Wie wirkungsvoll ist die Sustainable-Finance-Regulierung der EU beim Kampf gegen den Klimawandel?
Schäfer: Um diese Frage beantworten zu können, müssten Studien vorliegen, die einen kausalen Zusammenhang einzelner Maßnahmen der Sustainable-Finance-Regulierung auf die Klimaschutzziele der EU und insbesondere Deutschland herstellen. Dies ist allein schon methodisch derart herausfordernd, dass es nicht verwundert, wenn bis heute keine solchen Studien vorliegen. Was wir derzeit nur feststellen können ist, welche Klimaschutzziele für die EU und Deutschland formuliert sind und welche Zielerreichungsgrade es gibt. Beispielsweise konnte 2022 das Klimaschutzziel Deutschlands (Reduktion um 38,7 Prozent gegenüber dem Treibhausgasausstoß von 1990) nicht erreicht werden: Die Jahresemissionen verharrten mit 761 Millionen Tonnen CO2 fast auf dem Vorjahresniveau. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Treibhausgasminderung in Deutschland im Jahr 2020 übererfüllt wurde. Der Grund: Die Lockdowns während der Corona-Pandemie, wodurch vor allem Homeoffice und generelle Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit für weniger Verkehr und geringere Produktion sorgten. Es waren also Ge- und Verbote und damit die klassischen Maßnahmen traditioneller Umweltpolitik, die zusammen mit einem wirtschaftlichen Einbruch den Treibhausgasausstoß minderten. Und hierin steckt etwas sehr Grundsätzliches: Mittels Veränderung der Finanzierungsbedingungen ist weder bisher ein eindeutiger klimaschonender Effekt auf Investitions- und Konsumverhalten zu beobachten, noch würden solche Effekte schnell und direkt wirken können.
Sie sprechen von einer „völlig schiefgelaufenen Finanzregulierung zum angeblichen Wohl von Klima und Sustainable Development Goals“. Was ist aus Ihrer Sicht schiefgelaufen und warum?
Schäfer: Finanzdienstleister müssen heutzutage die umfangreichen Berichtspflichten der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) und der ESRS (European Sustainability Reporting Standards) erfüllen und sich Taxonomie-konform aufstellen. Das erfordert eine umfangreiche bankinterne Green Transition, die Investitionen in Soft- und Hardware sowie Humankapital und weitreichende Umstellungen in den Geschäftsstrategien sowie -politiken erforderen. Diese Transition geht quer durch die Wertschöpfungskette und Organisation von Finanzdienstleistern, braucht Zeit und es ist ungewiss, wie die Kunden reagieren. So hegt beispielsweise nach wie vor eine sehr große Zahl von Privatanlegern keine Sympathie für Nachhaltigkeitsfonds. In Anbetracht des massiven globalen Anstiegs von dem Klimawandel zugerechneten Extremwetter und dadurch ausgelösten Schäden sind dringend wirkungsvolle wirtschaftspolitische Maßnahmen erforderlich. Wie die aktuelle Veröffentlichung einer Forschergruppe um das Potsdam Institut für Klimaforschung in der Fachzeitschrift „Science“ in einer globalen Länderstudie feststellte, wurde in vielen Ländern der Treibhausgasausstoß durch eine Kombination von Subventionen, Steuern (wie Kohlenstoffsteuern) und Vorschriften (wie Emissionsstandards) erfolgreich gesenkt. Zudem waren die Wirkungen kombiniert größer als die Summe isolierter Maßnahmen. Auch unterschied sich die effizienteste Maßnahmenkombination in einzelnen Sektoren wie Verkehr, Gebäude etc. erheblich. Damit ist Sustainable Finance als der zentrale Pfeiler der EU-Klimapolitik kritisch zu hinterfragen.
Was muss sich ändern?
