PRIIPs und ESG-Abfrage: Dynamische regulatorische Lage

Ursula von der Leyen im roten Sakko am Rednerpult
Foto: Shutterstock
Ursula von der Leyen (CDU), EU-Kommissionspräsidentin, bekommt selbst von der BaFin gelegentlich Kontra.

Die EU-Regulierung der Finanzbranche droht aus dem Ruder zu laufen. Neben neuen Produkt-Informationsblättern steht die Abfrage von Nachhaltigkeits-Präferenzen der Kunden im Fokus. Das Durcheinander ist gewaltig. Doch die Betroffenen müssen sich dem stellen.

„Die europäische Regulierungswelle droht einen fast zu überrollen. Sie ist inzwischen so schnell, dass man faktisch meist hinterherhetzt: Während man noch damit beschäftigt ist, ein neues Gesetz in die Praxis umzusetzen, kommt schon die nächste Regulierung.“

Dieses Zitat ist schon sieben Jahre alt. Es stammt nicht etwa von einem Banker, einem Fondsanbieter oder einem anderen Finanzmarkt-Akteur. Vielmehr beklagte sich 2015 kein geringerer als der damalige Chef der deutschen Wertpapieraufsicht, Karl-Burkhard Caspari, anlässlich seiner Verabschiedung in den Ruhestand per Interview im „Bafin-Journal“ über zu viel Regulierung.

Zwar müsse die Aufsicht auf Herausforderungen reagieren. „Aber es ist ebenso wichtig, dass ausreichend Zeit bleibt, die Regeln auch mal einige Jahre lang anzuwenden“, betonte der scheidende Exekutivdirektor und Vizepräsident der BaFin. Zudem bleibe wichtig, „dass dieses fein gewobene Regulierungsnetz einhaltbar und überwachbar bleibt“.

Unendliche Geschichte des PRIIPs-KID

Doch der Appell verhallte. Im Gegenteil: Seitdem haben Dynamik und Durcheinander der Regulierung noch zugenommen – einschließlich öffentlicher Kritik der BaFin an EU-Institutionen. Dazu zählt die unendliche Geschichte der Informationsblätter (KID) für „verpackte“ Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (Packaged Retail and Insurance-based Investment Products – PRIIPs), die erst vor wenigen Wochen ein vorläufiges Ende fand.

Schon 2018 lehnte die BaFin eine Konsultation der drei europäischen Aufsichtsbehörden (ESAs) zur punktuellen Überarbeitung der Technischen Regulierungsstandards (RTS) zum PRIIPs-KID rundweg ab. Wieder in ihrem „BaFin-Journal“ schrieb die deutsche Behörde, sie setze sich vielmehr dafür ein, „dass statt einer punktuellen eine umfassende Revision der PRIIPs-Verordnung und der oben genannten Technischen Regulierungsstandards erfolgt – und zwar zügig“. Rumms.

Besonders viel genützt hat auch diese ruppige BaFin-Intervention indes nicht. Zwar wurde das Inkrafttreten der PRIIPs-RTS nochmals um mehrere Jahre verschoben und – ohne eine umfassende Revision – daran herumgedoktert. Anfang 2023 sollen die haarkleinen Vorschriften für das dreiseitige Informationsblatt nun aber endlich in Kraft treten – neun Jahre nach der eigentlichen PRIIPs-Verordnung im Jahr 2014. Und nach einer letzten, verstolperten Verschiebung.

Peinlicher Patzer der EU-Kommission

Kurz vor knapp hatte die EU-Kommission unter der deutschen Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) am 24. Juni eine Erklärung veröffentlicht, dass der Anwendungszeitpunkt der PRIIPs-RTS nochmals vom 1. Juli 2022 auf Januar 2023 verschoben wird. Das allerdings kam zwei Wochen zu spät. Denn solche Rechtsakte treten erst 20 Tage nach ihrer Verkündung in Kraft, also erst am 14. Juli, worauf wiederum die BaFin hinwies. Die RTS müssten deshalb genau genommen in den ersten beiden Juli-Wochen angewendet werden, dann wieder der alte Zustand gelten und sie zum Jahreswechsel wieder in Kraft treten. Die BaFin werde sie jedoch erst ab Januar 2023 „in ihrer Aufsichtspraxis berücksichtigen“, kündigte sie vernünftigerweise und nicht ohne süffisanten Unterton an.

Der peinliche Patzer der EU-Kommission hat also keine Folgen, belegt aber, wie sehr die Dinge bereits entglitten sind. Dass die zur PRIIPs-Anpassung notwendige Änderung des deutschen KAGB bereits Anfang Juni – also noch vor der EU-Erklärung – zum Januar 2023 beschlossen und dann wohl aus Zeitnot im „Vierten Corona-Steuerhilfegesetz“ versteckt wurde, ist da nur eine Randnotiz.

