Die Zinsen haben wieder attraktive Niveaus erreicht. Allerdings hat sich die Krisenlage mit dem Konflikt im Nahen Osten noch einmal verschärft. Was macht die wenig optimistische geopolitische Gemengelage mit dem Anleihesegment?
Gries: Die geopolitische Eskalation im Nahen Osten infolge des Terrorangriffs der Hamas ist als Belastungsfaktor zuletzt etwas in den Hintergrund gerückt. So handeln die Ölpreise als wichtiger Preistreiber heute auf niedrigeren Niveaus im Vergleich zum Kriegsausbruch. Nach einer durchwachsenen Berichtssaison liegt der Marktfokus auf den derzeit rückläufigen Inflationszahlen und dem verhaltenen Wachstumsausblick.
Nicht wenige Experten rechnen bereits jetzt damit, dass es im Jahresverlauf zu ersten Zinssenkungen kommen könnte. Wie ist Ihre Einschätzung diesbezüglich?
Gries: Der Leitzins von 4,5 Prozent ist aus unserer Sicht restriktiv und der geldpolitische Transmissionsmechanismus in der Eurozone greift schon deutlich. Die wirtschaftliche Aktivität wird in den nächsten Quartalen weiter gedämpft verlaufen. Das weiß auch die EZB. Der Markt preist momentan etwa 100 Basispunkte an Zinssenkungen für das Jahr 2024. Das erscheint nicht allzu aggressiv, insbesondere wenn die makroökonomische Abkühlung etwas ausgeprägter ausfallen sollte als bisher erwartet.
Hätten sich Investments in Anleihen damit bereits wieder erledigt?
Gries: Nein. Wir haben in 2022 einen Regimewechsel an den globalen Zinsmärkten erlebt, der mit historisch hohen Verlusten einherging. Das vergangene Jahr konnten die Anleihemärkte Jahr mit positiven Erträgen abschließen. Generell bleiben die Bewertungen im Anleihebereich aber weiterhin attraktiv und sollten mittelfristig ein gutes Performancepotenzial mit sich bringen. Anleihen spielen wieder eine wichtige Rolle auch für gemischte Portfolien.
In welchen Anleihesektoren rechnen Sie mit Chancen, von welchen sollte man eher die Finger lassen?
Gries: Grundsätzlich haben wir zuletzt die Zinssensitivität, d.h. die Duration, in den Anleihesegmenten deutlich erhöht. Aus unserer Sicht bieten Unternehmensanleihen ein sehr gutes Risiko-/ Ertragsprofil für das Jahr 2024. Allerdings bleibt der Ausblick für einige Sektoren wie zum Beispiel den Immobilienbereich schwierig. Im Markt für Hochzinsanleihen sehen wir momentan eine sehr starke Differenzierung zwischen guten und schlechten Emittenten hinsichtlich der Risikoprämien. In Summe ist daher eine fundamental stringente Kreditselektion unabdingbar.
Wie fallen Ihre Renditeprognosen für 2024 und darüber hinaus aus?
Gries: Wir erwarten, dass sich die Erholungstendenzen an den Anleihenmärkten im Jahr 2024 weiter fortsetzen. Insbesondere in den Credit-Segmenten sind aufgrund der immer noch guten Puffer auch in verschiedenen makroökonomischen Szenarien Erträge zwischen fünf bis sieben Prozent durchaus realistisch.
Im letzten Jahr gab es im Spätsommer eine Phase mit deutlich steigenden Renditen. Was waren aus Ihrer Sicht die Gründe für diese Entwicklung?
