Pflegeversicherung: Neue Anreize dringend gesucht

Drei private Pflegeproduktkonzepte werden auf dem Markt angeboten – Pflegetagegeld-, Pflegekostengeld- und Pflegerentenversicherung (siehe Kasten). Doch nur eines davon wird nennenswert angenommen – 94 Prozent der verkauften Pflegezusatzversicherungen entfallen auf das Pflegetagegeld.

„Die Pflegetagegeldversicherung ist vermutlich verständlicher, flexibler und der Beitrag zu Beginn der Versicherung moderat. Sie passt sich daher besser an den jeweiligen Lebensabschnitt des Versicherten an“, erläutert Jaqueline Stamos, selbstständige Handelsvertreterin für die Valuniq AG.
Das Pflegekostengeld sieht Stamos deutlich unflexibler, denn die Auszahlung ist an Leistungen gekoppelt und steht nicht zur freien Verfügung.

Jaqueline Stamos, Valuniq AG: „An einem Pflegebaustein, der es Angehörigen ermöglicht, die Pflege außerhalb der Familie zu organisieren, ohne die Arbeitszeiten zu reduzieren, hätte ein Arbeitgeber Interesse.“ Foto: Valuniq AG

Auch die Pflegerentenversicherung hat Nachteile: „Sie eignet sich vor allem für die Personen, die Wert auf Kapitalbildung legen. Aufgrund der geringeren Priorität der Absicherung für den Pflegefall wäre es durchaus denkbar, dass die meisten Kunden nur eine Risikoabsicherung wünschen und den Vermögensaufbau über andere Produkte bevorzugen“, so Valuniq-Kollege Müller. Von den drei Produktkonzepten wird nur eines staatlich gefördert – das Pflegetagegeld in der 2013 eingeführten und nach dem damaligen Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) benannten Form des „Pflege-Bahr“. Fünf Euro monatlichen Zuschuss erhalten Kunden, wenn sie mindestens zehn Euro Eigenanteil in die Versicherung einzahlen.

Hier gibt es wenig formale Voraussetzungen und keine Gesundheitsprüfung, allerdings eine Karenzzeit von fünf Jahren. „Binnen sieben Jahren gab es bei den Pflegezusatzversicherungen einen Anstieg um 72 Prozent auf über vier Millionen Versicherte“, berichtet PKV-Referentin Finkenstädt vom anfänglichen Erfolg des Pflege-Bahr. Doch mit den Pflegereformen in den Folgejahren sei die Politik leider vom richtigen Weg abgekommen.

Die Politik ist vom richtigen Weg abgekommen

„Anstatt die private Vorsorge zu stärken und mit der kapitalgedeckten Vorsorge jüngere Generationen zu entlasten, hat die Politik die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung sukzessive ausgebaut – und dadurch in der Bevölkerung für eine trügerische Sicherheit gesorgt. Die andauernden Debatten um eine Pflege-Vollversicherung haben die gute Entwicklung zusätzlich gebremst“, so die für den PKV-Verband sprechende Expertin.

„Pflege-Bahr hat zwar einige gute Ansätze, wie den Verzicht auf eine Gesundheitsprüfung, die staatliche Förderung und die flexible Nutzung des Geldes. Es scheitert jedoch an der geringen Förderungshöhe von fünf Euro pro Monat, der Begrenzung des Tagegeldes auf maximal 1.800 Euro pro Monat und der Inflexibilität bei veränderten Lebensumständen“, konstatiert Valuniq-Vermittler Müller. Seiner Ansicht nach eigne sich Pflege-Bahr maximal als Ergänzung zur gesetzlichen und zusätzlichen privaten Absicherung. Und: „Die Umsetzung war und ist zu kompliziert. Die ausschließliche steuerliche Förderung des Produkts Pflege-Bahr hat die Beratung sehr komplex gemacht – für Vermittler, wie auch die Endkunden“, sekundiert NVS Netfonds-Vorstand Horn. Dies betreffe insbesondere die Nachvollziehbarkeit, trotz erfolgter Dokumentation.

Klar ist: Vermittelnde sollten Kundinnen und Kunden generell stärker für das Thema Pflege sensibilisieren. „Im Gespräch mit jungen Familien kann neben der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) auch die Pflege-Zusatzversicherung als wichtige Absicherungen angesprochenen werden“, nennt Ergo-Vorständin Fiegl ein typisches Beispiel. „Familien sind hinsichtlich Einkommen und Kinderbetreuung, oft auf beide Elternteile angewiesen, aber die Kosten für Pflege werden durch die BU-Versicherung nicht abgedeckt. Der Vertriebspartner kann seine Kunden unterstützen, eine passende Absicherung für ihre individuellen Bedürfnisse zu finden“, so Fiegl weiter.

Letztlich fehlt es aber an überzeugenden Anreizen, bereits frühzeitig eine Zusatzpolice abzuschließen. „Staatliche Zuschussmodelle und/oder steuerliche Förderungen wären hilfreich, unabhängig von Pflege-Bahr, für alle abschließbaren Absicherungsarten“, so Horn. NVS Netfonds unterstützt zudem, dass Pflegezusatzprodukte mehr Einzug in die Produkte der betrieblichen Versorgungssysteme erhalten. „Das Zusammenwirken mit einer steuerlichen Besserstellung der betrieblichen Krankenversicherung könnte diese notwendige Vorsorge deutlich stärken“, so der NVS-Vorstand.

