Open Insurance: Versicherungen, öffnet euch!

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Andreas Fensterer, Q_Perior

Die digitale Transformation in der Versicherungsbranche nimmt Fahrt auf. Eine zentrale Zutat, damit diese anspruchsvolle Aufgabe gelingt, ist die Öffnung nach außen. Das betrifft sowohl die eigenen Prozessketten und IT-Systeme als auch die Präsenz in den einschlägigen Ökosystemen. Nur so gelingt es, auf Dauer zukunftsfähig zu bleiben. Von Andreas Fensterer, Q_Perior.

Die digitale Transformation der Versicherungsbranche ist bereits auf einem guten Weg. Vieles, was noch vor wenigen Jahren exotisch erschien, ist nun, auch bedingt durch die Corona-Pandemie, Normalität geworden – von intelligenten Kunden- und Self-Services bis zu virtuellen Beratungsgesprächen inklusive Shared Documents und digitaler Unterschrift ist vieles dabei. Außerdem haben die vergangenen zweieinhalb Jahre etablierten Versicherern nochmals deutlich gezeigt, wie anfällig alte Geschäftsmodelle mittlerweile sind.

Noch weit vom Disruptionsgrad der Banken entfernt

Zwar ist die Versicherungsbranche nach wie vor weit vom Disruptionsgrad der Bankenwelt entfernt, wo die Digitalisierung für massive Veränderungen etwa im Filialgeschäft gesorgt hat. Dennoch müssen sich auch Versicherer mit ihrer Unternehmensstrategie und IT-Struktur auseinandersetzen, um zukunftsfähig zu bleiben.

Und es tut sich schon einiges. Viele Versicherungshäuser arbeiten aktuell daran, ihr Geschäft auf Digitalisierung und die damit verbundene Öffnung ihrer IT-Landschaft und Prozessketten neu auszurichten.

Die Tendenz in diese Richtung lässt sich auch sehr gut an Hand des umfangreichen Angebots auf den Service-Marktplätzen einiger Anbieter ablesen. Auch kleinere, regional tätige Versicherungen öffnen sich mehr und mehr, um den wachsenden Bedürfnissen der Kund:innen nach mehr Flexibilität, online verfügbaren Informationen und einer nahtlosen Customer Journey gerecht zu werden.

Jetzt für InsurTechs und White-Label-Produkte öffnen

Die eigenen Systeme und Prozesse für die Digitalisierung fit zu machen, ist alles andere als trivial. Deshalb ist es ratsam, Partnerunternehmen ins Boot zu holen. Einige Versicherer gehen bereits Kooperationen mit InsurTechs und Neo-Versicherern ein. Eine gute Entscheidung, denn diese hoch spezialisierten Start-ups bringen ein riesiges Potenzial an digitalem und technischem Know-how mit.

Die Investitionen in InsurTechs befinden sich auch in 2022 weiterhin auf hohem Niveau und die angebotenen Services gewinnen an Reifegrad. Dass man sich hier Konkurrenz ins Haus holt oder gar mit Verdrängung rechnen muss, ist dabei nicht zu befürchten.

Der Großteil der Insurtechs hat sich auf die Optimierung und das Angebot von B2B-Leistungen für einzelne Teile der Wertschöpfungskette von Versicherern spezialisiert. Eine eigene Marke zu etablieren, ist für sie weniger relevant. Stattdessen liegt ihr Fokus darauf, Versicherern moderne IT zur Verfügung zu stellen – als fertige und vor allem günstige White-Label-Lösungen, zum Beispiel für den kurzfristigen Relaunch neuer Produkte. Damit können Versicherer schnell am Markt agieren. Gute Beispiele dafür liefern die InsurTechs Neodigital oder Element.

Zwar gibt es auch Neo-Insurer, die mit rein digitalen Geschäftsmodellen in Konkurrenz zu den Branchengrößen treten wollen. Doch zu einem echten Verdrängungskampf zwischen Versicherungskonzernen und Insurtechs ist es bis jetzt nicht gekommen, ganz im Gegenteil: Sie sind einträchtig in Koexistenz in Ökosystemen präsent und verknüpfen sich sogar innerhalb der Branche.

