Notbremse in der bAV: Möglichkeiten und Grenzen für eine Kündigung

Marco Eckert, Geschäftsführer der Deutsche Clearing-Stelle GmbH
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Marco Eckert, Geschäftsführer der Deutsche Clearing-Stelle GmbH

EXKLUSIV Gibt es vorzeitige Kündigungsrechte für eine bestehende betriebliche Altersversorgung (bAV)? Worauf müssen Arbeitgeber achten? Und wie sind vorzeitige Auszahlungen steuer- und abgabenrechtlich zu behandeln? Von Marco Eckert.

Wirtschaftsflaute und Inflation sind derzeit beherrschende Themen. Beide wirken sich – insbesondere in der Kombination – unmittelbar auf die verfügbaren finanziellen Mittel vieler Beschäftigter aus. Wer in der Folge konkret weniger in der Tasche hat als kalkuliert, muss sich unweigerlich mit der Frage auseinandersetzen: Wie lässt sich gegensteuern? Oftmals kommt Arbeitnehmenden als eine der ersten Maßnahmen eine Ruhendstellung oder Kündigung ihrer betrieblichen Altersversorgung (bAV) in den Sinn.

Doch um es vorwegzunehmen: Die letztgenannte Option ist alles andere als einfach zu realisieren. Maximal zehn Prozent der Kündigungswünsche werden letztlich positiv beschieden – aus unterschiedlichen Gründen. Grundsätzlich gilt: Zum Schutz betrieblicher Versorgungsanwartschaften dürfen gemäß Betriebsrentengesetz laufende Leistungen und gesetzlich unverfallbare Anwartschaften nur unter sehr engen Voraussetzungen abgefunden werden. Die Mittel sollen ausschließlich zur Sicherung des Lebensstandards im Alter zur Verfügung zu stehen und nicht vorzeitig für Konsumzwecke genutzt werden.

In jedem Fall obliegt das Recht zur Kündigung einer Direktversicherung ausschließlich dem Arbeitgeber als Versicherungsnehmer der Police und Vertragspartner des Versicherers. Somit hat der Arbeitnehmende Im laufenden Arbeitsverhältnis keine eigenen Gestaltungs- und Kündigungsrechte am Versicherungsvertrag. Immerhin eine Ruhendstellung kann jederzeit eingefordert werden: Möchte ein Arbeitnehmender die Entgeltumwandlung zugunsten seiner Direktversicherung nicht fortführen, kann er über seinen Arbeitgeber einen Antrag auf Beitragsfreistellung beim jeweiligen Versicherer einreichen.


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Wünscht der Arbeitnehmende nun allerdings die vorzeitige Auszahlung des Kapitals, ist der Arbeitgeber nicht per se verpflichtet, die Auflösung des Vertrags beim Versicherer durchzusetzen. Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wäre eine solche Verpflichtung des Arbeitgebers mit dem Versorgungszweck nicht vereinbar. Ein Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufswerts kann sich im Einzelfall lediglich dann ergeben, wenn beispielsweise aufgrund einer finanziellen Notlage ein überwiegendes Interesse des Versorgungsberechtigten an der Kündigung besteht – das dürfte aber nur im Ausnahmefall zu bejahen sein und muss individuell geprüft werden.

Tipp 1: Nicht ohne Aufklärung und sorgfältige Prüfung kündigen: Drängen Mitarbeitende auf die Auflösung einer Direktversicherung im laufenden Arbeitsverhältnis, sollte im ersten Schritt stets eine Aufklärung über die Konsequenzen erfolgen. Wertvolle Versorgungsansprüche gehen verloren und jeder Rückkauf einer Versicherung ist mit finanziellen Nachteilen verbunden. Zudem erlischt mit Kündigung der Versicherung nicht der gesetzliche Anspruch auf die Entgeltumwandlung. Gegebenenfalls verliert der Arbeitnehmende jedoch die Zuzahlungen des Arbeitgebers zu seinen eigenen Beiträgen. Die Wiederaufnahme einer gesetzlich verpflichtend anzubietenden Entgeltumwandlung durch den Arbeitgeber kann zu einem späteren Zeitpunkt eventuell nicht oder nur zu schlechteren Konditionen möglich sein. Diese Konsequenzen sollte der Arbeitnehmende kennen.

Keine Kapitalauszahlung bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses

Noch schwieriger oder gar unmöglich wird es im Fall von Kündigung des Arbeitsverhältnisses oder einer Unternehmensinsolvenz, sich angespartes Kapital auszahlen zu lassen. Zwar ist die angesparte Summe nebst Verzinsung insolvenzgeschützt und steht dem Arbeitnehmer in jedem Fall bei Erreichen der vorher bestimmten Altersgrenze zur Verfügung. Doch die Abfindung von gesetzlich unverfallbaren Anwartschaften – und damit die Kündigung des Versicherungsvertrags – ist unwirksam, wenn sie in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht.