Das sehen viele in der Branche ganz ähnlich, zumal die betriebliche Krankenversicherung (bKV) derzeit stark nachgefragt wird. Bei der SDK etwa werden bereits Konzepte wie das Versorgungskonzept Gesundheit (VGWI) eingesetzt, welches neben einem Krankentagegeld auch Pflege-Assistance-Bausteine beinhaltet und damit einen guten Gesprächsaufhänger für das Thema Pflege bietet.

„Diese Module bieten eine gezielte Unterstützung für Mitarbeitende, die pflegebedürftige Angehörige haben. Durch solche Angebote wird nicht nur das Bewusstsein für das Thema geschärft, sondern auch eine Entlastung im Alltag geschaffen“, erläutert SDK-Vorstandssprecher Mitzlaff.

Ulrich Mitzalff: „Bis die Baby-Boomer Pflegefall werden, sind noch 15 bis 20 Jahre Zeit.“ Foto: SDK

Von der bKV ist es schließlich nicht weit zur betrieblichen Pflegeversicherung (bPV). „Mit einer bPV können weitaus mehr Menschen gegen das Pflegerisiko abgesichert werden, als dies mit individuellen Zusatzversicherungen allein möglich ist“, betont PKV-Verband-Referentin Finkstädt und weist auf die Vereinbarung zwischen dem Bundes-Arbeitgeberverband Chemie (BAVC) und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) hin.

Die Tarifpartner haben 2021 die arbeitgeberfinanzierte tarifliche Pflegezusatz-Versicherung ‚CareFlex Chemie‘ gestartet. „Bereits in den ersten vier Monaten wurden 430.000 Beschäftigte gegen das Pflegerisiko abgesichert“, so Finkstädt. Ein Branchentarifvertrag ist dabei keine Voraussetzung, um eine bPV anzubieten. So sichert etwa die Firma Henkel seit Anfang 2019 für ihre Beschäftigten und Auszubildenden ein betriebliches Pflegemonatsgeld ab und übernimmt die Beiträge zur Pflegevorsorge.

Auch für Arbeitgeber eine wichtige Rolle spielen müsste die Entlastung pflegender Angehöriger – überwiegend Frauen. „Viele pflegende Angehörige arbeiten in Teilzeit, um die Versorgung der Angehörigen zu gewährleisten. Wäre ein Pflegebaustein enthalten, der es den Angehörigen ermöglicht, die Pflege außerhalb der Familie zu organisieren ohne die Arbeitszeit zu reduzieren, hätte auch der Arbeitgeber ein Interesse daran“, betont Valuniq-Vermittlerin Stamos und schlägt vor, dass Arbeitgeber betriebliche Pflegedienstleistungen anbieten könnten, um auch hier die Beschäftigten zu entlasten und die Arbeitskraft voll auszuschöpfen.

Private Pflegezusatzversicherungen
Pflegetagegeldversicherung
Je nach Pflegegrad erhält der Versicherungsnehmer gegen Nachweis der Pflegebedürftigkeit einen vereinbarten Tagessatz. Das Geld wird unabhängig von den tatsächlichen Belastungen infolge der Pflege ausgezahlt. Außerhalb der Dynamik gibt es keine automatische Anpassung an die tatsächliche Kostenentwicklung.
Pflege-BahrStaatlich geförderte Pflegetagegeldversicherung. Gewährt monatlichen Zuschuss von fünf Euro, wenn der Eigenanteil mindestens zehn Euro pro Monat beträgt. Keine Gesundheitsprüfung. Wartezeit von fünf Jahren, bietet weniger Leistungen in allen Pflegegraden gegenüber ungeförderten Policen.
PflegekostengeldÜbernimmt bis zu einem festgelegten Prozentsatz die Pflegekosten, die die gesetzliche Pflegeversicherung nicht bezahlt. Die Betroffenen müssen die Kosten nachweisen. Das ist meist mit sehr hohem Aufwand verbunden. Hier findet eine automatische Anpassung an die Kostenentwicklung statt.
PflegerentenversicherungKombination aus Sparvertrag und Absicherung bei PflegebedVürftigkeit. Bei Pflegebedürftigkeit zahlt sie je nach Pflegegrad eine monatliche Rente aus. Meist deutlich teurer als die Pflegetagegeldversicherung bei gleichen Leistungen. Eine automatische Anpassung der Pflegerente an die tatsächliche Kostenentwicklung findet nicht statt.
Quelle: Eigene Recherchen

Fazit: Beitragssteigerungen allein sind keine langfristige Lösung für das Finanzierungsproblem der staatlichen sozialen Pflegeversicherung und die mangelnde private Absicherung der Pflegerisikos. Reformideen gibt es viele. Spätestens für die nächste Bundesregierung wird das Thema Pflege und die branchenweit gewünschte eigenständige steuerliche Förderung ganz oben auf der Agenda stehen.

Autor Oliver Lepold ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und frei Finanzwirtschafts-Journlist.

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