Cash. diskutierte mit Führungskräften aus der Finanzdienstleistungsbranche über den digitalen Reifegrad von Versicherern und Vertrieben, die Konkurrenz durch Google und Amazon und den kulturellen Wandel durch Digitalisierung.
Die Unternehmensberatung ZEB hat kürzlich in einer Studie den digitalen Reifegrad der Versicherungsbranche mit „ausreichend“ benotet. Ist diese Beurteilung richtig?
Grabmaier: Es gibt ja Bereiche, die in Sachen Digitalisierung vorbildlich sind, das gilt beispielsweise für das Wertpapier- und Fondsgeschäft. Im krassen Gegensatz dazu steht die Versicherungsindustrie, die sich mit einem gemeinsamen Datenstandard noch etliche Jahre Zeit lassen wird und die auch jetzt keine Bemühungen erkennen lässt, in diesem Thema ernsthaft nach vorn zu gehen. Ich glaube, wir bekommen als große Pools von 220 angeschlossenen Versicherungen gerade einmal sieben in Bipro-TAA-Norm, der Rest liefert eben etwas anderes. Da haben die Versicherer noch ganz weite Strecken zu gehen, und da ist ein „Ausreichend“ noch schmeichelhaft.
Labbow: Natürlich ist bei den Versicherern noch Luft nach oben. Aber seit einigen Jahren bemerken wir schon, dass die Gesellschaften technologische Standards entwickeln und nun auch umfangreiche Schnittstellen, wie Bipro, zur Verfügung stellen. Sicherlich hat jeder Versicherer sein Päckchen aus der Vergangenheit zu tragen, sodass der Anschluss nicht von heute auf morgen zu erwarten ist. Ich denke dennoch, dass der richtige Weg eingeschlagen wurde.
Neumann: Ich war jahrelang für Versicherungsunternehmen tätig. Wenn wir dort Ideen hatten, wurde immer in einer bestimmten Abteilung darüber diskutiert, dann gab zu viele Hierarchien, und letztlich sind gar keine Entscheidungen getroffen worden. Vielen Versicherungskonzernen fehlt der letzte Wille für den digitalen Umbruch, sie glauben, sie könnten sich auf ihren Riesenbeständen ausruhen. Aber in fünf bis zehn Jahren ist es dann zu spät, um sich noch darauf auszuruhen.
Gentz: Es ist aber auch eine große Herausforderung für die Unternehmen, überhaupt erst mal alle Daten zu strukturieren und sie in eine Form zu bekommen, sodass man sie digital weiterverarbeiten kann. Darüber hinaus sind Insellösungen an Software-Produkten inhouse entstanden, alte Prozesse, die neu strukturiert werden müssen, und das Ganze muss mit Schnittstellen versehen, erweitert, in den meisten Fällen wahrscheinlich sogar auf neue Lösungen migriert werden. Das sind große Aufgaben, die in vielen Häusern noch erledigt werden müssen. Das ist die Basis für die gesamte Digitalisierung.
Schmidt: Hinzu kommt, dass die Versicherer dabei immer die Überlegung anstellen: Wenn ich investiere, woher bekomme ich neue Erlöse? Alte Systeme aufzufrischen bedeutet nicht unbedingt, auf der Erlösseite besser dazustehen. Ich nehme wahr, dass die Versicherer schon extrem an der Digitalisierung interessiert sind, sie ihr Investment aber nicht auf die eigene Technologie konzentrieren, sondern lieber zukaufen – mutmaßlich deshalb, weil man sich über ein solches Investment neues Wachstum verspricht, das nur schwer zu erzielen ist, wenn man versucht, alte Systeme aufzufrischen.
Sutor: Man könnte eine ganze Menge Kosten einsparen, wenn man zum Beispiel die Blockchain-Technologie einsetzen würde, mit dem „Smart Contract“ dahinter. Wenn man einen „Smart Contract“ hat, dann weiß man: Der ist geprüft, der ist in Ordnung, den muss man nicht hundertmal anpacken. So könnte man zum Beispiel die Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers deutlich nach unten fahren, weil man viele Sachen von vornherein fertig vorgegeben bekommt. Das ist vielleicht in fünf bis zehn Jahren möglich, und das trifft letztendlich auch eine Versicherung mit ihren vielen Verträgen zu.
Seite zwei: „Wir brauchen eine Art Amazonisierung der Branche“