu einem der meistdiskutierten Technologiethemen dieser Tage. Und Monat für Monat drängen neue Lösungsanbieter mit innovativen Ansätzen, Modellen und Leistungsversprechen auf den Markt.
Für Banken bietet der Einsatz Generativer KI zahlreiche Chancen, etwa bei der Risikobewertung (z.B. KYC/AML), der Produktoptimierung (z.B. dynamisches Pricing) oder in Back-Office-Prozessen (z.B. Fraud Detection). Ein Bereich kann dabei besonders profitieren: und zwar die Customer Experience (CX), verstanden als Gesamtheit von Marketing, Vertrieb und Kundenservice. Von verbesserter Kundensegmentierung und zielgenauer Ansprache über hochgradig personalisierte Content-Produktion, intelligente Finanzassistenten, etwa in der Anlageberatung, bis hin zur effizienten Bearbeitung von Serviceanfragen – GenAI wird hier bei steigenden Kundenanforderungen zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Das ist auch nicht verwunderlich, gilt es doch, komplexe, erklärungsbedürftige Finanzprodukte, die gegenüber dem Wettbewerb kaum differenziert sind, zu vermarkten und über den gesamten Lebenszyklus hinweg passende Kundenangebote zu unterbreiten. Ein durch den Einsatz von KI optimiertes digitales Erlebnis kann dabei helfen, die gesamte CX über sämtliche Zugangswege der Bank zu verbessern. Dies trägt maßgeblich dazu bei, Kund*innen nicht nur zufriedenzustellen, sondern auch langfristig und wirtschaftlich nachhaltig an die Bank zu binden.
Unsere Umfragen bestätigen, dass zwei Drittel aller Marketing- und Vertriebsverantwortlichen in den nächsten zwölf Monaten Investitionen in GenAI-Lösungen planen. Diese Offenheit für die neue Technologie ist zu begrüßen, sollte aber nicht zu unbedachtem Handeln verleiten. Um GenAI wirklich sinnvoll einzusetzen, müssen Chancen und Risiken objektiv bewertet werden. Zu groß ist die Versuchung, hier aufgrund einer „Fear-of-Missing-Out“ unvorbereitet hineinzustolpern. Aber in welchen Funktionsbereichen der Bank macht GenAI am meisten Sinn? Einige mögliche Anwendungsfälle sind die folgenden:
Personalisierte Finanzberatung: GenAI kann dazu genutzt werden, maßgeschneiderte Anlageberatung anzubieten und geeignete Finanzprodukte auszuwählen, indem sie Kundenprofile analysiert und individuelle Anlagestrategien auf Basis von Risikotoleranz, Anlagezielen und persönlichen Präferenzen erstellt. Durch die Verwendung von natürlicher Sprachverarbeitung (NLP) und maschinellem Lernen können Banken ihren Kund*innen eine auf sie zugeschnittene, umfassende und zeitnahe Beratung bieten, die weit über die traditionelle Finanzberatung hinausgeht – sowohl in ihren digitalen Angeboten als auch in ihren Filialen und Beratungszentren. Zahlreiche Banken experimentieren bereits mit solchen Ansätzen (etwa JPMorgan Chase & Co mit IndexGPT für die Vermögens- und Anlageberatung).
Kundenservice: GenAI ermöglicht es Banken, intelligente Chatbots und Sprachassistenten zu entwickeln, die Kundenanfragen auf einem neuen Niveau behandeln (etwa die Wells Fargo Bank mit einem vollständig bot-gestützten Kreditantragsprozess). Selbst komplexe Anfragen, etwa nach Details zu Aktieninvestments im eigenen Portfolio, können so schnell und effizient beantwortet werden. Dazu werden beispielsweise Informationen zum Depot des Kunden oder der Kundin sowie relevante regulatorische Vorgaben in Echtzeit zusammengeführt und durch die Nutzung eines Large Language Model (LLM) eine Antwort generiert. Auch im Call Center kann die Effizienz stark gesteigert werden, indem die Bearbeitungszeit pro Anfrage dramatisch reduziert und die Call Deflection Rate verbessert werden. Unsere Analysen zeigen ein Einsparpotenzial von bis zu 40% bei den Kosten für Service Center im Customer Care-Bereich (IBM, 2023).
