„Positiv hervorzuheben ist auch die unter Leitung von Staatssekretär Dr. Florian Toncar durchgeführte Fokusgruppe private Altersvorsorge, die sich wohltuend von der Kommission ‚Verlässlicher Generationenvertrag‘ der Vorgänger-Koalition unterschied und greifbare Ergebnisse brachte“, betonte Klein. Offenbar hat die Branche mit Toncar einen wichtigen Fürsprecher verloren.
Abzuwarten für die damals noch zu erwartende Rest-Amtszeit der Ampel sei unter anderem, „ob es der Regierung gelingt, in Brüssel die Hebel auf eine glaubwürdige Entbürokratisierung umzulegen“, erklärte Klein. Der Draghi-Bericht, also die Bestandsaufnahme des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi zum Zustand der EU, habe hierfür „Themenfelder wie etwa die Eindämmung der absurden Berichtspflichten insbesondere im Bereich der verschiedenen ESG-Reports“ konkret benannt, so Klein weiter.
„Regulierung kostet den freien Vertrieb immer mehr Zeit“
Ähnlich hatte Dr. Sebastian Grabmaier, Vorstandsvorsitzender des Maklerpools Jung, DMS & Cie. (JDC), das Ampel-Zwischenfazit kommentiert: „Das Positivste aus Sicht des freien Versicherungsvertriebs ist sicherlich, dass das lange diskutierte Provisionsverbot vom Tisch ist – zumindest vorerst. Wo ich mir mehr erwartet hätte, ist die Begrenzung der Regulierungsflut“. Aber hier lägen die Ursprünge eher auf EU-Ebene. „DSGVO, ESG, RIS, FIDA, DORA und so weiter mögen alle sicherlich aus Verbraucherschutzgründen gut gemeint sein, widersprechen sich aber teilweise beziehungsweise sind nicht aufeinander abgestimmt und kosten dem freien Vertrieb damit immer mehr Zeit, die er dann nicht mehr hat, um gute und individuell passende Beratung zu liefern“, so Grabmaier.
Die „Regulierungswut“ kritisierte auch Joerg Röckinghausen, Vorstand der Mayflower AG und der Definet AG: „Auf die Arbeit der Bundesregierung in den letzten Jahren fällt leider deutlich mehr Schatten als Licht. Die im Wesentlichen verfolgte Subventions- und Umverteilungspolitik enthält kaum Anreize, Leistung und damit Wachstum zu fördern. Das letzte bisschen Wachstum schnürt dann die Regulierungswut, die teilweise auch von der EU vorgegeben wird, noch ab“, schrieb er zur Ampel-Zwischenbilanz.
„Degressive Immobilien-Afa positive Ausnahme“
„Private Investoren, die bereit sind, in die erneuerbare Energien zu investieren, bekommen das häufig zu spüren. Genehmigungsverfahren sind überbürokratisiert und führen zu langen Investitionsphasen, bevor überhaupt die Grundlagen für einen Return geschaffen werden können. So werden lohnende Investitionen für Anleger oft zum Geduldsspiel“, so Röckinghausen. Eine positive Ausnahme biete die in diesem Jahr eingeführte degressive Abschreibung auf Kapitalanlageimmobilien. „Sie führte – gemeinsam mit den gesunkenen Finanzierungszinsen und den stagnierenden Immobilienpreisen – dazu, das die Nachfrage nach Kapitalanlageimmobilien wieder deutlich zunahm.“
So wird (nicht nur) Klein, Grabmaier und Röckinghausen ein Passus in Lindners Papier zu einer „Wirtschaftswende“, das letztlich die Koalition zum Platzen brachte, erfreut haben: „Deutschland sollte in der EU und gegenüber der EU-Kommission die Abschaffung der zusätzlichen Berichts- und Nachweispflichten aus dem ‚Green Deal‘ bewirken.“
Dies solle „perspektivisch auf die Abschaffung der EU-Taxonomie, der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, der EU- Lieferkettenrichtlinie und des Aktionsplans für Kreislaufwirtschaft zielen“. In jedem Fall müsse auf europäischer Ebene klargemacht werden, „dass Deutschland nur eine drastische Reduktion der Bürokratie und Regulierungen akzeptiert“, so das Lindner-Papier.
„Generationenkapital“ und „Altervorsorgedepot“ auf der Kippe
Nach dem Ampel-Aus allerdings ist kaum anzunehmen, dass die verbliebene Rumpf-Regierung, also die „Fußgängerampel“ (die nur rot und grün zeigt), das Thema angeht. Ob es in einer neuen Regierungskonstellation Berücksichtigung findet, bleibt abzuwarten.
Das betrifft auch für ein weiteres Vorhaben, das die Ampel auf den Weg gebracht hatte: Die Reform der Altersvorsorge. Dabei geht es zum einen um den Aufbau eines „Generationenkapitals“, also eines Kapitalstocks zur Entlastung der gesetzlichen Rentenversicherung beziehungsweise der Beitragszahler. Zum anderen war die Weiterentwicklung der privaten Vorsorge zu einem „Altersvorsorgedepot“, ähnlich der Riester-Rente mit mehr Flexibilität, schon fortgeschritten.
Reformpläne von Branche begrüßt
Beides war von der Branche – trotz einiger Verbesserungsvorschläge – im Kern überwiegend positiv aufgenommen worden, vor allem das für den Finanz- und Versicherungsvertrieb bedeutsame Thema Altersvorsorgedepot. So hatte Dr. Matthias Wald, Leiter Finanzvertriebe bei Swiss Life Deutschland, kommentiert: „Wir begrüßen, dass das Bundesministerium der Finanzen den Prüfauftrag zur Riester-Alternative umgesetzt und einen Referentenentwurf zur Reform der privaten Altersvorsorge vorgelegt hat. Eine Reform ist dringend nötig, um neue Sparanreize zu schaffen und durch gelockerte Garantien renditestärkere Anlagen mit höheren Ertragschancen zu ermöglichen“.
An einigen Stellen bestehe noch Bedarf auf Nachbesserungen, wie beim beratungsfreien Referenzdepot oder dem kritischen Punkt von geförderten Einzelaktien. „Grundsätzlich wäre aber wichtig, dass sich in Richtung der geförderten privaten Altersvorsorge politisch etwas bewegt und wir am Ende die Umsetzung des Vorhabens sehen werden“, so Wald.
Das ist mit dem Ampel-Knall nun, jedenfalls kurzfristig, deutlich unwahrscheinlicher geworden. Zwar hat Kanzler Scholz in seiner Rede zur Lindner-Entlassung am Abend des 6. November angekündigt, bis Weihnachten noch die wichtigsten Gesetzesvorhaben – darunter die „Reform der gesetzlichen Rentenversicherung“ – durch den Bundestag bringen zu wollen (mit welcher parlamentarischen Mehrheit auch immer). Aber ob davon nur das Generationenkapital oder auch das Altersvorsorgedepot umfasst wäre und ob es dazu überhaupt noch kommt, war bei Redaktionsschluss noch offen, besonders in Bezug auf das Altersvorsorgedepot aber unwahrscheinlich.