Düstere Szenarien über den Verfall des familiären Pflichtgefühls häufen sich in der Berichterstattung der Medien. Dieses pauschale Urteil über die Solidarität in unserer Gesellschaft greift allerding zu kurz.
Gastbeitrag von Dr. Ralf Kantak, Vorstandsvorsitzender der Süddeutschen Krankenversicherung
So wäre es beispielsweise für zwei von drei Deutschen eine echte Herzensangelegenheit, im Fall der Fälle die Pflege eines nahen Angehörigen zu übernehmen, so das Ergebnis einer aktuellen bevölkerungsrepräsentativen Umfrage im Auftrag der Süddeutschen Krankenversicherung (SDK). Unter den 18- bis 34-Jährigen – also der so oft als „Turbo-Egoisten“ gescholtenen Generation Y – bekennen sich sogar gut 70 Prozent zu dieser Haltung.
Jeder Zweite traut sich den kräftezehrenden Dienst am Menschen nicht zu
Der Wunsch der meisten Bundesbürger, am liebsten zu Hause gepflegt zu werden, erscheint also rein rechnerisch leicht erfüllbar zu sein. Die Realität – Familien mit Pflegefällen werden dies leidvoll bestätigen können – sieht aber anders aus. Auch die SDK-Umfrage legt hier den Finger in die Wunde. So sagen 53 Prozent der Befragten, dass es für sie nicht möglich ist, Pflege und Beruf unter einen Hut zu bekommen.
Jeder Zweite traut sich darüber hinaus den kräftezehrenden Dienst am Mitmenschen schlichtweg nicht zu. Die lobenswerten Absichten vieler Bürger zerschellen eben häufig an der wirtschaftlichen und physischen Wirklichkeit. Ergebnis: Enttäuschte Erwartungen – und zwar auf allen Seiten.
Diskussion von der emotionalen auf die sachliche Ebene holen
Um praktikable Lösungen zur Vermeidung dieser Frust-Falle zu entwickeln, sollte die Diskussion von der emotionalen auf die sachliche Ebene geholt werden. Hierzu ist allerdings noch jede Menge Aufklärungsarbeit notwendig. So sind – auch dies ein Ergebnis der SDK-Umfrage – gerade bei den jungen Deutschen die Wissenslücken in Sachen Pflege und Pflege-Vorsorge nach wie vor groß. Knapp drei Viertel der 18- bis 34-Jährigen fühlen sich über die Absicherung im Pflegefall schlecht informiert.
Doch nur wenn ich weiß, wo ich derzeit stehe und auf welche Szenarien ich mich sowohl als Pflegender aber auch als wohlmöglich künftig auf Pflege Angewiesener einstellen muss, kann ich die richtigen Maßnahmen einleiten. Damit die in der Gesellschaft weit verbreitete Herzensangelegenheit Pflege nicht zu einem von Verunsicherung und schlechtem Gewissen gespeisten Magengrimmen wird, muss das Thema also auch zur Kopfsache werden.
Zügig eine zusätzliche private Absicherung aufbauen
Die Zeit drängt. Schon in wenigen Jahren wird die Zahl der Pflegebedürftigen hierzulande die Marke von drei Millionen überspringen. Dass nicht zuletzt vor diesem Hintergrund die staatlichen Leistungen nicht ausreichen werden, ist laut SDK-Studie drei von vier Bundesbürgern schon heute klar.
Daher muss es also darum gehen, zügig eine zusätzliche private Absicherung aufzubauen. Und diese dient eben nicht dazu, familiäre Verantwortung zu ersetzen, sondern das Bedürfnis von Pflegebedürftigen und Pflegenden nach einem solidarischen Miteinander auch künftig zu ermöglichen.
Dr. Ralf Kantak ist seit 1. Juli 2013 Vorstandsvorsitzender der Süddeutschen Krankenversicherung. Zuvor war er unter anderem als Vertriebsvorstand für den Lebensversicherer Württembergische tätig.
Foto: SDK