Manchmal muss man sich einfach Zeit lassen. „Momentan gibt es keine Suche. Wir schauen zurzeit wirklich nach niemandem“, beantwortete die Filmproduzentin Barbara Broccoli im September die Frage eines britischen Online-Filmmagazins, ob sie schon einen neuen James-Bond-Darsteller gefunden habe. „Wir wollen uns die Zeit nehmen, um Daniel Craig zu feiern, seine Amtszeit, die 15 Jahre, die fünf Filme. Wir wollen ihm seinen Moment geben. Deswegen haben wir nicht vor, in naher Zukunft mit unserer Suche nach dem nächsten Bond anzufangen.“ Ein Luxus, den man sich im millionenschweren Filmgeschäft offenbar leisten kann – in anderen Branchen sollte man sich mit der Nachfolgeplanung dagegen nicht zu viel Zeit lassen.
Das gilt besonders für den Finanzvertrieb – eine Branche, in der 74 Prozent der über 60-jährigen Versicherungsmaklerinnen und -makler ihre Nachfolge noch nicht geregelt haben und in der für 48,7 Prozent der Maklerbetriebe der eigene Bestand bzw. das eigene Unternehmen die primäre Altersvorsorge ist. „Die Nachfolgewelle türmt sich immer weiter auf. Wir erwarten, dass die Anzahl der Makler, die eine Nachfolgelösung suchen, Jahr für Jahr steigen wird und erst gegen Mitte der 2020er ihren Zenit erreicht“, sagt Dr. Philip Kanschik, Geschäftsführer der Policen Direkt Versicherungsvermittlung, die diese Zahlen im Rahmen ihres „Maklerbarometers 2021“ unter 411 Versicherungsmaklern ermittelt hat. Kanschik rät, mit der Nachfolgeplanung zu beginnen, sobald man ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut hat – „so verrückt es klingt“, wie er sagt. Denn nicht nur der (planbare) Ruhestand kann dafür sorgen, dass man einen Nachfolger braucht, sondern auch Schicksalsschläge: „Als Unternehmer muss ich mir immer die Frage stellen, was passiert, wenn ich morgen gegen einen Baum fahre. Wer übernimmt dann das Steuer? Steht ein Nachfolger bereit? Welcher Notfallplan greift? Unabhängig von der Größe des Maklerunternehmens sollte jeder Makler hierfür einen Plan in der Schublade haben.“ Die konkrete Planung beginne idealerweise fünf Jahre vor dem geplanten Ruhestand. In diesem Zeitraum bleibe genügend Zeit, Interessenten kennenzulernen und das Unternehmen übergabefähig zu machen.
Die Übergabefähigkeit spielt bei der Nachfolgeplanung eine zentrale Rolle. „Wichtig ist zunächst einmal für Ordnung zu sorgen und das Unternehmen unabhängig bzw. unabhängiger vom Inhaber zu machen“, sagt Kanschik. „Operative Prozesse werden an Mitarbeiter übergeben, wenn es welche gibt. Wer keine Mitarbeiter hat, sollte seine Daten aufbereiten, Vertragsinformationen an einem Ort bzw. in einem Programm bündeln und eine vollständige Kundenliste erstellen. Das Thema Daten ist zentral für jeden, der ein Maklerunternehmen oder einen Bestand kauft.“ Gute Vorbereitung vereinfache den Übergang und wirke wertsteigernd.
