Peakflation: Der Höhepunkt der Inflation liegt hinter uns

Dr. Stefan Kipar
Foto: Union Investment
Dr. Stefan Kipar, Union Investment: "Ein nennenswerter Anstieg des allgemeinen Zinsniveaus über das derzeit an den Kapitalmärkten eingepreiste Niveau hinaus, ist indes nicht zu erwarten."

Trotz massiver Intervention der Notenbanken sinkt die Inflation nur langsam. Bis Vor-Corona-Niveaus erreicht sein werden, ist der Weg noch lang. Allerdings eröffnet das Investitionschancen.

In den vergangenen beiden Jahren kam es vor allem infolge des Auslaufens der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs weltweit zu einem ungewöhnlich starken Anstieg der Inflation. Insbesondere die große Kluft zwischen robuster Nachfrage und knappem Angebot sorgte für Preisdruck. Hierauf haben die Zentralbanken mit kräftigen Leitzinserhöhungen reagiert. Inzwischen ist die Inflation spürbar gesunken, doch der Weg zu den Vor-Corona-Niveaus ist noch weit. Auf diesem Weg eröffnen sich jedoch interessante Anlagechancen.

Die volkswirtschaftliche Abteilung von Union Investment geht davon aus, dass sich der Rückgang der Inflationsraten in den kommenden Monaten fortsetzen wird, aber in gemäßigtem Tempo. Die unterliegende Inflation hält sich recht hartnäckig. Bis Ende 2023 dürfte die Teuerung in den USA und im Euroraum zwischen 3,5 Prozent und vier Prozent liegen. Beim Blick auf die Entwicklung in den Industrieländern zeigt sich wie so häufig, dass die USA die Richtung vorgeben. Dort liegt der Inflationsgipfel am weitesten zurück, wo die höchste Inflation bereits Mitte 2022 gemessen wurde. Es folgen der Euroraum und Großbritannien, mit dem Höhepunkt der Inflation im vierten Quartal 2022. Japan hingegen steht aktuell erst am beziehungsweise sogar noch vor dem Gipfel, wobei die Teuerung dort aus strukturellen Gründen stets niedriger als in den westlichen Ländern ausfällt.

Drei Faktoren sorgen zurzeit für einen anhaltend rückläufigen Preisdruck: Erstens normalisiert sich das gesamtwirtschaftliche Angebot, da sich Engpässe bei Vorleistungen, Logistik und Produktion schrittweise lösen. Zweitens neigt sich der Nachfrageschub nach Gütern und Dienstleistungen seit dem Auslaufen der Corona-Pandemie seinem Ende zu. Und drittens lässt auch der Druck in der Pipeline nach, da die Preissteigerungen für Vorleistungsgüter bereits zu einem großen Teil zu den Konsumgütern und damit zu den Verbrauchern durchgereicht wurden.

Dabei sind die verschiedenen Güter- und Dienstleistungsgruppen in unterschiedlichem Maße von den oben genannten Treibern betroffen. Die Energiepreise waren zunächst am schnellsten in die Höhe geschossen und dann wieder gefallen. Zurzeit machen sie nur noch einen kleinen Teil der Verbraucherinflation aus, teilweise wirken sie sogar disinflationär. Es folgen die Preise für Lebensmittel, Kerngüter und Mieten, die den Gipfel bereits hinter sich gelassen haben.

Die Inflation bei den Dienstleistungen (ex Mieten) zeigt bislang noch die geringste Entspannung. Dies ist wenig überraschend: Deren Entwicklung steht und fällt mit dem Arbeitsmarkt, da Löhne hier den größten Kostenblock darstellen. Weil die Bedingungen am Arbeitsmarkt denen in der Gesamtwirtschaft mit Verzögerung folgen, folgt die Dienstleistungsinflation (ex Mieten) mit zeitlicher Verzögerung den anderen Inflationskomponenten. Daher benötigt es noch etwas Zeit, bis die Lohnsteigerungen mehr in Einklang mit einer Inflation von etwa zwei Prozent kommen.