Nun lässt sich bei den PRIIPs trefflich darüber streiten, ob eine europaweite Vereinheitlichung der Informationsblätter für vollkommen unterschiedliche Arten von Finanzprodukten wie Wertpapier-Investmentfonds, fondsgebundene Lebensversicherungen oder eben Sachwertfonds wirklich notwendig und überhaupt sinnvoll möglich ist.

Riesiger Bürokratie-Berg auch bei ESG-Abfrage

Anders verhält es sich bei dem anderen aktuellen Top-Thema: Privates Kapital für nachhaltige Investitionen. Dieses Vorhaben der EU, das auch zu von der Leyens „European Green Deal“ gehört, genießt grundsätzlich breite Akzeptanz – auch bei Anbietern und Vertrieben von Finanzprodukten. Es geht dabei aber nicht nur um die Umwelt (Environment), sondern auch um soziale Aspekte (Social) und Unternehmensführung (Governance), zusammen kurz ESG.

Thomas Peters, Alpha Ordinatum: Es geht „in Richtung eines eigenen Scoring-Systems“. / Foto: Tanja Hammel

Die Vorschriften bestehen aus drei wesentlichen Teilen. Die EU-Offenlegungsverordnung legt fest, welche Angaben zur Nachhaltigkeit der Unternehmen und Produkte wo zu machen sind. Die EU-Taxonomieverordnung definiert die Maßstäbe für Nachhaltigkeit in den verschiedenen ESG-Themenfeldern sowie für die einzelnen Wirtschaftszweige, darunter zentral die Immobilienwirtschaft. Drittes Element ist die Neufassung einer Unterverordnung („delegierte Verordnung“) zur Finanzmarktrichtlinie MiFID II. Demnach müssen seit 2. August 2022 in der Finanzberatung grundsätzlich die ESG-Präferenzen des Kunden abgefragt und berücksichtigt werden.

Soweit die Theorie. Doch auch in diesem Fall ist ein riesiger Bürokratieberg entstanden und die Regulierung ziemlich aus dem Ruder gelaufen. So ist ein Teil der Offenlegungsverordnung bereits zum 10. März 2021 in Kraft getreten, obwohl die Detailvorschriften noch nicht fertig waren. Auch dabei ging es in erster Linie um verschiedene RTS, also technische Regulierungsstandards, mit denen die meist allgemeinen Anforderungen von EU-Verordnungen konkretisiert werden.

BaFin kapituliert Anfang Mai 2022

Auch in diesem Fall hatte die BaFin versucht, via „BaFin-Journal“ öffentlich zu intervenieren. In der Januar-Ausgabe 2021 wies sie darauf hin, dass kurz vor dem Start der Offenlegungsverordnung im März noch immer „wichtige Punkte unklar“ waren. Gar von „Verwirrung“ war dort zu lesen. Statt wie sonst Klarstellungen und Erläuterungen enthielt der BaFin-Artikel hauptsächlich Fragezeichen – ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Doch die Offenlegungsverordnung trat in Kraft und die RTS wurden und wurden nicht fertig.

Anfang Mai 2022 kapitulierte die BaFin gar. Auf der Jahrespressekonferenz seiner Behörde teilte BaFin-Präsident Mark Branson mit, eine angekündigte BaFin-Richtlinie zu nachhaltigen Investmentfonds werde vorerst zurückgestellt. Dass stattdessen erstmal der von vielen Seiten kritisierte Entwurf der Richtlinie angewendet werden soll, ist eine weitere Facette des regulatorischen Durcheinanders.

Zur Begründung führte Branson die „dynamische regulatorische, energie- und geopolitische Lage“ an, die für eine dauerhafte Regulierung nicht ausreichend stabil sei. Nicht wenige werden darüber hinweggehört beziehungsweise -gelesen haben. Denn die „energie- und geopolitische Lage“ ist schließlich seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar ohne Frage höchst fragil. Aber was hat sie damit zu tun, unter welchen formalen Voraussetzungen ein Investmentfonds als nachhaltig eingestuft werden kann? Wenn überhaupt etwas, dann nur sehr wenig.

„Dynamische regulatorische Lage“

So bleibt als wesentlicher Grund für den BaFin-Rückzieher nur die „dynamische regulatorische (… ) Lage“. Was er damit meinte, sagte Branson nicht. Es liegt jedoch auf der Hand, dass er die endlosen und schlecht koordinierten Abläufe in Brüssel vor Augen hatte – einschließlich der im Mai immer noch nicht finalen Offenlegungs-RTS.