Automatisierte Kundenkommunikation: Mithilfe von GenAI können Banken personalisierte, zielgerichtete und konsistente Kommunikation über verschiedene Kanäle hinweg in einer neuen Qualität umsetzen. (z.B. Citigroup in der Leadgenerierung). Marketingmaterialien, Produktinformationen und Kundenkorrespondenz können automatisch auf Basis der im CRM-System und der Customer Data Platform (CDP) vorliegenden Kundeninformationen erstellt werden. Die Inhalte werden dabei optimal an den jeweiligen Kundenkontext und die gewünschten Kommunikationsziele anpasst. Als Erweiterung traditioneller Beratungsprozesse gedacht, z.B. in der Dokumentation für die Kund*innen, wird Individualisierung im Massengeschäft wieder wirtschaftlich sinnvoll möglich.
Kundenanalyse: GenAI kann dazu beitragen, das emotionale Kundenempfinden besser zu verstehen und gezielt darauf eingehen, indem es Stimmungs- und Emotionsanalysen durchführt. Durch die Analyse von Kundenfeedback und der Kommunikation in sozialen Medien, E-Mails und Telefonaten können Banken ihre Kundenbeziehungen stärken und proaktiv auf Probleme oder Anliegen eingehen. (etwa Capital One bei der Analyse von Kundeninteraktionen). Auch die bislang schon häufig praktizierte Priorisierung im Routing, etwa im Bereich Customer Care, bei der Kund*innen mit hoher Attrition-Wahrscheinlichkeit (z.B. erkannt am gemessenen Erregungsfaktor), vorgezogen werden, können weiter optimiert werden, um so Churn-Raten zu verbessern. Die Entscheidung, wo im weiteren Dialog Mensch oder Maschine besser einzusetzen sind, kann damit von Fall zu Fall und sehr zielgenau getroffen werden.
Um diese Potenziale zu heben, ist es für Banken entscheidend, GenAI ganzheitlich zu sehen und nicht nur als eine weitere Stand-Alone-Technologie. Generative KI muss sinnvoll in die bestehende Systemlandschaft eingebunden werden. Entsprechend sind fundierte Entscheidungen in Bezug auf IT-Infrastruktur, Daten- und Cloud-Strategie zu treffen, um nicht in eine technologische Sackgasse zu geraten. Auch sind die Potenziale von Generativer KI im Hinblick auf den möglichen Wertbeitrag und die verschiedenen Umsetzungsoptionen nüchtern zu bewerten. Dabei sind insbesondere die folgenden sechs Erfolgsfaktoren zu berücksichtigen.
1. Die richtigen Anwendungsfälle wählen
Es ist wichtig, diejenigen Use Cases zu identifizieren, die für die eigene Bank sinnvoll sind und nachhaltigen Mehrwert bieten. Mögliche Ziele können sein: Verbesserte Entscheidungsfindung durch KI-gestützte Assistenten, Optimierung von Finanzprodukten und -dienstleistungen, oder Automatisierung interner Prozesse. Alles auf einmal zu versuchen, endet allerdings meist in ernüchternden Ergebnissen.
2. Entscheidung zwischen „Use“ oder „Build“
Eine zentrale Entscheidung besteht darin, zwischen der Nutzung von Standardlösungen („Use“) und der Eigenentwicklung („Build“) zu wählen. Bei der Abwägung sollte man Faktoren wie die Verfügbarkeit von Standardlösungen, deren Flexibilität, Modell- und Infrastrukturanforderungen und die Integrierbarkeit in die eigene Systemlandschaft berücksichtigen.
Für Banken können fertige Tools in manchen Fällen zu stark einschränken, insbesondere wenn man eigene Unternehmensdaten nutzen und das Modell optimieren möchte, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Standardlösungen können auch Risiken bergen, etwa hinsichtlich ihrer Genauigkeit oder der Einhaltung von regulatorischen Anforderungen, vor allem im Bezug auf Datenschutz- und Urheberrechtsvorschriften. Daher ist es wichtig, die vorgegebenen und individuellen Anforderungen und Ziele sorgfältig zu prüfen, bevor man eine Entscheidung trifft (etwa die Bloomberg Eigenentwicklung BloombergGPT für die Analyse komplexer Finanzmarktdaten).
