Munich Re: Naturkatastrophen verursachen weltweit Schäden von über 110 Milliarden US-Dollar

Bildagentur PantherMedia / CanerArican
Zerstörte Gebäude nach dem Erdbeben in der Türkei

Das Erdbeben in der Türkei, Tornados und Hagelschläge in den USA, Zyklone im Pazifikraum: Die Münchener Rück hat ihre Halbjahresbilanz der durch Naturkatastrophen verursachten Schäden vorgelegt. Zwar fielen die Gesamtschäden mit 110 Milliarden US-Dollar geringer aus als 2022. Doch der Trend zeigt, dass die Schadensummen im Zehn-Jahres-Schnitt weiter steigen. Gerade einmal 35 Prozent der weltweiten Schäden waren versichert.

Das erste Halbjahr 2023 reiht sich ein in sehr schadenintensive vorhergehende Jahre: Der Gesamtschaden fiel mit 110 Milliarden US-Dollar war geringer aus als in der ersten Hälfte 2022 (120 Milliarden US-Dollar), lag aber inflationsbereinigt deutlich über dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre (98 Milliarden US-Dollar). Ähnliches gilt für die versicherten Schäden: Die waren gegenüber dem Vorjahr mit 43 Milliarden US-Dollar unter den Vorjahresschäden von 47 Milliarden US-Dollar, aber deutlich über dem Zehn-Jahres-Durchschnitt der Halbjahre von 34 Milliarden US-Dollar.

Weniger als 40 Prozent der Gesamtschäden des ersten Halbjahres waren versichert – ein Hinweis auf die unverändert große Versicherungslücke in vielen Ländern bei vielen Naturgefahren. Im Durchschnitt der ersten Halbjahre von 2013 bis 2022 trugen die Versicherer rund 35 Prozent der weltweiten Schäden. 

Die teuersten Naturkatastrophen des ersten Halbjahres

Das Erdbeben in der Türkei und Syrien war nach Angaben der Münchener Rück mit Abstand die folgenreichste Naturkatastrophe des Halbjahres. Am 6. Februar erschütterte eine Serie von Erdstößen die Grenzregion im Südosten der Türkei nahe Syrien. Die schwersten Erdstöße hatten eine Magnitude von 7,8 und 7,5. Es waren die stärksten Beben in der Türkei seit Jahrzehnten. Sehr viele Gebäude, Straßen und Brücken wurden komplett zerstört. Rund 58.000 Menschen kamen ums Leben – dadurch war auch die weltweite Zahl der Todesopfer durch Naturkatastrophen in der ersten Jahreshälfte mit rund 62.000 so hoch wie seit 2010 nicht mehr. Der Gesamtschaden durch die Erdbeben in beiden Ländern wird auf rund 40 Milliarden US-Dollar geschätzt, davon etwa fünf Milliarden US-Dollar in Syrien. 

Trotz einer Pflichtversicherung für Wohngebäude in der Türkei durch den Turkish Catastrophe Pool (TCIP) mit einer Versicherungsdichte von inzwischen mehr als 50 Prozent blieb der versicherte Anteil der Gesamtschäden mit etwa fünf Milliarden US-Dollar gering, so die Münchener Rück. Hintergrund sei, dass die Versicherungssumme des TCIP derzeit auf maximal 640.000 TL pro Wohneinheit (zum Zeitpunkt der Beben rund 34.000 US-Dollar) begrenzt sei. Gewerbebetriebe umfasst der Pool nicht. Auch Infrastruktur ist üblicherweise nicht versichert. Dabei wäre eine höhere Verbreitung von Versicherung gerade in einem Erdbeben-gefährdeten Land wie der Türkei wünschenswert und auch machbar, damit sich Betroffene – auch Staaten – schneller von den finanziellen Schäden erholen können.