Erst vor wenigen Wochen sind Ende Juli 2022, also rund eineinhalb Jahre nach dem Inkrafttreten der Offenlegungsverordnung, die RTS endlich im EU-Amtsblatt in Form einer Delegierten Verordnung veröffentlicht worden, am 14. August 2022 in Kraft getreten und ab 1. Januar 2023 anzuwenden.

Es passt ins Bild, dass selbst das nicht unfallfrei gelang. „Die BaFin weist darauf hin, dass einige Anhänge der im Amtsblatt veröffentlichten deutschen Sprachfassung redaktionelle Versehen enthalten“, hieß es in einer Mitteilung der Behörde Mitte August. Im Klartext: Die Übersetzung ist fehlerhaft. Bis zur voraussehbaren offiziellen Korrektur empfiehlt die BaFin, insoweit auf den korrekten Entwurf der EU-Kommission zurückzugreifen.

72 Seiten Vorschriften zur ESG-Abfrage

Die 72 eng bedruckten Seiten der Offenlegungs-RTS (inklusive Anhang) kommen nicht nur mit kolossaler Verspätung in Bezug auf die Offenlegungsverordnung selbst, sie sind auch in Hinblick auf die MiFID-II-Novelle zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden von zentraler Bedeutung.

Diese ist in Deutschland zunächst für Banken und Finanzdienstleistungsinstitute einschließlich Haftungsdächer anzuwenden. Finanzanlagenvermittler mit Zulassung nach Paragraf 34f Gewerbeordnung sind noch nicht umfasst, wie sich (erst) kurz vor dem Stichtag herausstellte. Es wird jedoch allgemein davon ausgegangen, dass dies spätestens zum nächsten Jahreswechsel nachgeholt wird.

Die MiFID-II-Novelle sorgt für einige Kritik, weil ihre Kategorien nicht vollständig mit den anderen Vorschriften korrespondieren und sie hyper-kompliziert ist. Nach der Offenlegungsverordnung gibt es grundsätzlich drei Abstufungen der Nachhaltigkeit von Finanzprodukten. Fonds nach Artikel 9 müssen ein nachhaltiges Ziel als zentrales Kriterium verfolgen, also zum Beispiel Klimaschutz. Für Artikel-8-Fonds reicht es aus, wenn sie nachhaltige Ziele berücksichtigen. In beiden Fällen ist zudem Voraussetzung, dass sie keines der anderen Umweltziele wesentlich verletzten („not significantly harm“).

Dunkelgrüne und hellgrüne Fonds

Die Ökorenta aus Aurich hat im Rahmen ihres ersten Artikel-9-Fonds die Begriffe „dunkelgrün“ und „hellgrün“ für die Abstufung geprägt, was aus Kundensicht sicherlich deutlich einprägsamer ist als die Artikelnummern. Alle anderen Fonds beziehungsweise Finanzprodukte fallen unter Artikel 6 der Offenlegungsverordnung. Sie berücksichtigen die Nachhaltigkeitskriterien nicht oder nicht in ausreichendem Umfang, um als nachhaltig zu gelten. Auch das müssen die Anbieter den Anlageinteressenten dann mitteilen.

Noch sind zwar viele Fragen offen. Doch im Kern lässt sich damit schon arbeiten, zumal die entsprechende (Selbst-) Einstufung eines Fonds die Zustimmung der BaFin (im Rahmen der Prospektprüfung) voraussetzt und insofern einigermaßen safe sein dürfte.

Norman Lemke, RWB: „Im Buyout-Segment nur eine Handvoll Zielfonds mit qualifiziertem ESG-Fokus.“ / Foto: RWB/Dominik Osswald

Anders verhält es sich bei der neuen MiFID-II-Verordnung zu den Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden. Auch diese sieht drei Kategorien vor. Die Kunden können festlegen, welcher Teil ihres Investments den betreffenden Anforderungen entsprechen muss. Die erste Kategorie nimmt Bezug auf die Taxonomie, aber nicht auf die Offenlegungsverordnung. Trotzdem landen hier voraussichtlich in erster Linie die dunkelgrünen Fonds, also Artikel-9-Fonds (auch wenn sich die Artikelnummer auf die Offenlegungsverordnung bezieht und eben nicht auf die Taxonomie; das verstehe, wer will).

Die MiFID-Kategorie zwei wiederum bezieht sich auf die Offenlegungsverordnung, und zwar hauptsächlich auf Artikel 8. Es sind jedoch weitere Bedingungen zu erfüllen; hierfür hat sich „Artikel-8-plus“ eingebürgert. Ob sich künftig „hellgrün-plus“ durchsetzt, bleibt abzuwarten.