Damit unterstützen Insurtechs vor allem Häuser mit klassischen und historisch gewachsenen (IT-)Strukturen dabei, inhouse viel Entwicklungs- und Integrationsaufwand zu sparen. So können sie sich voll und ganz auf die eigenen Kernprodukte und andere wichtige Themen fokussieren. Hier werden in den kommenden Jahren noch spannende Entwicklungen zu beobachten sein.

Marktplätze für branchenspezifische Lösungen

Das Angebot an branchenspezifischen APIs und Services nimmt immer weiter zu. Neben den InsurTechs verfolgen auch etablierte Marktteilnehmer die Strategie, ihre Services innerhalb der Branche anzubieten und für sich selbst zu monetarisieren. Plattformen für die Bereitstellung solcher Services bieten mittlerweile einige Anbieter von Kernsystemen, wie beispielsweise Guidewire, Msg oder auch die Syncier mit ihren Marketplaces an.

Hier können Services direkt online erworben und via API in die eigene Systemlandschaft integriert werden. Der API Marketplace ist auch ein wesentlicher Markttrend im Bereich der API Management Strategy innerhalb von großen Versicherern.

Diese sollen im ersten Schritt zur Orchestrierung des eigenen API-Ökosystems dienen und Wiederverwendung stärken. In weiteren Schritten bieten solche Lösungen dann die ideale Basis, um die so kuratierten APIs nach außen zu öffnen und ausgewählten Konsument:innen anzubieten.

Dinosaurier oder Symbiot: die wichtige Entscheidung

Mit diesen neuen Möglichkeiten wird es für Versicherungen deutlich einfacher, sich für die Digitalisierung zu öffnen. Zwar gibt es noch Hürden: Beispielsweise ist der Datenaustausch aufgrund des noch fehlenden einheitlichen Branchenstandards technisch anspruchsvoll, frisst viele Ressourcen und ist daher noch nicht ausreichend effizient.

Doch das ist eine Frage der Zeit. Technologien entwickeln sich weiter und die Integration wird künftig schneller und einfacher vonstattengehen, bei gleichzeitig schrumpfendem Aufwand. Dies wird weiter Hemmschwellen abbauen.

Fakt ist: In der „alten Welt“ zu bleiben, ist keine Option mehr. Die Tage des „Fully Integrated Dinosaur“, der alle Prozesse innerhalb der Wertschöpfungskette ausschließlich inhouse betreibt, sind gezählt. Am anderen Ende des Spektrums steht der „Integrated Symbiot“, der externe Services in Anspruch nimmt und damit Teil eines oder mehrerer Ökosysteme wird.

Hier muss jeder Versicherer genau abwägen, wie weit er entlang dieses Spektrums gehen kann. Eine wichtige Voraussetzung auf dem Weg zum Symbiot ist, dass die IT-Landschaft dafür bereit ist oder alternativ über moderne Kernversicherungslösungen mit starker Integrationsfähigkeit verfügt.

Die Branche ist bereit für Neues

Insgesamt ist zu beobachten, dass die Veränderungsbereitschaft in der Branche wächst. Open Insurance und die damit verbundenen Lösungen und Angebote werden maßgeblich dazu beitragen, dass die digitale Transformation voranschreitet.

Wenn Versicherer in Zukunft vieles schneller und effizienter abwickeln können als heute, können sie die Customer Journey entlang der (Online-)Lebenswelten der Menschen gestalten und damit den wachsenden Kundenerwartungen deutlich besser gerecht werden. Deshalb müssen sie die Modernisierung von Strategien und Kernsysteme weiter vorantreiben, sich für Kooperationspartner öffnen und Teil von Ökosystemen werden.

Die digitale Transformation ist mehr als Technologie und moderne Schnittstellen. Damit einher geht auch die Veränderung des Mindsets der Versicherungsindustrie samt ihrer Partnerunternehmen. Noch ist es schwierig, genau vorherzusagen, wann sie vollbracht ist. Klar dürfte indes jetzt schon sein, dass die Zahl der „Dinosaurs“ künftig stark zurückgehen wird.

Der Autor ist Manager bei Q_Perior.

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