Sofern sich die Parteien nun tatsächlich auf eine vorzeitige Kapitalauszahlung verständigen, sollte unbedingt eine Abfindungsvereinbarung geschlossen werden – gegebenenfalls mit Angabe der Gründe für die vorzeitige Auszahlung. Nur so lässt sich sicherstellen, dass ein Arbeitgeber arbeitsrechtlich später nicht zu weiteren bAV-Zahlungen aus der abgefundenen Versorgungszusage verpflichtet werden kann. Auch die Einbindung eines bestehenden Betriebsrats ist empfehlenswert.

Tipp 2: Oftmals ist der Kündigungswunsch nicht mit einer konkreten finanziellen Notlage verbunden: Das Problem besteht vielmehr in der monatlichen Belastung für Beschäftigte. Daher genügt meist eine Beitragsfreistellung, um die kurzfristigen Ziele zu erreichen. Der Versicherungsvertrag bleibt dann bestehen, die Verzinsung läuft weiter. In der Regel gewähren Versicherer bis zu drei Jahre Zeit, um die Beitragszahlung wieder aufzunehmen. Je nach jeweiligem Versicherer und Vertragsbedingungen ist statt einer Beitragsfreistellung auch eine Stundung der Beiträge möglich.

Steuerlichen Zufluss beachten

Brutto ist nicht gleich netto: Bei der Auszahlung eines Rückkaufwerts im laufenden Arbeitsverhältnis handelt es sich um Leistungen aus einer Direktversicherung, die in der Regel voll einkommenssteuerpflichtig sind und vom Versicherer an das Finanzamt gemeldet werden müssen. Auch kommt die Anwendung der sogenannten Fünftel-Regelung zur Abmilderung des Progressionsnachteils für außerordentliche Einkünfte für Abfindungen aus einer Direktversicherung nicht in Betracht. Somit hat der Arbeitnehmende die Auszahlung für das Jahr der Fälligkeit in voller Höhe zu versteuern. Die Crux: Der Steuersatz wird im laufenden Arbeitsverhältnis in der Regel höher sein als im Rentenalter.

Tipp 3: Die Auszahlung des Rückkaufswerts sollte immer unmittelbar an den Arbeitnehmenden erfolgen, um eine möglich doppelte Besteuerung oder Verbeitragung zu vermeiden. Versicherer stellen in der Regel entsprechende Aufklärungsschreiben zur Verfügung.

Abfindungszahlungen sind beitragspflichtige Einnahmen

Die Abfindung einer Betriebsrentenanwartschaft ist beitragsrechtlich als Versorgungsbezug zu werten. Mitglieder der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung müssen den Abfindungsbetrag somit zusätzlich zu ihren sonstigen Einkünften verbeitragen. Die Abfindungszahlung wird hierfür über 120 Monate als fiktive monatliche Einnahme verteilt. Für Pflichtversicherte sind darüber hinaus die Regelungen zur Freigrenze zu berücksichtigen. Damit ist die Abfindungszahlung in 2024, soweit kein sonstiges Arbeitseinkommen aus einer nichtselbständigen Tätigkeit erzielt wird, bis zu einer Höhe von 21.210 Euro nicht zu verbeitragen.

Der jeweilige Versicherer ist als Zahlstelle verpflichtet, die Auszahlung eines Abfindungsbetrags an die gesetzliche Krankenkasse des Versorgungsberechtigten zu melden. Wiederum behält der Arbeitgeber für die Abfindungszahlung keine Sozialversicherungsbeiträge ein. Die Beitragspflicht für den Versorgungsbezug trifft ausschließlich den begünstigten Mitarbeitenden – nicht jedoch den Arbeitgeber. Privat Krankenversicherte unterliegen nicht der Beitragspflicht.

Tipp 4: Die Verbeitragung kann sich unter Berücksichtigung der Regelungen zur Freigrenze und zum Freibetrag komplex gestalten. Arbeitnehmende sollten für Auskünfte zur Beitragsbelastung im konkreten Fall an die zuständige Krankenkasse verwiesen werden.

Fazit: Ruhendstellung oft die bessere Option

Einerseits hat eine betriebliche Versorgungsanwartschaft das klare Ziel, den Handlungsspielraum der Versorgungsberechtigten im Alter zu verbessern; andererseits dürfen selbst finanzierte Versorgungspläne nicht zur Belastungsfalle werden. In der Praxis ist ein Kündigungswunsch mit vorzeitiger Auszahlung individuell zu prüfen und nur in einer existenziellen Notlage zu gewähren.

Zumeist dürfte eine Ruhendstellung bei Bedarf an kurzfristigen liquiden Mitteln die bessere Option sein. Die wirtschaftlichen Einbußen durch eine vorzeitige Kündigung sind gegen die realisierte Netto-Leistung im Einzelfall sorgfältig abzuwägen und zu bewerten. Arbeitgeber sollten dabei ihre Mitarbeitenden über alle rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen aufklären und Kündigungen sowie Abfindungsvereinbarungen umfassend dokumentieren.

Der Autor Marco Eckert ist Geschäftsführer der DCS Deutsche Clearing-Stelle GmbH. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die moderne Verwaltung der betrieblichen Altersvorsorge in Unternehmen.

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