Plausibilitätsprüfung: Umfang und Enthaftungsmöglichkeiten

Im Jahr 2010 hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass die Kickback-Rechtsprechung nicht für bankenunabhängige Anlageberater gilt. Seither ist die Zunft der Anlegeranwälte auf der Suche nach einer neuen Allzweckwaffe für Haftungsklagen.

Gastbeitrag von Jan C. Knappe, Dr. Roller & Partner Rechtsanwälte

Haftungsdach: Jan Knappe
Jan Knappe: „Es gibt keine eigenständige Haftung für die Verletzung von Plausibilitätsprüfungspflichten.“

Manch ein Anlegerschützer meinte diese aus der Rechtsprechung zu den Plausibilitätsprüfungspflichten der Anlagevermittler und Anlageberater herleiten zu können. Der Bundesgerichtshof hat kürzlich entschieden, dass dies nicht so einfach ist. Außerdem hat er den Anlagevermittlern und Anlageberatern eine Möglichkeit der Haftungsprävention aufgezeigt.

Anlegerschutzkanzleien: Aggressive Akquisitionsmethoden

Das Schema ist bekannt: Solange die empfohlene Kapitalanlage gut läuft, ist der Kunde mit seinem Anlageberater zufrieden. Sobald hingegen Ertragserwartungen enttäuscht werden oder sogar Verluste drohen, wendet sich das Blatt. In den vergangenen Jahren ist dies besonders häufig im Zusammenhang mit geschlossenen Fonds passiert. Anlegerfreundliche Berichterstattung in den Medien und aggressive Akquisitionsmethoden so genannter Anlegerschutzkanzleien haben ganze Wellen von Haftungsklagen über deutsche Gerichte schwappen lassen.

Regelmäßig werden auch die Anlagevermittler beziehungsweise Anlageberater auf Zahlung von Schadenersatz verklagt. Dieser Personenkreis ist zwar in den seltensten Fällen für die negative Entwicklung der Fonds verantwortlich, stellt aber im Vergleich zu den Fondsinitiatoren häufig den attraktiveren Anspruchsgegner dar. Die anlegerseitige Hoffnung auf eintrittspflichtige Vermögensschadenhaftpflichtversicherungen der Berater tut ihr übriges.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haften Anlagevermittler für die richtige und vollständige Information über die jeweilige Kapitalanlage. Hierzu gehört insbesondere die Aufklärung über alle wesentlichen Risiken der Kapitalanlage.

Weitergehende Haftung des Anlageberaters

Die Haftung des Anlageberaters geht im Vergleich hierzu weiter. Neben die produktbezogenen Informations- und Aufklärungspflichten tritt die Pflicht zur so genannten anlegergerechten Beratung (also die Erstellung eines Anlegerprofils und die hierauf basierende Empfehlung eines für den Kunden geeigneten Anlageprodukts) sowie zur fachmännischen Bewertung der empfohlenen Kapitalanlage im Lichte des Kundenprofils.

Bei der Lektüre vieler Klageschriften kann man den Eindruck gewinnen, dass neben diesen „althergebrachten“ Pflichten eine dritte Pflicht der Vermittler und Berater besteht, nämlich die Plausibilitätsprüfungspflicht. Viele Anlegeranwälte argumentieren sinngemäß, das Anlagekonzept fehlgeschlagener Kapitalanlagen sei von vornherein nicht wirtschaftlich tragfähig gewesen; der Vermittler beziehungsweise Berater hafte daher wegen einer Verletzung seiner Plausibilitätsprüfungspflicht.

Verletzung der Prüfungspflicht allein begründet keine Haftung

Mit Urteil vom 15.November 2012 (Aktenzeichen: III ZR 55/12) hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass diese Argumentation nicht tragfähig ist. Eine Verletzung der Plausibilitätsprüfungspflicht muss zunächst einmal von Klägerseite substantiiert dargetan und im Bestreitensfall auch bewiesen werden. Und selbst wenn es dem Kläger gelingen sollte, eine konkrete Verletzung der Plausibilitätsprüfungspflicht darzulegen und zu beweisen, führt dies nicht unmittelbar zu einer Haftung des Beraters auf Schadenersatz.

Vielmehr „kann eine unterlassene Prüfung nur dann zu einer Haftung führen, wenn bei dieser ein Risiko erkennbar geworden wäre, über das der Anleger hätte aufgeklärt werden müssen, oder aber wenn erkennbar geworden wäre, dass eine Empfehlung der Anlage nicht anleger- und/oder objektgerecht ist.“

Fazit: Es gibt keine eigenständige Haftung für die Verletzung von Plausibilitätsprüfungspflichten. Es besteht lediglich die Möglichkeit, dass im Rahmen der Plausibilitätsprüfung Umstände erkennbar werden, die Auswirkungen auf die Risikoaufklärung oder auf die anleger- und objektgerechte Beratung haben.

Dies ändert aber nichts daran, dass eine mangelhafte Plausibilitätsprüfung Haftungsgefahren begründen kann. Aus diesem Grund stellen sich zwei Fragen: 1. Was muss ein Anlagevermittler beziehungsweise Anlageberater konkret tun, um seiner Pflicht zur Plausibilitätsprüfung zu genügen? 2. Besteht die Möglichkeit, die Plausibilitätsprüfungspflicht wirksam einzuschränken oder auszuschließen?

