In Deutschland ist das Bruttopolicenmodell durchgesetzt – Schätzungen sagen, etwa 98 Prozent aller Policen sind Bruttopolicen. Die Nettopolice fristet ein Nischendasein – möglicherweise zu Unrecht, denn sie bietet vor allem den Maklern große Spielräume und möglicherweise auch neue Geschäftsfelder.
Gastbeitrag von Professor Dr. Hans-Peter Schwintowski, Humboldt-Universität zu Berlin
Die Nettopolice, so eine alte Definition des früheren Bundesaufsichtsamtes (heute BaFin), ist eine Versicherung, die keinerlei Abschluss- und Vertriebskosten jeder Art enthält – sie ist ein aktuariell eigenständiges Produkt. Es stimmt also nicht, wenn jemand sagt, Bruttopolice – Abschlusskosten = Nettopolice – so einfach ist es nicht.
„Rechtsanspruch“ auf die Nettopolice?
Die Frage, die sich für den Makler stellt, lautet, ob es einen „Rechtsanspruch“ auf die Nettopolice gibt, ob der Makler also vom Versicherer verlangen kann, dass er nicht nur den Bruttopreis (inklusive Courtage), sondern auch den Nettopreis der Police offenlegt.
Der Makler könnte mit dem Nettopreis am Markt werben und mit dem Kunden eine individuelle Provisions-/ Honorarvereinbarung treffen. Versicherer werden sagen, dass es einen solchen Anspruch auf Offenlegung der Nettotarifierung gegenüber dem Makler nicht gibt. Zweifel daran sind angebracht.
Es gibt nämlich im europäischen Kartellrecht eine auch in Deutschland unmittelbar geltende „Schirmgruppenfreistellungsverordnung“ (Nr. 330/2010). Diese Verordnung enthält das „Verbot der Preisbindung der Zweiten Hand“ (Art. 4 lit. a).
Verbot der Preisbindung der Zweiten Hand
Das bedeutet, der Anbieter einer Ware oder Dienstleistung darf den Preis für den Vertrieb (Provision/ Courtage) nicht binden. Die Versicherer werden einwenden, dass sie das auch gar nicht tun – sie geben ja nur den Bruttopreis für das Produkt Versicherung vor. Aber: In diesem Bruttopreis ist die Provision/Courtage für den Makler enthalten – der Preis für die Dienstleistung des Maklers ist also in den Produktpreis einkalkuliert.
Man kann es auch so sagen: Der Versicherer umgeht mit dieser (geschickten) Strategie das Verbot der Preisbindung der Zweiten Hand. Er gibt den Gesamtpreis für die Versicherung vor und tut dabei so, als habe er den Preis für die Maklercourtage selbst nicht gebunden. Umgehungsstrategien dieser Art sind schon häufig auf den Prüfstand des deutschen und europäischen Kartellrechts gewesen.
Oft waren Meistbegünstigungsklauseln Ausgangspunkt dieser Streitereien – im Kern ging es immer um dasselbe: Könnte die Gesamtpreisbildung eine geschickte Umgehung des Verbots der Preisbindung der zweiten Hand sein?
Die Kartellbehörden und Gerichte haben solche Umgehungen oft bejaht, insbesondere dann, wenn der Vertriebspartner völlig frei und auf eigene Rechnung gearbeitet hat. Deswegen spricht bei einem Versicherungsmakler viel dafür, dass das Bruttopolicenmodell in Wahrheit eine Umgehung des Verbots der Preisbindung der Zweiten Hand ist.
Seite zwei: Makler verlängerter Vertriebsarm des Versicherers?