Sehr hohe Schäden aus Schwergewittern in den USA

Serien von sehr schweren Gewittern mit zerstörerischen Tornados und Hagelschlägen auch in den USA trieben in der ersten Jahreshälfte die Schäden in die Höhe: Der Gesamtschaden aus diesen Gewittern lag bei mehr als 35 Milliarden US-Dollar, davon waren mehr als 25 Milliarden US-Dollar versichert. Mittlerweile scheinen Schäden durch Schwergewitter in den USA in dieser Größenordnung normal und nicht mehr ein Ausreißer zu sein. Nur in einem Jahr zuvor waren die inflationsbereinigten Gewitterschäden in den USA in der ersten Jahreshälfte höher (2011: 46 Milliarden US-Dollar für den Gesamtschaden, 29 Milliarden US-Dollar für den versicherten Schaden).

Bisher teuerstes Einzelereignis dieses Jahr war eine Gewitterserie Mitte Juni, die große Teile des US-Bundesstaats Texas traf. Schwere Sturmböen und bis zu 12 cm große Hagelsteine – fast die doppelte Größe eines Tennisballs – richteten schwerste Schäden an. Mehr als 50 Tornados wurden gezählt, darunter einige der Stufe drei auf der Enhanced-Fujita-Skala mit Windgeschwindigkeiten über 218 km/h. Der Gesamtschaden für diese Serie wird auf etwa 8,4 Milliarden US-Dollar geschätzt, von denen etwa sieben Milliarden US-Dollar versichert waren.

Die Forschung geht überwiegend davon aus, dass der Klimawandel schwere Gewitter mit Tornados oder Hagelschlägen begünstigt, da die fortschreitende Erwärmung zu mehr Verdunstung und vor allem in Bodennähe zu mehr Luftfeuchte führt. Das Potenzial für die Bildung von Gewittern ist dadurch erhöht. Im Trend zeigen auch die Gewitter-Schadenstatistiken in Nordamerika und Europa nach oben, auch wenn sie um den Wertezuwachs durch die wirtschaftliche Entwicklung bereinigt werden.

Klimawandel und El Niño: 2023 könnte das wärmste Jahr werden

„Die Folgen des Klimawandels beeinflussen unser Leben immer stärker. Das Jahr 2023 war schon in der ersten Jahreshälfte geprägt von Rekordtemperaturen in vielen Regionen der Welt, sehr hohen Wassertemperaturen in verschiedenen Ozeanbecken, Dürren zum Beispiel in Teilen Europas oder extremen Waldbränden im Nordosten Kanadas“, kommentierte Ernst Rauch, Chef-Klimatologe von Munich Re. Die weltweite Durchschnittstemperatur erreichte im Juni einen Rekord für diesen Monat: mehr als 1,2°C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit.  

„Wie 2016 spielt auch 2023 das natürliche Klimaphänomen El Niño eine Rolle, bei dem eine Temperaturschaukel im Pazifik Wetterextreme in vielen Regionen der Welt beeinflusst und temporär zu zusätzlicher Erwärmung führt. Allerdings ist der Forschungsstand zur weiteren globalen Temperaturentwicklung sehr klar: Der globale Trend zu höheren Wasser- und Lufttemperaturen wird überwiegend durch den Klimawandel bestimmt  – mit zunehmenden Wetterkatastrophen und finanziellen Belastungen daraus als Folge“, so Rauch weiter. 

Während einer El-Niño-Phase ist üblicherweise die Hurrikan-Aktivität im Nordatlantik gedämpft. Allerdings macht die außergewöhnlich hohe Wassertemperatur mit Werten von 1 bis 2°C über dem Durchschnitt in den Hauptentstehungsgebieten für Hurrikane es wahrscheinlicher, dass in der Hauptphase der Wirbelsturm-Saison ab August doch mehr Stürme entstehen. Die gegenläufigen Faktoren machen insgesamt Aussagen über die laufende Hurrikansaison schwierig.

Nordamerika – Schwere Gewitter mit Tornados und Hagel treiben die Schäden

Extreme Schwergewitter in den USA sorgten neben anderen Katastrophen im ersten Halbjahr wie üblich für einen hohen Anteil Nordamerikas an den weltweiten Schäden. Die Gesamtschäden in Nordamerika beliefen sich auf 42 Milliarden US-Dollar, davon waren durch die hohe Versicherungsdichte gegen Gewitterschäden – insbesondere im Auto-Kasko – rund 32 Milliarden US-Dollar versichert. 

