In den letzten Jahren ist ein regelrechter Hype um das Neuromarketing entstanden: Unternehmen glauben fest daran, nun den Kaufknopf des Kunden entdeckt zu haben, weil die Hirnforschung wirklich spannende Erkenntnisse über unser Kaufverhalten herausgefunden hat.
Gastbeitrag von Lars Schäfer, Speaker und Trainer
Aber gibt es ihn wirklich diesen Kaufknopf? Reicht es aus, über Reaktionen im Kundenhirn Bescheid zu wissen, um erfolgreich zu verkaufen?
Hype ums Neuromarketing
In seinem Buch „Buyology“ beschreibt der dänische Marketingguru Martin Lindstrom, wie die amerikanische Modekette Abercromby & Fitch die neuesten Erkenntnisse des Neuromarketings umsetzt.
Im Schaufenster sieht man stylish gekleidete und modelmäßig geformte Puppen, die die neuesten Kreationen zur Schau tragen. Im Laden selbst habe man das Gefühl, dass diese Puppen zum Leben erweckt wurden, da das Personal – männlich wie weiblich – ebenfalls mit Laufstegmaßen versehen ist.
Es tönt laute Trancemusik aus den Boxen, indirekte Beleuchtung taucht den Shop in angenehmes Licht und es duftet. Es duftet nach einem ganz speziellen Abercromby-& Fitch–Parfum, das in jedem Laden der Kette permanent versprüht wird.
Spiegelneuronen für Coolness
Was das Ganze soll? Nach eingehenden Versuchen mit Makaken, einer dem Menschen ähnlichen Affenart, hat man herausgefunden, dass unser Gehirn ganz automatisch Dinge imitiert, die „es“ sieht.
Es werden die sogenannten Spiegelneuronen aktiviert, die dann – vereinfacht ausgedrückt – unser Handeln insofern beeinflussen, dass wir gewisse Bewegungen imitieren wollen, manchmal sogar müssen.
Ich erinnere an den Fußballfan auf dem Sofa, der jeden wichtigen Elfmeter mitschießt. In diesem Fall also sollen die Spiegelneuronen den Kunden erzählen, dass sie ebenfalls so cool und gut aussehend sein werden, wenn sie denn gefälligst hier und nur hier einkaufen.
Kundenbindung durch Duft
Der zweite nachweislich wirkungsvolle Effekt aus der Hirnforschung lässt nicht lange auf sich warten: Wenn wir dann diese schicken Klamotten gekauft haben, wenn unser Unterbewusstsein so lange an unserem Ärmel gezupft hat, bis wir dem Kaufimpuls nachgegeben haben, dann meldet sich unser Belohnungszentrum: „Klasse! Gut gemacht! Endlich siehst du mal cool aus!“
Nun treibt die Modekette das Neuromarketing noch auf die Spitze: Dadurch, dass in jedem Shop derselbe Parfumduft in der Luft hängt, will man sich einen weiteren Effekt zunutzen machen: Das Priming oder deutsch: die Bahnung.
Das bedeutet, dass ein gewisser emotionaler Erst-Reiz zukünftig immer wieder vergleichbare Emotionen auslöst, wenn der Reiz gesetzt wird. Allerdings gibt es hier eine wichtige Einschränkung: Der erste Reiz muss laut Neuro-Psychologie so intensiv sein, dass er einen Gedächtnisinhalt auslöst.
Neuromarketing: Positive Erinnerungen erzeugen
Sie sitzen in Ihrem Traumurlaub abends an der Strandbar, schlürfen Ihren Lieblings-Cocktail und während dieses Abends läuft mehrere Male ein stimmungsvolles Lied, das Sie noch nie gehört haben – Erst-Reiz mit Gedächtnisinhalt.
Drei Wochen später sitzen Sie im Büro und hören aus dem Radio Ihres Kollegen genau dieses Lied wieder. Woran denken Sie jetzt wohl? Wie fühlen Sie sich? Genau diesen Effekt machen sich Werber und geschickte Verkäufer zunutze, wie eben Abercromby & Fitch.
Sie sollen, wenn alles wie geplant läuft, noch Wochen nach dem Kauf vor einer x-beliebigen Eingangstür eines Shops dieses Unternehmens an diesen tollen Moment, an dieses erhebende Kauferlebnis zurückdenken, nur weil Sie zum Beispiel diesen Geruch wiedererkennen.
Der Faktor Mensch
Was passiert, wenn der Faktor Mensch hinzukommt? Wenn die Verkäufer von der Einstellung und vom Gesichtsausdruck her nicht diesem konstruierten Ideal entsprechen? Dann kann der Laden noch so cool sein, dann kann die Verkaufstaktik noch so ausgefuchst sein, der tolle Eindruck, der durch das Priming entstehen sollte, ist ganz schnell dahin.
Was, wenn der Kunde absolut zufrieden und glücklich war, bis er eine Reklamation hatte und dabei ziemlich schroff abgewiesen wurde? Auch das ist Priming, allerdings negatives!
Was, wenn der Verkäufer nicht authentisch ist und es nicht schafft, beim Kunden Vertrauen aufzubauen?
Was, wenn er authentisch ist, aber mit seiner Persönlichkeit nicht zum jeweiligen Geschäftsmodell passt?
Die Maßnahmen, die aus den sinnvollen und spannenden Forschungsergebnissen der Neurowissenschaften abgeleitet werden, sind häufig zu durchschaubar, zu stark manipulierend und oft noch von vielen weiteren Faktoren abhängig und dadurch unkalkulierbar. Der Mensch ist zu kompliziert, als dass wir an ihm einen „Kaufknopf“ drücken könnten!
Es werden Milliarden an Euros und Dollars in neue Kundenhirnerforschungsprojekte gesteckt, anstatt dem Kunden die richtigen Fragen zu stellen, wirklich hinzuhören, um dann die folgerichtigen Schlüsse aus diesen Informationen zu ziehen.
Seite zwei: Neuromarketing: Vertrautheit schafft Vertrauen