Das erfolgreiche Zusammenspiel von Führungskraft und Team hängt von vielen Faktoren ab, die persönlichen Neigungen und ein Gespür fürs Gegenüber spielen dabei eine nicht unerhebliche Rolle. Der jährliche „Work Trend Index“ von Microsoft, für den 2021 mehr als 30.000 Beschäftigte in 31 Ländern befragt wurden, verweist darauf, dass Führungskräfte nicht ausreichend in Kontakt mit den Bedürfnissen ihrer Mitarbeitenden seien – gleichzeitig jedoch Mitarbeitende mehr denn je von ihren Führungskräften erwarten würden, dass sie sich in ihre Situation hineinfühlen. Mit jedem Führungswechsel geht es aufs Neue darum, Bedürfnisse von Mitarbeitenden und Vorgehensweisen des neuen Vorgesetzten in Einklang zu bringen.
Und das kann schwer werden, wenn hier zwei Welten aufeinanderprallen. So wie in diesem Fall: Konrad S. ist eine Führungskraft mit langer Berufserfahrung und entschlossen, auch in der neuen Position sehr erfolgreich zu sein. Als die ersten wichtigen Entscheidungen anstehen, ist für ihn selbstverständlich, dass er sie allein trifft. Schließlich ist er der Chef! Er befasst sich vorrangig mit seiner Verantwortung und Aufgabenerfüllung und achtet darauf, dass seine Mitarbeitenden ihre Aufgaben erledigen. Als seine Mitarbeiterin Ilona K. das Gespräch mit ihm sucht und den Wunsch äußert, im aktuellen Projekt mehr Entscheidungen selbstständig treffen zu wollen, dabei auf ihre vorhandene Erfahrung mit dem Kunden hinweist, gibt er ihr klar zu verstehen, dass er für die Entscheidungen verantwortlich ist. Ilona K. fühlt sich vor den Kopf gestoßen. In den folgenden Wochen fängt sie an, darüber nachzudenken, ob sie mit dem neuen Chef auf Dauer zurechtkommen kann oder eine Neuorientierung sinnvoll wäre. Das Beispiel macht deutlich: Der formale Führungsstil von Konrad S. und die Bedürfnisse von Ilona K. passen nicht zusammen – es droht das Abwandern einer Fachkraft.
Will die Führungskraft viel selbst machen, wird es eng für Freigeister
Konrad S. strebt stark nach Verantwortungsübernahme, Eigenverantwortlichkeit und Autonomie. Grundsätzlich ist das hilfreich für die Funktion als Führungskraft – aber nicht befriedigend für jedes Teammitglied. Es fällt Konrad S. leicht, Entscheidungen zu fällen, andere zu beeinflussen und Lösungen im Problemfall parat zu haben. Gleichzeitig bedeutet es aber auch, dass er die Dinge gern selbst in die Hand nimmt, statt Verantwortung abzugeben oder Mitarbeitende in Vorgänge einzubinden. Kommt wiederum ein Mitarbeitender oder eine Mitarbeitende mit einer Problemstellung zu ihm, neigt er dazu, gleich eine Lösung zu liefern anstatt darauf hinzuwirken, dass der oder die Fragende sie selbst entwickelt. Konrad S. arbeitet mit klaren Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, weniger mit Fragen. Delegieren und das Einbeziehen von Mitarbeitenden sind für ihn meist eine Herausforderung. Das beschwört Konflikte wie jenen mit Ilona K. herauf – nämlich mit Teammitgliedern, die gern selbstständig arbeiten, Gestaltungsfreiraum schätzen und auf Augenhöhe in Abläufe eingebunden sein wollen.
Denn Selbstständigkeit schenkt diese Führungskraft nur im von ihr gesetzten Rahmen. Wer den mitunter engen Handlungsspielraum nicht akzeptieren will, wird sich auf Dauer neu orientieren, weil zur persönlichen Motivation der gewünschte eigenständige Freiheitsgrad bei der Arbeit fehlt. Erleichtert werden hingegen solche Mitarbeitenden sein, die klare Anweisungen und enge Vorgaben benötigen. Für sie ist der neue Chef ein Segen. Es hängt nun also von der Teamzusammensetzung ab, ob die Mehrheit einen formalen Führungsstil schätzt oder nicht. Überwiegen die Freigeister, dann sollte die Unternehmensführung überdenken, ob die ausgewählte Führungskraft an dieser Stelle wirklich die richtige Person ist, um aus dem Team das Beste herauszuholen und Kontinuität in der Besetzung zu wahren.
Katja Gose-Krüger ist geschäftsführende Gesellschafterin von Kompetenzmagnet, einer Personalberatung mit dem Schwerpunkt Führung und Managementkompetenzen. Mehr unter www.kompetenzmagnet.de