Bei der Inflationsprognose spielt auf der Kostenseite die Preissetzungsmacht der Unternehmen die wichtigste Rolle. In den Jahren 2021 bis 2022 hat ein außerordentlich starker Gewinnmargenanstieg die Inflation getrieben. Dabei sind im historischen Vergleich die Margen noch stärker gestiegen als die Lohnkosten. Angebotsengpässe in Kombination mit einer starken Nachfrage kamen den Unternehmen zugute. Mit der aktuell nachlassenden Nachfragedynamik und geringeren Angebotsengpässen dürfte die Preissetzungsmacht der Unternehmen jedoch stärker schwinden als die Möglichkeit von Arbeitnehmern, ihre Lohnforderungen durchzusetzen. In den meisten Ländern ist dies in Ansätzen bereits der Fall.

Geldpolitik: Der Zinsgipfel ist nahe, aber bis zum Abstieg dauert es noch

Die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) stehen kurz vor dem Ende ihres Straffungszyklus, der mit Abstand der aggressivste seit mehreren Jahrzehnten gewesen ist. Die letzten Schritte zum Gipfel sind mühsam und offenbaren das Risiko, das mit einer geldpolitischen Straffung in diesem Ausmaß verbunden ist. Die Geldpolitik wirkt mit erheblicher Zeitverzögerung auf die Realwirtschaft, ein Großteil der Straffung ist noch gar nicht in der Realwirtschaft angekommen. Zum anderen ist auch das Bankensystem betroffen, wie die Turbulenzen rund um einige US-Regionalbanken zuletzt gezeigt haben.

Nach anfänglichem Zögern haben Fed und EZB in den zurückliegenden Quartalen rasch und kräftig ihre Leitzinsen erhöht. Bei der Fed beläuft sich die kumulierte Zinsanhebung seit Beginn des Zinszyklus im März 2022 inzwischen auf 500 Basispunkte, bei der EZB sind es seit Juli 2022 insgesamt 400 Basispunkte. Hinzu kommen Maßnahmen zum Bilanzabbau. Angesichts von Inflationsraten von zwischenzeitlich annähernd zehn Prozent und der Gefahr, dass sich die Inflationserwartungen verstetigen, war ein derart entschiedenes Vorgehen nicht nur angemessen, sondern auch absolut geboten. Inzwischen haben Fed und EZB die Höhe ihrer Zinsschritte auf das vor 2022 übliche Maß von 25 Basispunkten reduziert und nähern sich dem Zinsgipfel. Die Zinspause der Fed im Juni interpretieren wir als Versuch, das Anhebungstempo kurz vor dem Zinsgipfel noch einmal zu verringern, um mehr Zeit für die Bewertung der zeitlich verzögerten Auswirkungen der Geldpolitik zu gewinnen. Auch wenn sich die Inflation seit Monaten in die richtige Richtung bewegt, ist sie doch noch ein gutes Stück vom Ziel der Preisstabilität entfernt.

Nach unserer Einschätzung wird die Fed im Juli noch ein letztes Mal an der Zinsschraube drehen und den Leitzins um 25 Basispunkte auf ein Zielband für die Fed Funds Rate von 5,25 Prozent bis 5,5 Prozent anheben. Bei der EZB rechnen wir noch mit zwei weiteren Zinsschritten um jeweils 25 Basispunkte im Juli und September sowie mit einem Zinsgipfel beim Einlagesatz von 4,0 Prozent.

Für die Kapitalmärkte entscheidend wird sein, wie lange die Zinsen auf diesem Niveau bleiben. Es ist zu erwarten, dass sowohl die Fed als auch die EZB erst dann die Zinsen senken, wenn sich die Inflation nicht nur nachhaltig entspannt, sondern auch der Abstand zum Ziel der Preisstabilität deutlich gesunken ist – oder wenn sich das fundamentale Umfeld derart massiv verschlechtern würde, dass ein stützendes Eingreifen der Notenbanken erforderlich wäre. In diesem Szenario würde der Inflationsdruck sowieso signifikant nachlassen.