3. Das passende Modell wählen
Wenn man sich für „Build“ entscheidet, ist die Auswahl des geeigneten Modells und der richtigen Implementierungsoption entscheidend. Obwohl große Sprachmodelle wie GPT-4, Claude und Llama 2 die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sind sie nicht zwangsläufig die beste Wahl für jeden Anwendungsfall im Bankwesen. Es ist wichtig, das richtige Gleichgewicht zwischen Modelltyp, Genauigkeit, Geschwindigkeit und Kosten relativ zu den Anwendungsbereichen zu finden.
Bei der Auswahl des KI-Modells kann man zwischen proprietären Modellen wie GPT-4 von OpenAI und Open-Source-Modellen unterscheiden, von denen zum Beispiel bei der ML-Community Hugging Face derzeit über 120.000 verfügbar sind. Die Kostenstruktur sollte genau analysiert werden, um die wirtschaftlich sinnvollste Implementierung zu erreichen.
4. Infrastruktur und Implementierung strategisch planen
Die eigene Infrastruktur und Informationsarchitektur, insbesondere in Bezug auf die Datenverarbeitung, spielt für KI-Anwendungen im Bankensektor ebenfalls eine große Rolle. Die Qualität und Verfügbarkeit der Trainingsdaten entscheiden dabei über die Qualität der Ergebnisse – auch die Nutzung synthetischer Daten kann sinnvoll sein. Die Wahl der richtigen Bereitstellungsoptionen in einer modernen Hybrid-Cloud-Architektur ist auch wichtig, um Sicherheitsanforderungen zu erfüllen.
5. Governance und Ethik berücksichtigen
Wie überall im Bankgeschäft gilt auch hier: Vertrauen ist die Grundlage für erfolgreiche KI-Anwendungen. Daher ist es entscheidend, GenAI-Lösungen an ethischen KI-Anforderungen wie Erklärbarkeit, Fairness, Zuverlässigkeit, Transparenz und Datenschutz zu messen. Es empfiehlt sich, frühzeitig über Governance-Strukturen und Richtlinien für den Einsatz von KI im eigenen Unternehmen nachzudenken, um Risiken zu vermeiden.
6. Das Team sinnvoll vorbereiten
Sobald eine KI-Lösung dauerhaft genutzt oder betrieben werden soll, ist es wichtig, die Mitarbeitenden darauf vorzubereiten. Je mehr Verständnis für die Möglichkeiten und Grenzen von GenAI-Technologien vorhanden ist – etwa durch die Bereitstellung sicherer Umgebungen, in denen KI-Fähigkeiten ausprobiert werden können – desto kompetenter können die Bankmitarbeitenden mit den neuen Lösungen im Alltag arbeiten. Ein ungeplanter Start kann hier wiederum viel (Reputations-)Schaden anrichten – wie die jüngsten ChatGPT-Zugriffsbeschränkungen einiger globaler Finanzinstitute zeigen.
Wenn die genannten Herausforderungen umfassend berücksichtigt werden und in die Auswahl geeigneter GenAI-Lösungen einfließen, steht einer erfolgreichen Anwendung von Generativer KI in der eigenen Bank nichts mehr im Wege. Insgesamt ist sie eine vielversprechende Technologie, die es erlaubt, die Kundenbeziehungen zu stärken, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und letztendlich nachhaltigen Erfolg zu sichern.
Über die Autoren:
Jan Pilhar ist Experte für digitale Transformation mit Fokus auf Customer Experience und führt als Co-Lead Digital Advisory das Beratungsgeschäft von IBM iX in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In dieser Rolle unterstützt er Organisationen bei der digitalen Transformation und der Entwicklung von neuen digitalen Service- und Geschäftsmodellen. Er leitet alle GenAI Initiativen für IBM iX im DACH-Raum und hat in Europa, Asien und den USA für Beratungen und Agenturen komplexe Digitalprojekte verantwortet.
Ilker Uzkan verantwortet als Banking Lead bei IBM iX die Weiterentwicklung des Leistungs- und Kundenportfolios im Bereich Banken & Finanzdienstleistungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er verfügt über mehr als 20 Jahre internationale Projekterfahrung in leitenden Funktionen als Berater und Stratege für digitale Innovation und Produktentwicklung aus der Zusammenarbeit mit führenden Banken und Marken weiterer Industrien mit. Gemeinsam mit seinem Team sucht er bei der Konzeption und Umsetzung digitaler Lösungen täglich nach unkonventionellen Wegen und neuen Technologien, um den Geschäftswert für seine Kund*innen zu maximieren.