Dirk Müller: „Man wird den Ländern immer mehr Kompetenzen abnehmen“

Welche Auswirkungen hätte der Brexit auf die Finanzbranche in Großbritannien?

Die Erwartungshaltung, die da zunächst war, dass sich die Londoner City auflöst –ich übertreibe es mal ein bisschen– und nach Frankfurt umzieht, die habe ich nie gesehen. Der Londoner Finanzdistrikt ist ein eigener Kosmos für sich, der wunderbar verzahnt ist und das wird auch künftig so bleiben.

Es werden einige Abteilungen nach Europa verlegt werden, die man aufgrund der Regulierung hier haben muss, aber ansonsten wird sich die Londoner City nicht auflösen. Auch da wird Großbritannien Sonderlösungen finden. Vielleicht viel einfachere Bankenregulierungen für Fintechs, für die Bankenbranchen überhaupt, die leichter zu erfüllen sind. Es gibt viele Parallelen zu anderen Branchen. Und auch hier gilt, man braucht möglichst schnell eine Entscheidung.

Wird die Inkompatibilität mit europäischen Richtlinien zum Problem werden?

Wie gesagt, da werden einige Abteilungen ausgelagert. Schauen Sie sich an, wie viele Bankendistrikte oder welche Bankenzusammenballungen wir in Honkong haben, in den USA und in Zürich. Die sind auch außerhalb des Eurosystems und das funktioniert prima.

Einige Beobachter sehen im Brexit eine Chance für europäische Reformen. Schließen Sie sich dieser Meinung an?

Nur bedingt. Meine Prognose für die nächsten Jahre ist, dass wir eine Entwicklung sehen zu mehr zentralen Kompetenzen in Brüssel, weniger in den einzelnen Nationalstaaten und dafür etwas mehr Kompetenz in den Regionen.

Damit hat man die Bevölkerung der einzelnen Regionen gewonnen, die sagen: ‚Mir ist es egal, wer den Verteidigungsminister stellt oder ob der Finanzminister in Berlin sitzt oder in Brüssel, wenn ich dafür in meiner Region, die für mein Leben viel entscheidend ist, mehr zu sagen habe.’ Ich glaube, das ist die richtige Idee und auch, was Macron ganz wesentlich befeuert hat.

Welche Auswirkungen hätte diese Zentralisierung für die Wirtschaft?

Es wäre für die Wirtschaft eine sehr spannende Geschichte, denn wir hätten eine bessere Planbarkeit. Die Rechts- und Planungssicherheit ist für Unternehmen das Wichtigste. Und wir haben momentan die Situation, dass wir zwei starke Gesetzgeber haben, einen in Brüssel, einen in Berlin, was immer wieder zu Doppelbelastungen und Doppelentscheidungen führt, die sich oftmals widersprechen.

So geht es anderen Ländern auch. Die Zentralisierung und Reduzierung der Entscheidungen in den Nationalstaaten wäre zumindest für die globale Industrie und die großen Konzerne von Vorteil, innerhalb der europäischen Union. Wie es für die mittelständischen Unternehmen aussieht, das ist wieder ein ganz anderes Thema. Dort sind es eher die regionalen Themen, die dominieren.

Interview: Katharina Lamster

Foto: Frank Seifert

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