Ökoworld-Interview: „Wir suchen soziale, ethische und ökologische Perlen mit ausgefeilten technischen Ressourcen“

Foto: Ökoworld/Jochen Rolfes
Nedin Kaplan (links) und Thomas Keymel, beide Ökoworld

EXKLUSIV Der Markt für ökologische und ethisch-soziale Kapitalanlagen hat derzeit keinen leichten Stand bei Investoren. Wir sprachen mit Nedin Kaplan, Leiter des Portfoliomanagements, und Thomas Keymel, Regionaldirektor Banken- und Vermittlervertrieb für die Region „Süd“, beide Ökoworld, über die Gründe, darüber, was sich im Segment ändern muss, die Chancen nachhaltiger Fonds und über die Herausforderungen im Vertrieb.

Herr Kaplan, Sie sind seit Mitte April neuer Chef des Portfoliomanagements. Welche Strategie verfolgen Sie in der neuen Position und wie unterscheidet sich diese möglicherweise auch verglichen mit ihren Vorgängern?
Kaplan: Ich bin überzeugt, dass wir mit unserem fokussierten Experten-Team, noch viele „low hanging fruits“ ernten können. Was ist generell unsere Vorgehensweise? Wir verfolgen einen zweigeteilten Ansatz bei der Auswahl der Titel für unsere Fonds. Der Nachhaltigkeitsresearch prüft zunächst, ob ein Unternehmen tatsächlich unseren strengen Vorgaben in Sachen Nachhaltigkeit genügt. Erst wenn diese Prüfung erfolgreich abgeschlossen wurde kann mein Portfoliomanagement entscheiden, ob das Unternehmen auch als Investment für uns in Frage kommt. Bei der Suche nach sozialen, ethischen und ökologischen Perlen nutzen wir ausgefeilte technischen Ressourcen. Damit können wir heute wesentlich breiter und tiefer arbeiten – als noch vor wenigen Jahren. Auch innerhalb des Portfolios beschäftigen wir uns mit einem breiteren Spektrum an Daten, um Anomalien aufzudecken und diese taktisch in die Renditeoptimierung und das Risikomanagement einzubeziehen. Darüber hinaus setzen wir ganz klar auf Spezialisten. Sie ermöglichen uns eine hohe Fokussierung auf die spezifischen Besonderheiten und Strategien der einzelnen Fonds.

Letztes Jahr war ein schwieriges für ethisch-ökologische Anlagen. Was waren aus Ihrer Sicht die Gründe und in welchem Umfang waren auch die Ökoworld-Fonds davon berührt und Wie haben sich die Ökoworld-Fonds allen voran das Flaggschiff Ökovision Classic im letzten Jahr entwickelt?
Kaplan: Wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Es ist richtig: In den ersten 10 Monaten 2023 sind wir auf Grund des schwierigen geopolitischen Umfeldes hinter den Erwartungen vieler Anleger zurückgeblieben. Auch im Vergleich zu einem MSCI World Index war das Anlagejahr 2023 für uns eine Herausforderung. Die Entwicklung des MSCI World geht aber auf das starke Wachstum weniger Indexschwergewichte wie Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet (Google), Facebook (Meta), Tesla, Eli Lilly zurück. Und das sind Aktien, in die wir nicht investieren werden, solange sie unsere ethisch- ökologisch, und sozialen Anlagevoraussetzungen nicht erfüllen. Kleine und mittlere Unternehmen, in die wir vor allem investieren, hatte es dagegen im krisengeschüttelten Jahr 2023 sehr schwer. Und in diesem Umfeld gemessen, haben wir uns gut geschlagen – insbesondere in den letzten beiden Monaten 2023. Unser Flaggschiffprodukt Ökoworld Ökovision-Classic hat im Gesamtjahr 2023 eine Performance von immerhin knapp sieben Prozent erreicht, unser Ökoworld Klima-Fonds knapp zehn Prozent und der Ökoworld Growing Markets 2.0 knapp elf Prozent. Ein Beispiel, der MSCI Emerging Markets Index hat 2023 nur eine Rendite von rund sechs Prozent erreicht. Gerade für die in unseren Fonds stark vertretenen kleinen und mittleren Unternehmen sehe ich in den kommenden Monaten große Chancen für ein Comeback.
Keymel: Diese Schwankungen inklusive der grandiosen Aufholjagd unserer Fonds Ende 2023 kamen insbesondere langfristig orientierten Investoren zum Beispiel in Fondspolicen zu Gute. Hier kommt der oft zitierte Cost-Average-Effekt sehr zu Gunsten der Kunden zum Tragen. Denn da diese Anleger in Phasen niedrigerer Kurse mehr Anteile für ihr Geld bekommen, profitieren sie langfristig überdurchschnittlich davon, wenn der Kurs wieder steigt.