Schäfer: Es ist dringend erforderlich, eine Wirtschaftswende durch eine Finanzwende zu ergänzen und die von „grünen Meinungsmachern“ ständig betätigten „tibetanischen Gebetsmühlen“ vom Mantra der „Green Transition“ einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Der Finanzsektor wird immer mehr mit grünen Governance Costs belastet und der grüne Finanz-Impact gleicht einem Trugbild. Eine mutige Entschlackung der Sustainable-Finance-Regulierung ist dringend angezeigt. Ein Schritt wäre die Aussetzung der TaxVO-Pflicht. Die TaxVO (EU-Taxonomieverordnung) entwickelt aus dem Vorsichtsprinzip heraus bei Finanzdienstleistern eine „Tick in the Box“-Praxis, die für eine flexible und auf dem aktuellen technologischen Stand befindliche Beurteilung von Investitionen der Kundschaft hinderlich ist. Da bislang die TaxVO den Beweis schuldig geblieben ist, dass es ohne sie zu negativen ESG-Impacts kommt und positive Impacts ausbleiben, sind sowohl deren aufsichtsrechtliche Prüfung obsolet, als auch darauf basierende Kennzahlen wie die Green-Asset-Ratio. Ein weiterer Schritt wäre die Aufhebung der Berichterstattungspflicht nach CSRD und ESRS: Die freiwillige ESG-Berichterstattung nach den Richtlinien der Global Reporting Initiative oder dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex ist vollkommen ausreichend. Ferner sollte die SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation) auf eine Leitlinie zurückgestutzt werden und nicht mehr als prüfungsrelevanter Tatbestand gelten. Umsetzungspraxis und -verständnis der SFDR haben durch Greenwashing, Greenhushing etc. gezeigt, dass aufsichtsrechtliche Vorgaben für „grüne“ und „nachhaltige“ Fonds so fein granuliert sein müssten, dass es umfangreiche Eingriffe in die Privatautonomie von Kapitalverwaltungsgesellschaften bedürfte. Da unklar ist, ob Fonds und Mandate einen Klima- und Nachhaltigkeits-Impact erzeugen, ist die jetzige Regulierung bereits fraglich.
Sie mahnen eine Überprüfung der Sustainable-Finance-Regulierung auch deshalb an, um einer „grassierenden Staatsverdrossenheit“ in der EU Paroli zu bieten. Welche Entwicklung befürchten Sie andernfalls?
Schäfer: Zwei Erscheinungen sind dazu augenfällig. Zum einen verabschieden sich immer mehr deutsche Unternehmen mit Produktionsverlagerungen in Länder außerhalb der EU, in denen die klimabezogene Regulierung wesentlich milder ist und noch dazu wie der US Inflation Reduction Act durch Subventionen Unternehmen angelockt werden. Unternehmen müssen dann nicht mehr ihrer Bank einen Transitionspfad vorlegen, den Vorgaben der TaxVO entsprechen und anderes mehr. Durch Abwanderungen bedingte Arbeitsplatzverluste, sinkende Steuereinnahmen etc. können soziale Spannungen hervorrufen und die Akzeptanz des demokratischen Staatswesens untergraben. Ein anderes Beispiel ist der Bereich der Finanzierung von Wohngebäuden. Durch die TaxVO werden in Zukunft nur noch Gebäude der Energieeffizienzklassen A+ bis B finanziert werden, was Privathaushalte, die in Deutschland überwiegend Wohngebäude mit niedrigeren Energieeffizienzklassen ihr Eigen nennen, vor große wirtschaftliche Herausforderungen stellen wird. Die öffentliche Eskalation um das Heizungsgesetz im Sommer dieses Jahres hat gezeigt, wie nah der Bevölkerung ihr Wohneigentum auch emotional ist und welche Verdrossenheit gegen „die da oben“ sich entwickeln kann.
Die Fragen stellte Kim Brodtmann, Cash.
Prof. Dr. Henry Schäfer war bis 2019 Ordinarius der Universität Stuttgart und Inhaber des Lehrstuhls „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Finanzwirtschaft“. Eine besondere Bedeutung hat bis heute der Forschungsbereich „Sustainability & Finance“. Von 2007 bis 2023 war er geschäftsführender Gesellschafter der von ihm gegründeten EccoWorks GmbH, einer Beratungsgesellschaft für Sustainable Finance.