Weltweite Aufmerksamkeit erreichten extreme Waldbrände in Nova Scotia im Nordosten Kanadas. Über Wochen hinweg loderten dort riesige Feuer in relativ dünn besiedelten Regionen. Die direkten Schäden hielten sich dadurch in Grenzen. Asche und Rauchwolken verteilten sich allerdings über weite Teile des Ostens der USA und verdunkelten den Himmel zum Beispiel über New York. Große für Versicherer relevante Schäden gab es nicht.

Europa – Hoher Schadenanteil durch Türkei-Erdbeben

Durch die Erdbeben-Katastrophe in der Türkei war der Anteil der Schäden in Europa im ersten Halbjahr 2023 ungewöhnlich hoch. Von rund 59 Milliarden US-Dollar, (48 Milliaren Euro) an Gesamtschäden waren nur etwa sieben Milliarden US-Dollar, (6,7 Milliarden Euro) versichert.  

Neben dem Erdbeben in der Türkei verursachten auch schwere Überschwemmungen in Nordost-Italien und angrenzenden Ländern sehr hohe Schäden. Insbesondere in der Region Emilia-Romagna in Norditalien folgten nach zwei Jahren Dürre im Mai mehrere Wellen schwerer Niederschläge aufeinander. 23 Flüsse traten über die Ufer. Eine Studie kam zu dem Schluss, dass im betroffenen Gebiet die Wahrscheinlichkeit für solche langanhaltenden Starkniederschläge bei einmal in 200 Jahren liegt.  

Durch die starke Urbanisierung waren die Folgen dieser Überschwemmungen schwerwiegend: Die Gesamtschäden beliefen sich auf etwa zehn Milliarden US-Dollar, (9 Milliarden Euro). Da wie in vielen Ländern das Hochwasserrisiko nicht Bestandteil der Standard-Gebäudeversicherung ist, lag der versicherte Anteil bei nur etwa 1,1 Milliarden US-Dollar, (1 Milliarde Euro).

Wie in anderen europäischen Ländern könnte eine höhere Versicherungsdichte dazu beitragen, dass betroffene Menschen nicht auf ihren Schäden sitzenbleiben oder auf externe Hilfen angewiesen sind. Zudem könnte eine entsprechende Policengestaltung den Anreiz für schadenmindernde Maßnahmen erhöhen.

Asien und Pazifik: Neuseeland von mehreren Katastrophen getroffen

In der Region Asien und Pazifik verursachten Naturkatastrophen Gesamtschäden von rund 7 Mrd. US$, wovon etwa drei Milliarden US-Dollar, versichert waren. Hohe Schäden verursachten ein Hochwasser nach starken Regenfällen sowie der Landfall von Zyklon Gabrielle in Neuseeland, die zusammen Werte von 4,3 Milliarden US-Dollar, zerstörten, 2,9 Milliarden US-Dollar, der Schäden waren versichert. 

Weite Teile Chinas und Südostasiens litten von März bis Juni immer wieder unter Hitzewellen. Viele lokale und jahreszeitliche Temperaturrekorde wurden gebrochen, so in der Millionenstadt Tianjin im Juni mit einem Rekordwert von 41,4°C.

Für ganz Asien waren die Monate Februar bis Juni verglichen mit den entsprechenden historischen Werten die viertwärmsten überhaupt, ebenso wie der Juni alleine.

Sehr viele Todesopfer forderte Zyklon Freddy in Mosambik und anderen Ländern Südostafrikas. Freddy war vermutlich der am längsten aktive tropische Wirbelsturm seit Beginn der Aufzeichnungen (mehr als fünf Wochen). Er entstand Anfang Februar nördlich von Australien und überquerte dann den gesamten Indischen Ozean.

Nach Auftreffen auf Land in Madagaskar mäanderte er zwischen Madagaskar und Mosambik hin und her. Das südostafrikanische Land wurde von dem Zyklon daraufhin gleich zweimal getroffen. 860 Menschen kamen ums Leben. Der Gesamtschaden in Mosambik und Nachbarländern betrug etwa 1,5 Milliarden US-Dollar. Versichert war wegen der in einkommensschwachen Ländern sehr geringen Verbreitung von Versicherungen nur ein verschwindend kleiner Anteil.

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