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Neben dem Thema Greenwashing und den Multikrisen auf geopolitischer Ebene war sicherlich auch die Regulierung mit ein Grund, warum das Segment in 2023 nicht so gut gelitten war wie in den Jahren zuvor. Welche Wünsche haben Sie an den Regulierer, um Nachhaltigkeit sowohl anlageseitig als auch gesellschaftlich wieder stärker in den Fokus zu bringen?
Kaplan: Die aktuelle Regulierung ist eine Reaktion auf das massive Greenwashing der vergangenen Jahre. Sie ist richtig, nur leider viel zu spät gekommen. Die Folge der Regulierung ist allerdings, dass der Marktanteil von Artikel-9-fähigen Publikumsfonds aktuell im niedrigen einstelligen Bereich liegt. Viel wichtiger wäre es, dass wir endlich auch eine Regulierung derjenigen bekommen, die keinerlei Rücksicht mit ihren Investments nehmen. Hier brauchen wir dringend Beipackzettel die auf die Risiken für Gesundheit, Kinderarbeit, Ausbeutung, Umweltverschmutzung oder den Gefahren von Treibhausgasen bestimmter Investments hinweisen. Wir brauchen dringend eine transparente und glaubhafte Regulierung, die nicht-nachhaltige und umweltgefährdende Geschäftsmodelle beim Namen nennt. Aktuell wird nicht differenziert ob man mit seiner Kapitalanlage den Planeten rettet oder zerstört. Das muss sich ändern. Ethisch-ökologische Fonds, die vor dem Hintergrund des ungebremst voranschreitenden Klimawandels, einen erheblichen Beitrag zur Einsparung von Co2 und anderen Treibhausgasen beitragen, sollten prozentual von der Kapitalertragsteuer befreit werden. So könnten im Bereich der langfristigen aktienorientierten Altersvorsorge generationenübergreifende Risiken adressiert werden und verantwortungsbewusste Investoren im Bereich der privaten Altersvorsorge belohnt werden.

Ihr Team kümmert sich um die Fundamentalanalyse der Werte, die vom unternehmenseigenen Nachhaltigkeits-Research sowie dem hochrangig besetzten Anlageausschuss als investierbar befunden wurden. Inwieweit erleichtert oder erschwert das Ihre Arbeit, hätten Sie in der Vergangenheit auch gerne einmal in andere Werte investiert?
Kaplan: Ich bin Überzeugungstäter und werde deshalb ausschließlich in Unternehmen investieren, die einen Beitrag zu einer nachhaltigen ethisch einwandfreien gesellschaftlichen Entwicklung leisten. Wenn man diese Überzeugung hat, kann man nicht nebenbei noch ein bisschen Geld in Firmen wie Coca-Cola, Texaco, Nestle oder Amazon anlegen. In unserem Team würde keiner aus Profitgier eine Aktie für unsere Fonds empfehlen, in der beispielsweise Kinderarbeit oder eine brutale Ausbeutung der Arbeitskraft nicht ausgeschlossen werden können. In diesen Punkten gibt es bei Ökoworld eine große Einigkeit. Investmentbereich, Nachhaltigkeits-Research und Anlageausschuss nehmen zwar unterschiedliche Funktionen war, sind sich aber in den Kernthemen immer einig.

