Deutsche Arbeitgeber haben ein Problem. Knapp zwei Drittel aller Beschäftigten hierzulande sind unzufrieden mit ihrer Bezahlung. Das geht aus dem Gehaltsreport des Stellenportals Stepstone hervor. Für Unternehmen ist das nicht ungefährlich: Ein zu niedriges Gehalt ist Studien zufolge bei vielen grundsätzlich wechselbereiten Angestellten der ausschlaggebende Grund, nach einem neuen Arbeitgeber Ausschau zu halten. Die Versicherungsbranche sollte hellhörig werden: Laut dem Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen (AGV) war im Jahr 2023 der häufigste Grund für die Fluktuation in Versicherungsunternehmen, dass Arbeitnehmer von sich aus gekündigt haben.
Zwar gilt die Assekuranz als Branche, in der sehr gut verdient wird: Die Durchschnittsgehälter sind laut Verbandsstatistik besonders hoch und liegen stets über denen anderer Wirtschaftszweige. Wer eine Führungsposition inne hat oder über spezielles Fachwissen verfügt, kann signifikante Gehaltssprünge erzielen. Doch ausruhen können sich Versicherer auf dem aktuellen Niveau nicht: Durch Krieg, Energiekrise und Inflation beobachten wir einen Trend zu stark steigenden Gehältern. Und diese Entwicklung wird uns in den kommenden Jahren noch begleiten.
Gen Z schraubt Gehaltsspirale weiter nach oben
Was den Druck auf die Unternehmen – und auf die Gehälter – noch verschärft ist der Wettbewerb um Talente: Er gilt als eines der größten Risiken in der Assekuranz. Kein Wunder, wenn man sich die Zahlen auf dem Arbeitsmarkt ansieht. Bis 2030 werden Unternehmen im Finanzdienstleistungssektor aktuellen Schätzungen zu Folge allein durch Verrentung durchschnittlich deutlich mehr als 30 Prozent ihrer Mitarbeitenden verlieren.
Laut dem Arbeitgeberverband der Versicherungswirtschaft, AGV, liegt das Durchschnittsalter in der Versicherungsbranche bei 44,2 Jahren. Viele große Erstversicherer haben vakante Stellen im dreistelligen Bereich. Wer im „War for Talents“ weiterhin bestehen will, muss seine Attraktivität auch über das Gehalt beweisen.
Leichtmachen werden es die neuen Kandidatinnen und Kandidaten den Unternehmen nicht. Die stark umworbene Gen Z zeichnet sich durch enormes Selbstbewusstsein und ein neues Selbstverständnis aus. Sie hat früh gelernt, Dinge nicht einfach hinzunehmen sondern für das einzustehen, was sie sich wünscht und als gerecht empfindet. Dementsprechend sind die Jüngeren besser darin, unangenehme Themen anzusprechen, wie beispielsweise Gehaltsforderungen.
Auch intern wird es häufiger Gesprächsbedarf geben. Denn die sich weiter hochschraubende Gehaltsspirale drückt nicht nur auf die Margen der Unternehmen – sondern auch auf die Stimmung unter den bestehenden Kräften. Weshalb sollten sie leer ausgehen, wenn die jüngeren Generationen klar mehr fordern können und auch bekommen werden als ihre Vorgänger? Versicherer und Makler tun gut daran, sich vorzubereiten und sich entsprechende Strategien zuzulegen.
Budgetkorsett vermeiden
Was können Versicherer also tun? Gerade jetzt müssen sie ein Vorgehen entwickeln, wie sie neue Kandidaten gewinnen und die bestehenden Mitarbeitenden mit einer fairen und passenden Entlohnung an das Unternehmen binden. Das bedeutet nicht, dass sie jeder Forderung nach mehr Geld nachkommen müssen. Es gibt auch nichtmonetäre Anreize, die in verschiedenen Altersgruppen an Bedeutung gewinnen. Nur wer das volle Argumentarium kennt – und richtig kommuniziert – wird den Schlüssel zum Erfolg für die Zukunft sichern können.
Bei jeder neuen Stellenbesetzung sollten Unternehmen sich bewusstmachen:Budget ist nicht alles. Kompetentes Personal ist eine Investition wert, weil es sein Gehalt vielfach einarbeitet. Das gilt besonders in der komplexen Versicherungsbranche, in der Branchenerfahrung und das Wissen über Prozesse und Produkte essentiell ist. Zu oft erleben wir jedoch, dass Verhandlungen daran scheitern, dass stur an Vorgaben festgehalten wird. Manchmal ist es für Unternehmen mittel- bis langfristig besser, das Budget nochmals zu diskutieren als die Persönlichkeit.
