Dr. Alexander Kohler, Aktuar und Manager bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte in Zürich, erklärt die Besonderheiten der betrieblichen Vorsorge in der Schweiz und welche Konsequenzen variable Rentenmodelle haben.
Cash.: Im internationalen Vergleich besitzt die Schweiz eine sehr stark ausgebaute „zweite Säule“. Wie würden Sie die Vorzüge des Systems der „betrieblichen Vorsorge“, wie es in der Schweiz heißt, beschreiben?
Kohler: Ich sehe zwei wesentliche Vorzüge in der betrieblichen Vorsorge in der Schweiz. Zum einen ist jeder Arbeitgeber gesetzlich dazu verpflichtet, seine Arbeitnehmer, sofern ihr Lohn ein bestimmtes Minimum übersteigt, im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge zu versichern. So profitiert eine breite Bevölkerungsgruppe vom System der betrieblichen Vorsorge. Zum anderen erfolgt die Finanzierung der Altersrenten im Kapitaldeckungsverfahren und nicht im Umlageverfahren.
Dies bedeutet, die zukünftigen Altersrenten werden durch Lohnbeiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert und das Kapital wird investiert, womit der erzielte Anlageertrag einen wesentlichen Teil zur Finanzierung der Altersrente beisteuert. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Kapitalmarkt als dritten Beitragszahler. Aufgrund des Kapitaldeckungsverfahrens weist die betriebliche Vorsorge in der Schweiz einen vergleichsweisen hohen Finanzierungsgrad auf.
Welche Ansätze ließen sich gegebenenfalls auf Deutschland übertragen, um hierzulande eine stärkere Verbreitung der bAV zu erreichen?
In Deutschland ist die betriebliche Altersvorsorge trotz steuerlicher Anreize weniger stark ausgebaut als in der Schweiz. Eine stärkere Verbreitung ließe sich beispielsweise durch eine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers erreichen. Hier sind mehrere Ansätze denkbar. Einerseits könnte der Arbeitgeber zu Beiträgen in ein Vorsorgegefäß nach Wahl des Arbeitnehmers verpflichtet werden.
Andererseits bestünde auch die Möglichkeit, den Arbeitgeber zu verpflichten, sich einem Pensionsfonds anzuschließen. Die zweite Möglichkeit würde dabei stärker dem Schweizer System entsprechen.
Beobachten Sie in der Schweiz eine Tendenz zur Reduktion oder Verlagerung von Risiken in der betrieblichen Altersvorsorge?
Ja, wir beobachten in der Schweiz teilweise eine Reduktion von Risiken in der betrieblichen Altersvorsorge. In diesem Zusammenhang wird häufig das Schlagwort „de-risking“ verwendet. Es lässt sich beispielsweise beobachten, dass Pensionsfonds ihre versicherungstechnischen Risiken zunehmend rückversichern oder dass sie ihre Anlagerisiken nach der letzten Finanzkrise reduziert haben, weil sie die Risiken nicht mehr tragen konnten oder wollten.
Was wir in den letzten Jahren ebenfalls beobachten konnten, ist der Wechsel von „Leistungsprimatsplänen“ zu „Beitragsprimatsplänen“, was nichts anderes darstellt als eine Verlagerung von Risiken von den Pensionsfonds zu den Arbeitnehmern.
In der deutschen Lebensversicherung und damit auch der bAV geht der Trend zu Produkten mit weniger Garantien. Wie verhält es sich in der Schweiz?
Innerhalb der Führungsgremien vieler Pensionsfonds und auch in der Öffentlichkeit finden Diskussionen rund um variable Rentenmodelle statt. Mithilfe von variablen anstelle von festen Renten soll ein Teil der Risiken von den Pensionsfonds auf die Rentner verlagert werden.
Natürlich stellen sowohl die Verlagerung von Risiken auf den Arbeitnehmer als auch auf den Rentner aus Sicht des Pensionsfonds eine Risikoreduktion dar. Ich möchte jedoch explizit darauf hinweisen, dass die Risiken durch eine Verlagerung nicht verschwinden, sondern bloß von jemand anderem getragen werden.
Interview: Lorenz Klein
Foto: Deloitte