Nachdem sich die Briten beim Referendum für einen Austritt aus der EU ausgesprochen haben, wird sich nun sehr schnell zeigen, welche Folgen diese Entscheidung haben wird. Gastkommentar von Natixis AM.
Die Bedingungen werden sich grundlegend ändern, und anhand dieser konkreten Auswirkungen können Volkswirte die Reichweite eines nachhaltigen Schocks ermitteln. So wird der Wille, die Europäische Union zu verlassen, nicht nur das Leben in Großbritannien, sondern in ganz Europa maßgeblich und nachhaltig beeinflussen.
Die Beziehungen Großbritanniens zum Rest der Welt werden sich verändern
Auf sehr kurze Sicht wird auf wirtschaftlicher Ebene aber zunächst einmal nichts passieren. Allerdings werden sich die Erwartungen gravierend verändern, und dieser Umstand wird dann auch die Finanzmärkte belasten. Auch die Notenbanken werden nicht neutral bleiben und wohl eingreifen müssen, um zu verhindern, dass der „britische Schock“ auch auf andere Volkswirtschaften übergreift. Das Weltwirtschaftswachstum ist momentan zu schwach, um einen solchen Schock abzufedern. Wie bereits während der Krise der Jahre 2008 und 2009 werden die Swap-Abkommen zwischen den einzelnen Notenbanken reaktiviert werden, um die globalen Finanzmärkte liquide zu halten. Für die Wirtschaft ist die Sache ziemlich einfach: Die Beziehungen Großbritanniens zum Rest der Welt werden sich grundlegend verändern. So werden die „Spielregeln“ für die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt nie wieder dieselben sein.
Allein die Größe und Bedeutung der britischen Wirtschaft gibt dem Rest der Welt Anlass zur Sorge. Angesichts eines lediglich mäßigen Wachstumstrends und einer bereits seit langem sehr lockeren Geldmarktpolitik der Notenbanken werden sich die Beziehungen zueinander ebenso verändern wie das allgemeine Umfeld. Mit anderen Worten: Ein negativer und nachhaltiger Schock, der wegen der aktuellen Niedrigzinspolitik kaum Handlungsspielraum bietet, kann dauerhafte Konsequenzen für Großbritannien und den Rest der Welt haben. Und das ist der Punkt, der wirklich besorgniserregend ist. In einer Phase kräftigen Wachstums wären die Folgen eines solchen Schocks weniger gravierend gewesen, weil man dann mehr Spielraum für entsprechende Anpassungsmaßnahmen gehabt hätte. Außerdem hätte David Cameron die Mitgliedschaft in der EU in einer solchen Phase vermutlich gar nicht erst zur Abstimmung gestellt.
Eine neue Struktur muss zuerst definiert werden
Das größte Problem besteht nun darin, dass Großbritannien in Zukunft nicht mehr im selben Maße Zugang zum Binnenmarkt haben wird wie bisher. Eine neue Struktur muss aber zuerst noch definiert werden. Das wird Zeit brauchen und deshalb Unsicherheit mit sich bringen. Auf kurze Sicht können wir nicht abschätzen, welche „bewahrenden“ Maßnahmen im Zuge der Verhandlungen ergriffen werden. Was den Rest der Welt betrifft, so werden die Handelsbeziehungen Großbritanniens zurzeit noch von all den Handelsabkommen geregelt, die von der EU geschlossen worden sind. Durch den Brexit wird Großbritannien aus diesen Handelsabkommen ausgeschlossen. In einer Phase, in welcher der Welthandel nicht mehr als Transmissionsmechanismus und Wachstumstreiber fungiert, wird der Brexit-Schock für zusätzliche Verunsicherung sorgen und die Weltwirtschaftsaussichten beeinträchtigen.
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In Verbindung mit der Tatsache, dass viele Bankengeschäfte auf Euro-Basis in die EU verlagert werden, wird dieses Phänomen dazu führen, dass die Zukunftserwartungen nach unten korrigiert werden (auch wenn diese Folgen auf sehr kurze Sicht noch gar nicht wahrgenommen werden). Es wird einige Zeit dauern, bis ein wirklich solides Abkommen ausgehandelt und eine robuste Struktur für Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU sowie zwischen Großbritannien und dem Rest der Welt festgelegt worden sind. Dies wird ein hohes Maß an Unsicherheit und Risiken mit sich bringen. Dadurch werden die Wirtschaftsaktivitäten sowohl in Großbritannien als auch in Europa belastet. Philippe Waechter ist Chefvolkswirt bei Natixis AM, Paris.
Foto: Natixis AM