„Die ersten Überlegungen, um die richtigen Weichen zu stellen und das Unternehmen passend aufzustellen, sollte man spätestens zehn Jahre vor der geplanten Übergabe anstellen“, rät Andreas Grimm, Geschäftsführer des Resultate Instituts für Unternehmensanalysen und Bewertungsverfahren, mit Blick auf den Zeitrahmen. Das bedeute nicht, dass man sich zu dem Zeitpunkt schon auf Nachfolgersuche begibt. „Damit fängt man üblicherweise ein bis zwei Jahre vor der geplanten Übergabe an – es sei denn, man will tatsächlich einen echten Nachfolger finden und aufbauen, das dauert länger.“ Auch Grimm betont, wie wichtig es sei, den Wert des Unternehmens durch gute Vorbereitung zu steigern: „Bei den ersten Planungen geht es um die Schaffung eines Unternehmens, das vom Geschäftsmodell, von der Organisation und von den juristischen und steuerlichen Rahmenbedingungen attraktiv für potenzielle Käufer ist – das dauert in der Regel ein paar Jahre.“ Wer später mit der Planung beginnt, enge seinen Gestaltungsspielraum deutlich ein und nehme sich damit Chancen auf attraktive Ergebnisse.
„Nicht im eigenen Netzwerk herumstochern“
Besonders zielführend ist es, frühzeitig die juristischen Fragestellungen zu klären, die durchaus knifflig sein können. So muss der Makler entscheiden, ob er den Betrieb in seiner Gesamtheit verkaufen will oder nur den Kundenbestand. „Der Kauf des Unternehmens als Ganzes ist seitens des Käufers jedoch meist nicht gewünscht“, erläutert Jens Reichow, Rechtsanwalt in der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow. „Die Käufer fürchten dabei meist die Übernahme von verborgenen Verbindlichkeiten“, sagt er.
Doch selbst wenn lediglich der Kundenbestand erworben wird, gilt es viele rechtliche Fallstricke zu beachten. „Die Veräußerung des Kundenbestands setzt oftmals die Übertragung einzelner Rechte und Pflichten voraus. Dabei können Dritte – zum Beispiel Versicherer – ein erhebliches Mitspracherecht haben. Gerade aber auch die Beachtung des Datenschutzes stellt Käufer und Verkäufer dabei nicht selten vor gewisse Hürden“, so Reichow. Deshalb rät er Maklern, vor einer Veräußerung zu erwägen, ihr Maklerunternehmen in eine juristische Person (zum Beispiel GmbH) oder Personenhandelsgesellschaft (zum Beispiel GmbH & Co. KG) zu überführen, da dann nicht jede einzelne Rechtsbeziehung übertragen werden muss, sondern nur die Gesellschaftsanteile. Dies sei oftmals leichter zu bewerkstelligen.
Laut Maklerbarometer von Policen Direkt geht der Trend bei den Nachfolgemodellen seit einiger Zeit immer weiter weg von klassischen Unternehmens- und Bestandsverkäufen – nur noch knapp die Hälfte der Makler hält diese Modelle für am besten geeignet. „Für den klassische Unternehmensverkauf ist überhaupt nur ein Bruchteil der deutschen Makler groß genug. Alle anderen bevorzugen zunehmend eine Kombination aus gemeinsamer Übergangsphase mit anschließendem Rentenmodell“, erklärt Kanschik. Das sei finanziell am attraktivsten und schütze vor Bestandsabrieb beim Übergang.
Ist die Vorbereitungsphase abgeschlossen, sehen sich viele Makler mit der größten Herausforderung konfrontiert: die Suche nach dem idealen Nachfolger. Ist kein interner Kandidat in Sicht, bleibt nur eine Lösung von außen. Doch die Suche ist gar nicht so einfach – und läuft häufig amateurhaft ab. Laut Grimm machen viele Makler den Fehler, erst einmal im eigenen Netzwerk „herumzustochern“, um mögliche Kandidaten zu identifizieren und mit denen zu sondieren, ob sie Interesse hätten. „Andere ’stolpern‘ über die Anzeigen von professionellen Bestandskäufern oder werden von diesen angesprochen. Das alles führt zwar auch irgendwie und irgendwann zu einem Ergebnis. Einen echten Nachfolger findet ein Makler so aber eigentlich nie – und das Ergebnis, das er beim Verkauf erzielt, dürfte in 95 Prozent der Fälle weit weg von dem sein, was er bei einer professionellen Vorbereitung und Platzierung des Unternehmens erzielen dürfte.“
„Die Chemie muss stimmen“
Wer sein Unternehmen passend zu seiner Lebensplanung und zu besten Konditionen verkaufen möchte, müsse den Prozess umdrehen, sagt Grimm. „Er muss sein Unternehmen auf die Käufer-Zielgruppe vorbereiten, die den größten wirtschaftlichen Nutzen aus der Übernahme haben dürfte und die gleichzeitig die wesentlichen Nebenbedingungen des Maklers einhalten kann. Nur mit dieser Gruppe macht es eigentlich Sinn zu verhandeln. Aber Vorsicht: Bereits die Ansprache solcher potenzieller Käufer ist Teil der Verhandlungsführung – und in vielen Fällen ist es eher kontraproduktiv, wenn der Verkäufer die Ansprache selbst vornimmt.“ Er empfiehlt deshalb, sich zumindest für die ersten Überlegungen mit einem Profi zu unterhalten, der weiß, worauf es in der Nachfolge wirklich ankommt und welche Optionen der Makler realistischerweise hat. Andernfalls droht das von Grimm beschriebene „herumstochern“ und „stolpern“.
