Für zahlreiche Schwellenländer war die Wirtschaftsentwicklung in jüngerer Vergangenheit verhältnismäßig schwierig, unter anderem da China seit geraumer Zeit auf der Schuldenbremse steht und die Handelsstreitigkeiten mit den USA zusätzlich auf die Stimmung drückten.
„Wir sind dennoch verhalten positiv, da die jüngsten Konjunkturindikatoren auf eine Stabilisierung in den Emerging Markets hindeuten. Die Konjunkturschwäche dürfte in China weiter anhalten, eine relativ stabile bis positive Wachstumsbilanz ist aber im Rest von Asien auszumachen, insbesondere in Indien oder Indonesien. In Lateinamerika sind wir besonders positiv bezüglich einer Wachstumsbeschleunigung in Brasilien. Und in Osteuropa wiederum trotzen bisher die meisten Länder der Wachstumsschwäche in der EU. Alles in allem erscheinen die Emerging Markets für Investoren in diesem Jahr wieder interessant, nachdem bereits 2019 wieder ein positives Aktienjahr war“, so Raphael Lüscher, Manager des Swisscanto (LU) Equity Fund Sustainable Emerging Markets.
Erhöhte Chancen in Brasilien, Indien und China
In punkto Nachhaltigkeit bieten sich in den Schwellenländern weiterhin Chancen. Einerseits besteht unverändert Nachholbedarf gegenüber den westlichen Industrienationen, andererseits wird die nachhaltige Transformation weiter forciert. „Wir halten aktuell Brasilien für attraktiv. Wichtige Reformen im Sozialsystem wurden auf den Weg gebracht, als nächstes stehen Steuerreformen auf dem Programm. Die Wirtschaft beschleunigt sich, der Arbeitsmarkt wächst wieder und das Konsumentenvertrauen verbessert sich. Wir sind deshalb zuversichtlich für den brasilianischen Aktienmarkt in 2020, auch weil die Bewertungen nach wie vor günstig sind. Banken und zyklische Konsumgüter sind interessant, aber auch Wasserversorger gehören zu unseren Favoriten. So sollen etwa enorme Investitionen für den Fluss Rio Tietê in São Paulo bereitgestellt werden, um diesen zu säubern und die Lebensqualität für die Bewohner zu erhöhen“, sagt Lüscher.
Chinas bewusste Schuldenbremse hat zwar das Wachstum verlangsamt, aber schlussendlich wächst Chinas Wirtschaft immer noch mit rund sechs Prozent. Die Umweltprobleme sind über die vergangenen Jahre bereits von Chinas Regierung angegangen worden, sie befinden sich aber noch auf einem langen Weg. „In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass chinesische Unternehmen vergangenes Jahr mehr Kapital in Umwelt als in Automatisierung investierten. Wir gehen von einer Fortsetzung dieses Trends aus und der entsprechenden Partizipation von Unternehmen aus dem Umweltsektor“, meint Lüscher.
Das steigende Mobilitätsbedürfnis ist ein Riesenthema. Benzin- und dieselbetriebene Autos sind auch in Indien nach wie vor die Regel und eine enorme Quelle von Luftverunreinigung, obwohl das Land weltweit noch eine der tiefsten Fahrzeuge pro Kopf-Quote ausweist. Auch die intensive Nutzung von fossilen Brennstoffen in den Haushalten durch ärmere Bevölkerungsschichten oder in der Stromproduktion ist ein großes Problem Indiens. Mit sieben der zehn am meisten luftverschmutzten Städte und Neu-Delhi in der Top Position liegt das Land weltweit an der Spitze. „2,6 Millionen Menschen jährlich sterben in Indien frühzeitig aufgrund dieser Luftverschmutzung. Die Weltbank schätzt, dass die Folgekosten dieser Verschmutzung Indien jährlich umgerechnet 8,5 Prozent des BIP ausmachen. Dieses Problem zu bekämpfen ist eine Hauptaufgabe und Anleger können mit nachhaltigen Investments einen Beitrag dazu leisten, der sich auch finanziell lohnt“, so Lüscher.
Bewertungen auf günstigem Niveau
Zahlreiche Schwellenländer nutzten vergangenes Jahr die Gunst der Stunde, die sich dank der US-Zentralbank Fed ergab, und senkten die Leitzinsen teilweise deutlich. Die Türkei nahm beispielsweise Senkungen um ganze zehn Prozentpunkte in 2019 vor. Die Zentralbanken in Indien, Russland und Brasilien waren ebenfalls expansiv und die Kreditvolumen der Banken erhöhten sich. Allerdings drängt sich die Frage auf, ob die Schwellenländer ihren äußerst expansiven Kurs beibehalten können, wenn die Fed keine weiteren Zinssenkungen mehr vornehmen wird. Bei der Betrachtung der Differenz der aktuellen Realzinsen zu ihrem fünfjährigen Durchschnitt zeigt sich, dass in vielen Schwellenländern weiterhin ein gewisser Spielraum besteht.
„Wir erwarten daher, dass die Geldpolitik in den Emerging Markets auch 2020 relativ locker bleibt. Zudem sehen wir ein höheres relatives Wirtschaftswachstum als in den westlichen Industrienationen. Ein schwächerer US-Dollar dürfte ebenfalls helfen. Zusammen mit den günstigen Bewertungen zahlreicher Schwellenländer-Aktienmärkte sehen wir eine positive Ausgangslage für Investoren“, sagt Lüscher.
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