Gries: Dies war insbesondere getrieben durch einen deutlichen Zinsanstieg in den USA. Die Ursachen hierfür waren vielfältig. Zum Beispiel reduzierte die Ratingagentur Fitch im August die Bonitätseinstufung für die USA und das Finanzministerium überraschte den Markt mit Prognose über ein deutlich höheres Anleiheemissionsvolumen für das zweite Halbjahr zur Finanzierung des weiterhin signifikanten Budgetdefizits. Zudem fiel das wirtschaftliche Momentum in den USA für das 3. Quartal sehr stark aus. Seit Mitte Oktober haben die Zinsmärkte allerdings wieder gedreht und der November wird als einer der stärksten Ertragsmonate für die Anleihemärkte in die Geschichtsbücher eingehen.
Stichwort Nachhaltigkeit. Die Zahl der Green Bonds wächst derzeit zum Teil dramatisch. Eine Chance für Anleger, die sie auf jeden Fall nutzen sollten?
Gries: Der Finanzierungsbedarf, um unsere Volkswirtschaften in den nächsten Jahrzehnten nachhaltiger aufzustellen, ist enorm. Der Anleihemarkt und Green Bonds im Speziellen werden eine entscheidende Bedeutung spielen hinsichtlich der Finanzierung dieses Transformationsprozesses. Green Bonds ermöglichen dem Investor spezifische „grüne“ Projekte zu finanzieren wie zum Beispiel im Bereich Erneuerbare Energien oder Energieeffizienz. Die EU hat zuletzt klare Standards für Green Bonds definiert, was die Integrität und Zuverlässigkeit weiter erhöht. Durch einen defensiven Sektorfokus mit überwiegend wenig zyklischen Emittenten bietet die Anlageklasse einen gewissen Diversifizierungsgrad bei sehr marktgängigen Einstandsrenditen. Wir erwarten einen stetig wachsenden Markt für grüne Anleihen.
Bereits auf der Aktienseite ist die Integration von ESG-Kriterien nicht einfach. Wie stellt sich die Situation bei Anleihen dar?
Gries: Die Integration ist nicht einfach, weil es keine einheitliche länderübergreifende regulatorische Definition für ESG-Kriterien gibt. Das führt dazu, dass die Anbieter individuelle ESG-Ansätze implementiert haben, was die Vergleichbarkeit aus Kundensicht erschwert. Des Weiteren tragen Aktien und Anleihen mitunter unterschiedliche Nachhaltigkeitsrisiken. Wie bewertet man zum Beispiel die potenziellen Auswirkungen des Klimawandels bei einer Anleihe mit 15 Jahren Restlaufzeit?
Welchen Stellenwert hat ESG überhaupt derzeit bei Anleihefonds?
Gries: Die ESG-Integration hat sich aus unserer Sicht in den letzten Jahren sehr stark etabliert und ist nunmehr ein fester Bestandteil von Anleihefonds. Viele Kunden erwarten zumindest eine Artikel 8 SFDR-Klassifizierung basierend auf den Kriterien der EU-Taxonomie. Diese Entwicklung sehen wir insbesondere bei institutionellen Kunden, welche mittlerweile viel mehr Wert auf Nachhaltigkeit und die Erreichung von spezifischen Klimazielen für ihre Anlagen legen.
Was sind die größten Herausforderungen diesbezüglich im Fondsmanagement?
Gries: Es erscheint schwierig, alle Ziele wie die Reduzierung von CO2-Emissionen, Konformität mit EU-Taxonomie, nachhaltige Investitionen und die Berücksichtigung von ESG-Ratings gleichzeitig zu erreichen. Die unterschiedlichen Aspekte bergen unterschiedliche Herausforderungen aus der Fondsmanagementperspektive und eine Vermischung verschiedener ESG-Ziele kann auch kontraproduktive Folgen mit sich bringen, wie zum Beispiel eine zu starke Fokussierung auf ESG- Ratings bei gleichzeitiger Reduzierung der CO2-Intensität in einem Fonds. Letzteres Ziel würde zu einem Ausschluss von energieintensiven Emittenten aus dem Öl & Gas Bereich führen, die gegebenenfalls bei bestimmten Ansätzen durchaus gute ESG-Ratings haben könnten.
Interview: Frank O. Milewski, Cash.