Ein entscheidender Erfolgsfaktor in den Verhandlungen ist, wie qualitativ hochwertig der Bestand ist. „Das umfasst zum Beispiel direkte finanzielle Aspekte, wieviel Bestandscourtagen im Verhältnis zu Abschlusscourtagen erzielt werden oder auch die Art der Bestandsprodukte. Je höher die Bestandseinnahmen, desto mehr Kaufpreis ist tendenziell erzielbar“, sagt Ronald Perschke, Vorstand der Going Public Akademie für Finanzberatung. Relevant sei zum Beispiel auch, wie gut betreut der Bestand ist. „Ein durchschnittlich schlecht betreuter Bestand ist natürlich weniger wert, weil man davon ausgehen muss, dass die Kunden auch anderweitig unter Betreuung sind. Oft unterschätzt werden organisatorische Faktoren des Betriebs. Je transparenter und digitalisierter ein Maklerbetrieb ist, desto leichter ist die Übernahme des Bestands, was sich natürlich positiv auf den Kaufpreis auswirkt“, erläutert er.
Die Attraktivität des Maklerunternehmens mache sich aber nicht nur am Bestandsmix, der Kundenstruktur oder dem Preis fest, stellt Volker Kropp fest, Geschäftsführer des Maklerpools KAB Maklerservice. „Meine Gespräche zeigen, dass gerade die Chemie stimmen muss. Eine aktive Begleitung des übertragenden Maklerkollegen ist sehr wichtig. So bleibt die Kundenstruktur stabil und führt zu Wachstum. Von großem Interesse ist natürlich die Bestandszusammensetzung, die Altersstruktur der Mandantschaft, die Stornoquote der letzten Jahre und der aktuelle Stand der Digitalisierung. Darüber hinaus sollten zu jeder Kundenverbindung aktualisierte Makleraufträge vorliegen“, so Kropp.
Ganz und gar unverkäuflich sei kein Maklerbetrieb, betont Thomas Suchoweew, Vorstand des Makler Nachfolger Clubs (MNC), der Anfang 2014 mit dem Ziel gegründet wurde, Makler bei der Nachfolgeplanung zu unterstützen. „Auch wenn immer wieder kolportiert wird, es gäbe unverkäufliche Unternehmen und Makler würden keine Nachfolger finden, können wir dies in unserer Praxis nicht feststellen. Jedes Maklerunternehmen ist attraktiv für potenzielle Nachfolger. Es kommt darauf an, ob und wie die auf beiden Seiten ermittelten Parameter zueinander passen“, sagt er.
