Welche Chancen haben Vermittler aktuell im Segment Mittelstandsfinanzierung?
Kuckertz: Die Chancen sind aus dreierlei Gründen hoch. Zum einen ziehen sich Banken zunehmend aus der Fläche zurück und konzentrieren sich bei der Finanzierung von KMU, also von kleinen und mittleren Unternehmen, auf Standardprozesse und Standardfinanzierungen. Die individuelle hochwertige Beratung fehlt inzwischen bei der Bank und damit auch deren bisheriger Vorteil für Unternehmer. Daraus erfolgt automatisch der zweite Grund. Die Bindung von Unternehmen an ihre Hausbank war früher ein dickes Drahtseil. Da kam keiner dazwischen. Inzwischen ist von diesem Drahtseil nur noch ein ganz dünner Faden übrig geblieben. Ein serviceorientierter Dienstleister vor Ort kann sehr einfach die Rolle der finanzierenden Bank übernehmen, sofern er passende Produktlösungen anbieten kann. Damit kommen wir zum dritten Grund: Die Digitalisierung hat mehrere Fintechs entstehen lassen, über die Finanzvermittler ein entsprechendes Angebot darstellen können. Kurz: verschwindende Anbieter – Banken – hinterlassen enttäuschte Kunden. Vermittler können mit neuen digitalen Lösungen direkt in die Marktlücke reinspringen.
Welche Anforderungen sollte ein Finanzvermittler erfüllen, der sich auf Mittelstandsfinanzierung spezialisieren will – sowohl rechtlich als auch mental?
Kuckertz: Die Vermittlung von Finanzierungen fällt unter den freien Bereich des Paragrafen 34c Gewerbeordnung. Für diesen Bereich gibt es weder eine Mindestqualifizierungspflicht noch die Pflicht zur permanenten Weiterbildung. Eine Gewerbeanmeldung reicht. Allerdings ist das Geschäft inhaltlich anspruchsvoll und ohne ein Mindest-Know-how nicht leistbar. Damit Vermittler genau wissen, was sie wie tun können, ist also eine Ausbildung erforderlich. Im Idealfall in einer Form, die nach außen auch kommuniziert werden kann. Wir haben daher mit der IHK Frankfurt am Main gemeinsam die Qualifizierung „Fachmann/-frau für Unternehmensfinanzierung (IHK)“ entwickelt. Teilnehmer lernen dort nicht nur, wie Finanzierungen funktionieren. Weiterer Kern der Qualifizierung ist, wie ein Unternehmer zu denken. Zum Teil unterstützen Finanzierungsplattformen diese Ausbildung. Darüber hinaus entwickeln wir gerade mit dem Bundesverband deutscher Leasingunternehmen (BDL) eine vergleichbare Qualifizierung für das Leasinggeschäft.
Wie weit ist der Bereich Mittelstandsfinanzierung in Sachen Digitalisierung?
Kuckertz: Das Thema geht mit extrem großen Schritten voran. Sowohl bei Banken als auch bei Fintechs sind für KMU inzwischen Standardprozesse vorgesehen, die in weiten Teilen digitalisiert abgewickelt werden. So gehören zum Beispiel stundenlange Bilanzanalysen inzwischen der Vergangenheit an. Finanzierungen gehen dadurch nicht nur kostengünstig, sondern im Standardbereich auch blitzschnell.
Und wie sieht es in Sachen Nachhaltigkeit aus?
Kuckertz: Der gesamte Bereich der Nachhaltigkeit ist derzeit in einer äußerst dynamischen Entwicklung. Der Gesetzgeber konzentriert sich bei den ESG-Regeln immer auf die sehr großen Unternehmen. KMU sind meist noch nicht direkt betroffen, Banken allerdings schon. Das betrifft dann den Betrieb der Bank selbst und darüber hinaus auch die Kunden. Denn Banken müssen ein Augenmerk darauf richten, was mit ihren Krediten finanziert wird. Das gilt in besonderem Maße im Leasinggeschäft, weil der Leasinggegenstand nicht dem KMU, sondern der Leasing-Bank gehört. So sind die KMU dann über den Umweg der Banken mittelbar von allen neuen Regelungen betroffen. Das sind die Unternehmen meist aber sowieso, weil sie als Lieferanten, Abnehmer oder Dienstleister von Großunternehmen ebenso betroffen sind. Denn Großunternehmen müssen die Lieferketten in Bezug auf die Nachhaltigkeitsthemen mit im Fokus behalten. Im Zusammenhang mit der Beratung von KMU wird man sich daher auch immer um die Nachhaltigkeitsthemen kümmern müssen. Egal ob man Finanzierungen vermittelt oder zum Beispiel zur betrieblichen Altersvorsorge berät.
Wie schätzen Sie mittel- bis langfristig die Chancen für Vermittler in diesem Segment ein?
Kuckertz: Einen Kredit aufzunehmen ist für einen Unternehmer eine extrem wichtige und oft existenzielle Entscheidung. Damit ist ein persönlicher Ansprechpartner wichtig. Die Digitalisierung ersetzt hier nicht den Berater, sondern ermöglicht dem Berater erst ein entsprechendes Angebot. Die Bindung zwischen dem Unternehmen und dem Berater, der die Finanzierung professionell vermittelt, ist sehr eng. Cross-Selling zum Beispiel im Sachversicherungsbereich ist relativ leicht möglich. Zudem ist der Geschäftsbereich selbst sehr lukrativ. Während viele Geschäftsbereiche für Finanzdienstleister in den nächsten Jahren verschwinden werden, gehört dieses Geschäftsfeld klar zu einem der wichtigsten Ertragsbringer der Zukunft.
Die Fragen stellte Kim Brodtmann, Cash.