Umfang der Prüfungspflicht: einzelfallabhängig

Zur ersten Frage: Es ist leider unmöglich, Gegenstand, Reichweite und Tiefe der Plausibilitätsprüfung allgemeingültig zu bestimmen. Der Bundesgerichtshof bezieht regelmäßig die konkreten Umstände des Einzelfalls mit ein. Anstelle einer griffigen Checkliste für die Plausibilitätsprüfung können lediglich einige Kernaussagen der Rechtsprechung geboten werden:

Gegenstand der Plausibilitätsprüfung ist grundsätzlich der Emissionsprospekt. Es ist aber sicherlich empfehlenswert, die Prüfung auf sämtliche Informationsmaterialien von Emittentenseite zu erweitern, also auch Werbeflyer, Produktinformationsblätter und Ähnliches einzubeziehen. Die Prospektangaben sind „mit üblichem kritischem Sachverstand“ auf Schlüssigkeit und innere Widerspruchsfreiheit zu prüfen.

Sollten die Prospektangaben nicht plausibel sein, besteht Anlass für kritische Nachfragen beim Emittenten oder sonstige vertiefte Nachforschungen. Beispiele aus der Rechtsprechung sind illusorische Prognoserechnungen oder auch Kostenpositionen, für die es keinen nachvollziehbaren Grund gibt, oder die sich offensichtlich außerhalb des vertretbaren Rahmens bewegen.

Wie intensiv die Plausibilitätsprüfung ausfallen muss, hängt vom Auftritt des Vermittlers bzw. Beraters und von Zumutbarkeitserwägungen ab. Wer beispielsweise explizit als Vermittler für „Beteiligungen an Windparks“ auftritt, erweckt den Eindruck einer diesbezüglichen Spezialisierung und kann nach Ansicht des Bundesgerichtshof daher verpflichtet sein, für die Überprüfung der prospektierten Energieertragsberechnungen beim Emittenten die zu Grunde liegenden Windgutachten anzufordern und auszuwerten (Urteil vom 05. März 2009, Aktenzeichen: III ZR 17/08).

Grundsätzlich gilt: Die Prüfungspflichten des als Spezialist auftretenden Vermittlers oder Beraters gehen weiter als die Prüfungspflichten des Generalisten. Gleichzeitig gehen die Prüfungspflichten des Anlageberaters grundsätzlich weiter als die des Anlagevermittlers (BGH, Urteil vom 27. Oktober 2009, Aktenzeichen: XI ZR 337/08).

Zusammenfassend ist zu sagen, dass Umfang und Reichweite der Plausibilitätsprüfungspflichten mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit behaftet sind. Es besteht das Risiko, dass der Bundesgerichtshof im konkreten Schadensfall strenge Maßstäbe anlegt, die die viele Jahre vorher durchgeführte Plausibilitätsprüfung des Vermittlers beziehungsweise Beraters nachträglich als mangelhaft erscheinen lassen.

Haftungsausschluss durch Hinweis auf unterlassene Prüfung

Deswegen stellt sich die Frage, ob sich die Prüfungspflichten nicht von vornherein beschränken oder sogar ganz ausschließen lassen. Die Antwort ist einfach und ergibt sich aus dem eingangs genannten BGH-Urteil: „Ein Anlageberater ist verpflichtet, eine Anlage, die er empfehlen will, mit üblichem kritischem Sachverstand zu prüfen, oder den Anleger auf ein diesbezügliches Unterlassen hinzuweisen.“

Jeder Vermittler beziehungsweise Berater hat es also selbst in der Hand: Er kann den Kunden bei Übergabe des Verkaufsprospekts beispielsweise darüber informieren, dass er das Anlageprodukt und die Informationsmaterialien des Emittenten überhaupt keiner eigenständigen Prüfung unterzogen hat. In diesem Fall hat er, um mit dem Bundesgerichtshof zu sprechen, „auf sein diesbezügliches Unterlassen“ haftungsbefreiend hingewiesen.

Alternativ kann er den Kunden positiv darauf hinweisen, was und wie er genau geprüft hat. Denkbar ist beispielsweise ein Hinweis darauf, dass man die im Prospekt enthaltene Prognoserechnung zwar auf mathematische Schlüssigkeit überprüft hat, die zu Grunde gelegten Prognosezahlen hingegen vom Emittenten stammen und keiner eigenständigen Prüfung unterzogen worden sind. Auf diesem Wege lässt sich die Haftung auf diejenigen Prüfungshandlungen beschränken, die man tatsächlich vorgenommen hat und für die man dem Kunden gegenüber auch einstehen will.

Wirkungsvoll sind diese Maßnahmen der Haftungsbeschränkung durch Hinweise „auf ein diesbezügliches Unterlassen“ freilich nur dann, wenn sie im Prozess auch nachweisbar sind. Zu diesem Zweck sollten die Hinweise schriftlich erteilt und vom Kunden gegengezeichnet werden.

Rechtsanwalt Jan C. Knappe ist Gründungspartner der Kanzlei Dr. Roller & Partner in München und vertritt regelmäßig Finanzdienstleister und Banken in Haftungsprozessen gegen Kunden.

Foto: Dr. Roller & Partner Rechtsanwälte

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