„Negatives Feedback kann eigene Lebensqualität belasten“
Das gilt auch dann, wenn es um die Veräußerung an Finanzinvestoren geht, die in den letzten Jahren in den Fokus größerer Maklerunternehmen gerückt sind. Gelangt ein Unternehmer zu dem Schluss, dass eine Nachfolgeplanung unter Beteiligung eines Finanzinvestors infrage kommt, sind allerdings einige besondere Kriterien zu beachten. „Die Bonität des Käufers ist für den Verkäufer ein sehr entscheidender Aspekt. Das gilt natürlich in jedem Fall und mit langfristiger Wirkung im Falle von Verrentungen. Auch beim Verkauf gegen Einmal-Kaufpreis ist jedoch darauf zu achten, dass der Betrieb/Bestand nicht vor Eingang des Kaufpreises beim Verkäufer an den Käufer übergeht“, sagt Perschke. „Hier hat es schon genügend negative Beispiele gegeben, dass der Betriebsübergang schon erfolgt ist, der Verkäufer jedoch nicht an den vollständigen Kaufpreis gelangt ist. Hier sollte man in jedem Fall einen kompetenten Rechtsbeistand engagieren, der die Interessen des Verkäufers im Blick hat.“ Beim Verkauf des eigenen Betriebs seien auch die Auswirkungen auf die eigene Steuersphäre zu planen. Makler sollten Steuerberater um Ratschläge für mögliche Umsetzungswege bitten, so Perschke. „Wenn das eigene Lebenswerk mit einer Strahlwirkung in die Region, in der man den Lebensabend verbringt, veräußert wird, ist es sicherlich sinnvoll zu prüfen, welche Pläne der Finanzinvestor bezüglich der Bestandsbetreuung hat. Negatives Feedback aus dem eigenen Lebensumfeld kann die eigene Lebensqualität belasten.“ Und wer will das schon riskieren – besonders im Ruhestand.
Bei kleinen und mittleren Unternehmen finde ein Verkauf an Finanzinvestoren nur in sehr geringem Maße statt, erklärt Oliver Petersen, ebenfalls Vorstand beim MNC. „Bei größeren Unternehmen kann das jedoch ein wichtiges Target für die Nachfolgeplanung sein. Wir bekommen vermehrt Anfragen von solchen Investoren, die auf der Suche nach größeren Tickets sind und für die der Preis nur eine untergeordnete Rolle spielt.“ Bei reinen Investoren komme es auf die Art und Größe der Beteiligung an. „Makler, die sich eine Weiterführung des Unternehmens und die Kundenbetreuung in ihren Sinne wünschen, sollten genau prüfen, was der Investor mit dem Unternehmen kurz-, mittel- und langfristig vorhat, besonders wenn es sich um eine Beteiligung von über 50 Prozent handelt.“ Entscheidend seien klare Absprachen auf beiden Seiten, ergänzt Suchoweew: „Was passiert, wenn dies oder jenes während der Übergabe oder später passiert? Wie wirkt sich das zum Beispiel auf einzelne Vertragsklauseln oder auf den Kaufpreis aus?“ Er rät dringend davon ab, sich die Vertragsunterlagen für den Verkauf aus irgendwelchen Vorlagen zu kopieren. Das vordergründig gesparte Honorar für einen Fachanwalt habe schon mancher im Nachhinein teuer bezahlt.
„Eigentlich lässt sich alles mit einem einzigen Begriff greifen: Professionalität“, fasst Grimm zusammen. „Wer sein Unternehmen wirklich professionell führt, wird nie ein Problem haben, es irgendwann auch zu attraktiven Konditionen zu verkaufen: Klarer Fokus auf die Zielgruppe und kein beliebiger Bauchladen, top ausgebildete Berater, straff organisiertes und digitalisiertes Backoffice, automatisiertes Kundenmanagement, aktuelle Maklerverträge bei allen Kunden, nachvollziehbare und vollständige Dokumentationen“, zählt er die entscheidenden Aspekte auf.
Bond-Produzentin Barbara Broccoli übrigens hat sich bei der Craig-Nachfolge bisher nur auf das Geschlecht festgelegt: 007 wird auch in Zukunft ein Mann sein, keine Frau – ein Kriterium, das bei der Nachfolgeplanung im Finanzvertrieb keine Rolle spielen sollte.
Kim Brodtmann, Cash.