Vor diesem Hintergrund sind baldige Zinssenkungen bei beiden Notenbanken nahezu ausgeschlossen. Mit einer ersten Zinssenkung der Fed ist frühestens Ende 2023 zu rechnen. Bei der EZB dürften erste Zinssenkungen erst im späteren Verlauf des Jahres 2024 erfolgen.

Welche Assetklassen können vom Rückgang der Inflation profitieren?

Das Jahr 2022 war gekennzeichnet von einer Kombination aus steigender Inflation und sinkenden Wachstumsraten. Diese Phase erwies sich als belastend sowohl für die Aktien- als auch für die Rentenmärkte. Hierdurch bestand die klassische negative Korrelation zwischen diesen beiden Marktsegmenten nicht mehr. Der Diversifikationseffekt, der normalerweise bei über mehrere Assetklassen gestreuten Mischfonds wirkt, war zeitweise ausgehebelt. Mittlerweile befinden wir uns in einer Phase mit weiterhin rückläufigem Wachstum, aber zumindest nachlassender Teuerung. Für das zweite Halbjahr 2023 und insbesondere für 2024 ist von schrittweise sinkenden Inflationsraten auszugehen. Auf Wachstumsseite steht für dieses Jahr eine weitgehende Stagnation zu erwarten, allerdings mit dem Ausblick, dass das Wachstum in Richtung 2024 wieder schrittweise auf normale Raten ansteigt. Ein deutlicher Wachstumseinbruch bzw. eine spürbare Rezession erscheinen vor dem Hintergrund der aktuellen Datenlage unwahrscheinlich.  

In einem Umfeld nachlassender Teuerung in Kombination mit schwachem Wachstum bieten sich insbesondere Anlagen in Staatsanleihen an. Unternehmensanleihen können ebenfalls profitieren, während wir von Rohstoffanlagen kurzfristig eher abraten. Sinkende Inflationsraten führen perspektivisch zu einem rückläufigen Zinsniveau und niedrigeren Anleiherenditen. Fallende Renditen sorgen für Kursgewinne an den Rentenmärkten. Unternehmensanleihen profitieren in Phasen leichten Wachstums zusätzlich von möglichen Spreadeinengungen.

Die Aktienbewertungen werden ebenfalls von dieser Entwicklung gestützt, da die Finanzierungskosten für die Unternehmen zurückgehen und künftige Gewinne und Dividendenzahlungen mit einem niedrigeren Abzinsungs-Faktor diskontiert werden, wodurch deren Barwert steigt. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Das Wirtschaftswachstum spielt für Aktien ebenfalls eine wichtige Rolle, da dieses bei den Unternehmen in der Regel zu steigenden Umsätzen und Gewinnen führt. Die Erwartung an ein leicht positives Wachstum stützt zwar die Aktienentwicklung. Jedoch ist die Gefahr einer deutlichen Abschwächung gegeben, was die Aktienmarktentwicklung entsprechend belasten könnte. Die Rentenmärkte bieten somit zurzeit ein interessanteres Chancen-Risiko-Profil.

Die Anleiherenditen haben nach den zahlreichen Zinsschritten der Notenbanken wieder ein attraktives Niveau erreicht, der Zins ist zurück. Entsprechend können Anleger, die Anleihen auf den aktuellen Renditeniveaus erwerben, im Falle wieder sinkender Zinsen neben dem auskömmlichen Kupon mittelfristig zusätzlich Kursgewinne erzielen. Sollte sich das Zinsniveau hingegen auf dem jetzigen Niveau stabilisieren, verdienen die Anleihen auf jeden Fall die Rendite, die zum Kaufzeitpunkt geboten wurde. Einen nennenswerten Anstieg des allgemeinen Zinsniveaus über das derzeit an den Kapitalmärkten eingepreiste Niveau hinaus, ist indes nicht zu erwarten.

Autor Dr. Stefan Kipar ist Gruppenleiter Macro & Economics bei Union Investment.

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