Was sind aus Ihrer Sicht die Megathemen im Bereich Nachhaltigkeit, um das Überleben der Menschheit zu sichern und inwieweit sind diese investierbar?
Kaplan: Unsere Zielsetzung ist ja die Ökologisierung der Wirtschaft. Hier gibt es viele große Zukunftsfelder, in die wir bevorzugt investieren. Das sind Megathemen wie Klima, Gesundheit, Bildung aber auch KI. Nehmen wir mal das Thema Wasser: In vielen Bereichen der Wasserinfrastruktur muss weltweit erheblich in eine zukunftsfähige und smarte Abwasserbeseitigung, Wasseraufbereitung und -recycling sowie Wasserinfrastruktur investiert werden, wenn man künftig hohe gesundheitliche Risiken für die Bevölkerung, die beispielsweise durch chemische Verunreinigungen entstehen, vermeiden möchte. Ein weiteres Megathema ist natürlich der voranschreitende Klimawandel. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist der Ausstoß von Co2 und anderen klimaschädlichen Treibhausgasen, die im Wesentlichen durch die Industrie und dem Verkehr ausgestoßen werden. Es gibt schon heute viele Unternehmen, die bereits einen wesentlichen Beitrag zur Durchbrechung dieses Teufelskreises beitragen. Das sind Unternehmen vor allem aus dem Technologiebereich.

Sie sind zwar Stockpicker im Segment der ethisch-ökologischen Investments, aber dennoch die Frage an Sie mit Blick auf die Entwicklung von Industrie- und Schwellenländern: Wie ist der Status quo in Sachen Nachhaltigkeit in Ländern wie China, Indien und Co.?
Kaplan: Es ist unbestreitbar, dass Schwellenländer in vielen Bereichen der Nachhaltigkeit Defizite aufweisen. Mangelnde Mülltrennung und Recycling sowie eine erhöhte Luft- und Wasserverschmutzung durch Industrie und Verkehr sind immer noch häufig zu beobachten. Dennoch sind dort auch zahlreiche Initiativen zur Bewältigung von Herausforderungen erkennbar. Besonders deutlich wird dies im Bereich der Energieversorgung. China hat sich bereits seit Jahren als weltweit führender Investor in Solar- und Windenergie etabliert und baut derzeit fast doppelt so viele Kapazitäten in diesem Bereich auf, wie der Rest der Welt zusammen. Auch Indien treibt den Ausbau erneuerbarer Energien rasant voran. Allein in diesem Jahr wurden Ausschreibungen für neue Kapazitäten von 70 Gigawatt abgeschlossen – mehr als das Dreifache des Vorjahres. Wir partizipieren mit unseren Fonds bereits seit längerem an dieser Entwicklung. Zwei unserer aktuellen Top Ten Investments im Ökoworld Growing Markets 2.0 sind beispielsweise der indische Solarprojektentwickler KPI Green Energy und der ebenfalls indische Windturbinenhersteller Inox Wind.

Dominik Salecki aus Ihrem Team war unlängst in Taiwan, mit welcher Zielsetzung?
Kaplan: Im Fokus der Reise stand ein tiefergehendes Verständnis der gesamten Wertschöpfungskette des Halbleitermarktes und natürlich auch für das Megathema Künstliche Intelligenz. Taiwan, die kleine Insel vor der Küste Chinas, stellt als weltweit führender Hersteller von Mikroprozessoren und Lieferant von mehr als 90 Prozent aller für KI-Anwendungen genutzten Server. Dominik Salecki besuchte zahlreiche Unternehmen, die bereits heute signifikante Umsätze mit KI-basierten Lösungen erzielen. Neben der Künstlichen Intelligenz bot die Reise aber auch spannende Einblicke in viele weitere Branchen. Taiwan beheimatet beispielsweise den Weltmarktführer für elektronisches Papier E-Ink. Elektronisches Papier kommt beispielsweise in E-Books und digitalen Preisschildern zum Einsatz.

„KI könnte einen jährlichen Produktionszuwachs von 2,6 bis 4,4 Billionen US-Dollar ermöglichen“

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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