Mittelfristig bietet Öl Chancen

Die Schwankungen am Ölmarkt sind hoch. Nach einem kräftigen Anstieg am Jahresbeginn setzte ein wochenlanger Preisverfall ein. Zwischenzeitlich kostete ein Fass der Sorte Brent 53 US-Dollar – so wenig wie seit mehr als einem Jahr nicht mehr. Zuletzt kam es zu einer leichten Gegenbewegung. Wie sind die Aussichten am Ölmarkt? Ein Beitrag von Thomas Benedix, Union Investment

Thomas Benedix, Union Investment

Der Preisrutsch bei Öl seit Jahresbeginn hat zwei wesentliche Ursachen: Erstens ist der Winter nahezu in der gesamten nördlichen Hemisphäre sehr mild. Dadurch heizen die Menschen weniger und brauchen entsprechend weniger Öl. Die zweite Ursache ist die rasche Ausbreitung des Corona-Virus in China. Im Reich der Mitte gibt es aufgrund der Epidemie Einschränkungen und Verbote im Transport- und Tourismussektor, auch ausländische Fluglinien haben viele ihrer Flüge von und nach China gestrichen. Wenn weniger gereist oder transportiert wird, braucht man auch weniger Kraftstoff. Und nicht nur das: Insgesamt dürfte das Wirtschaftswachstum in China im ersten Quartal unter der Corona-Epidemie leiden.

Und das bleibt nicht ohne Folgen für den Ölmarkt, denn China ist mittlerweile nach den USA der zweitwichtigste Ölnachfrager der Welt. Das Reich der Mitte verbraucht etwa 14 Millionen Barrel am Tag. Das ist nahezu die Hälfte dessen, was die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) an Öl fördert.

Die OPEC wies in ihrem Monatsbericht, der Mitte Februar veröffentlicht wurde, ausdrücklich auf die Folgen der Corona-Epidemie hin. Der Ausbruch des Virus werde sich auf die Nachfrage in Asien auswirken. Das Ölkartell hat in diesem Zuge seine Prognose für die weltweite Nachfrage kräftig gesenkt. Im ersten Quartal dürfte diese um durchschnittlich 440.000 Fässer pro Tag niedriger ausfallen als bisher prognostiziert.

OPEC sorgt für Bodenbildung

Keine guten Nachrichten für Öl. Nach seinem freien Fall kann der Ölpreis seit ein paar Tagen aber wieder etwas Boden gutmachen. Verantwortlich dafür ist die OPEC. Sie und ihre Kooperationspartner (OPEC+) wollen aufgrund der Corona-Auswirkungen die Produktion weiter kürzen. Dabei nehmen sie eine erneute Drosselung bis Ende Juni ins Visier. Zur Erinnerung:  Erst im Dezember haben die OPEC+-Staaten eine Förderkürzung um 500.000 Fässer pro Tag beschlossen. Damit wollen sie das Angebot knapp halten und den Preis nach oben treiben. Soweit, so erfolglos.

Wie geht es weiter am Ölmarkt? Wird sich diese zarte Stabilisierung des Preises fortsetzen? Kurzfristig sehen wir keine nachhaltige Erholung des Preises. Trotz der OPEC-Kürzungen befindet sich der Ölmarkt derzeit im Überschuss. Mittelfristig sehen wir allerdings wieder Chancen. Eine Preissteigerung um etwa 20 Prozent bis auf 65 US-Dollar bei Brent-Öl halten wir in den nächsten zwölf Monaten für möglich.

Denn nicht nur vonseiten der OPEC verknappt sich das Angebot. Auch die US-Schieferölanbieter fördern weniger Öl. Bei diesem niedrigen Ölpreis können sie nicht kostendeckend produzieren. Wir gehen daher davon aus, dass weitere US-Produzenten ihre Bohrtürme schließen, was sich positiv auf den Preis auswirken sollte.

Dafür könnte auch der Konflikt im Nahen Osten sorgen. Die Vereinigten Staaten töteten am 2. Januar den iranischen General Qasem Soleimani und lösten damit unter anderem einen starken Anstieg der Unsicherheit an den Kapitalmärkten aus. Neben dem Ölpreis legte auch die Goldnotierung sprunghaft zu, während die Aktienmärkte weltweit unter Druck gerieten. Es wurde eine massive Eskalation befürchtet, denn der Iran kündigte Vergeltung an und nahm später auch US-Stützpunkte im Irak unter Beschuss.

Auch wenn der Iran aufgrund der von den USA verhängten Sanktionen kaum noch Öl exportiert, ist der Persische Golf insgesamt weiter von enormer Bedeutung für die weltweite Rohölversorgung. Schließlich wird hier etwa ein Viertel des weltweiten Ölangebots gefördert. Eine Lieferengpass, zum Beispiel durch Attacken auf Pipelines oder eine Seeblockade, würde den Ölmarkt daher empfindlich treffen.

Iran-Konflikt nicht vom Tisch

Letztlich blieb die befürchtete Eskalation aus. Beide Seiten waren sogar sichtlich um verbale Deeskalation bemüht. Der Konflikt ist damit aber nicht vom Tisch. Strategisch verfolgt Teheran das Ziel, seine Stellung in der Region durch die Stärkung alliierter Kräfte auszubauen. Dabei handelt es sich um eine tief verwurzelte, religiöse Auseinandersetzung zwischen dem schiitisch geprägten Iran und seinen vorwiegend sunnitischen Nachbarn. Mit diesem Ziel befindet sich der Iran auf Kollisionskurs mit den USA und deren Verbündeten. Deswegen bestehen auch harte Sanktionen, die die iranische Wirtschaft in die Rezession getrieben haben. Auch wenn erst einmal etwas Ruhe eingekehrt ist: Die geopolitische Lage im Nahen Osten bleibt von Interessensgegensätzen geprägt. Wir erwarten weiterhin eine beiderseitige „Politik der Nadelstiche“, die sich immer wieder auf den Ölpreis auswirken kann.

Auch die Ölnachfrage könnte in den kommenden Monaten wieder anziehen und sich daher positiv auf den Preis auswirken: Dies hängt damit zusammen, dass sich das weltweite Konjunkturbild – unter anderem aufgrund der Entspannung im Handelskonflikt – erholt und an Dynamik gewinnt. Daneben ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Folgen des Corona-Virus nach dem ersten Quartal konjunkturell verdaut sein dürften. Damit bieten sich – auch wenn es derzeit nicht so rosig aussieht – mit Blick auf die nächsten Monate für aktive Investoren durchaus Chancen am Ölmarkt.

Autor Thomas Benedix ist Rohstoffexperte bei Union Investment.

Foto: Union Investment

 

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