Und wenn Wunschkandidaten absagen, ist der Schaden viel größer als ein paar Prozent über dem geplanten Etat zu liegen. Bei bevorstehenden Verhandlungen mit bewährten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gilt das Gleiche. Dauerhafte Vakanzen lassen sich auch berechnen und intern verargumentieren. Und die wenigsten Unternehmen können es sich leisten, erfahrene Kräfte zu verlieren. Versicherern kommen damit nicht nur immense Kapazitäten abhanden, sondern auch wertvolles, teils über Jahre aufgebautes Expertenwissen. Ein striktes Festhalten an Budgetvorgaben kann sich sogar als Risiko für ein Unternehmen erweisen.
Generationenspezifische Angebote verbessern
Die Assekuranz hat Mitarbeitenden viel zu bieten – doch das verbirgt sie noch zu gut. Tatsächlich gilt sie als Branche mit vorbildlichen Arbeitsbedingungen. In unseren Gesprächen spüren wir, dass diese Argumente jedoch noch nicht immer ausreichend in Gehaltsverhandlungen kommuniziert und genutzt werden.
Dabei geht es nicht immer nur um Geld. Oftmals gilt es, den Lebenswert einer Position im Unternehmen aufzuzeigen. Beispielsweise ist einer zunehmenden Zahl von Arbeitnehmern die persönliche Work-Life-Balance wichtiger als das eigentliche Gehalt. Gegenstand der Verhandlungen können also flexible Arbeitszeitmodelle wie auch Kita-Plätze sein. Aber auch betriebliche Altersvorsorge, vermögenswirksame Leistungen, Dienstwagen, mehr Urlaub oder Mobilitätszuschüsse können bei manchen Mitarbeitenden den Ausschlag geben.
Nicht allen kann mit allem geholfen werden. Arbeitgeber müssen heute den Bedürfnissen von vier Generationen Rechnung tragen. Die Babyboomer wie auch die Generationen X, Y und Z sind in verschiedenen Lebensphasen und haben unterschiedliche Erwartungen und familiäre wie private Bedürfnisse. Wer auf die verschiedenen Alterskohorten im Unternehmen eingehen und ihnen spezifische Services anbieten kann, ist möglicherweise für viele attraktiver als ein Anbieter, der Spitzengehälter zahlt. Solche Angebote können zum Beispiel Gesundheitsleistungen sein, die Vermittlung von Unterstützung bei der Pflege Angehöriger oder die Seniorenberatung.
Versteckte Bedürfnisse offenlegen
Bei alldem gilt es, auf die gesamte Belegschaft zu achten. Neueinstellungen und Gehaltserhöhungen Einzelner setzen auch im Unternehmen neue Standards. Bei den bestehenden Kräften darf dadurch nicht der Eindruck entstehen, dass sie nur eine Kündigung bei Gehaltsfragen wirklich weiterbringt. Vorgesetzte müssen nicht allen Wünschen entsprechen. Aber sie tun gut daran, die unterschiedlichen Sichtweisen ernst zu nehmen. Wichtig ist, dass bei einem Gespräch dann alle möglichen Komponenten und Lösungen angesprochen und thematisiert werden.
Selbstverständlich ist das nicht. Gehaltsverhandlungen gleichen dem berühmten Eisberg, dessen Spitze herausragt, der aber einen bedeutenden Teil unter der Wasseroberfläche verbirgt. Damit auch versteckte Bedürfnisse zum Vorschein kommen und alle Erwartungen auf faire Weise kommuniziert werden, kann ein Moderator hilfreich sein. Insbesondere bei Führungskräften und Spezialisten mit einem Jahreseinkommen ab 100.000 €, empfehlen wir geführte Vertragsverhandlungen.
Als Executive-Search-Beratung mit dem größten Team an Personalberatern und Researchern in der Assekuranz unterstützen wir Versicherer und Makler seit Jahren dabei, die richtigen Persönlichkeiten zu finden. Dabei agieren wir unter anderem auch als Moderator und Vermittler bei Gehaltsverhandlungen. Zielsetzung ist, einen sinnvollen Gehaltskorridor vorab mit beiden Seiten abzustimmen und Lösungen zu finden, die sämtlichen Interessenlagen gerecht werden. Gute und dauerhafte Arbeitsbeziehungen sind eine Win-Win-Situationen für alle – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels.
Die Autoren Thomas Dudkiewicz und Jürgen Dörendahl sind Geschäftsführende Gesellschafter der le groupe bleu GmbH