Größte Herausforderung wohl durch „PAI“

Die größte Herausforderung für die Branche dürfte indes die dritte MiFID-Kategorie darstellen. Dabei geht es um Ausschlusskriterien etwa bezüglich Treibhausgasemissionen oder Menschenrechtsverletzungen, die der Kunde festlegen kann. Diese „Principal adverse impact indicators“ (PAI) wiederum werden in eben jener Level-2-Verordnung mit den RTS zur Offenlegungsverordnung präzisiert, die gerade erst veröffentlicht wurde und eigentlich erst ab Anfang 2023 anzuwenden ist.

Trotzdem sind Wertpapierdienstleister (und deren Prüfer) schon „angehalten“, sich bei offenen (Auslegungs-)Fragen daran zu orientieren, wie die BaFin im August erklärte. Die Behörde „erwartet“ zudem, weist die Institute also an, dass sie sich künftig an den Leitlinien (Guidelines) der EU-Wertpapieraufsicht ESMA orientieren, „die bisher allerdings nur im Entwurf vorliegen“, wie sie einschränkte. Diese Guidelines umfassen nochmal schlappe 54 Seiten – bislang nur auf englisch. Und sie können sich noch ändern.

Auch die betroffenen Unternehmen sind also mit einer höchst dynamischen regulatorischen Lage konfrontiert. Anders als die BaFin können sie sich jedoch nicht einfach wegducken und die Dinge auf die lange Bank schieben. Sie müssen sich dem Durcheinander stellen. Wie gehen Anbieter und Vertrieb von alternativen Investmentfonds (AIFs) nun damit um?

„Sehr viele Kann-Verordnungen“

Dr. Thomas Peters, Geschäftsführer der Alpha Ordinatum GmbH, also der Kapitalverwaltungsgesellschaft (KVG) der auf Bestandsimmobilien und deren (auch) energetische Aufwertung spezialisierten Primus Valor Gruppe, sagt zwar: „Wir denken, dass sich die Berücksichtigung solcher Kriterien sogar positiv auf die Rendite eines Produkts auswirken kann, sodass der frühzeitige Fokus auf Nachhaltigkeit langfristig auch zu einem Wettbewerbsvorteil führen kann“. Aber: „Viele Definitionen sind noch unklar und es gibt sehr viele Kann-Verordnungen, die in Richtung eines eigenen Scoring-Systems gehen“, so Peters.

„Da die Nachhaltigkeit bei Bestandsimmobilien im Unterschied zu Neubauprojekten kaum regulatorisch geregelt ist, sind wir gerade dabei, die finalen Nachhaltigkeitskriterien für Bestandswohnimmobilien zu definieren und diese mit der BaFin abzustimmen“, sagt er. Den nächsten Primus-Valor-Fonds will er als „Artikel 8-Fonds“ aufsetzen. Damit „können wir die ökologischen und sozialen Faktoren, die bereits seit vielen Jahren im Unternehmen gelebt und umgesetzt werden, hervorheben und formell in Einklang mit den ESG-Richtlinien bringen.“

Einen solchen „hellgrünen“ Fonds hat Patrizia Grundinvest als einer der wenigen AIF-Anbieter bereits auf den Markt gebracht. Wie sehen die Informationen für den Vertrieb aus? Geschäftsführer Andreas Heibrock anwortet: „Wichtig sind in dem Zusammenhang nicht nur die Informationen, die wir den Vertriebspartnern zur Verfügung stellen, sondern insbesondere die vorvertraglichen Informationen, die im Rahmen des Verkaufsprospekts offengelegt werden müssen. Im Falle unseres Fonds Patrizia GrundInvest Heidelberg Bahnstadt finden sich diese im Anhang des Verkaufsprospekts. Die Inhalte haben wir intensiv mit der BaFin diskutiert und abgestimmt. Darüber hinaus erhalten unsere Vertriebspartner einen Vorschlag für eine angepasste Zielmarktdefinition, die allerdings sehr allgemein gehalten ist.“

Noch keine Auswirkungen auf den Fonds-Absatz

Auf den Fonds-Absatz hat sich der Nachhaltigkeitsabgleich in den ersten Wochen nach dessen Einführung indes noch nicht ausgewirkt. „Die Platzierungsgeschwindigkeit ist weiterhin sehr konstant und wir können bisher keine Veränderungen in die eine oder andere Richtung wahrnehmen“, sagt Heibrock.

Auswirkungen auf die Platzierung erwartet Norman Lemke, Vorstand der RWB PrivateCapital Emissionshaus AG, durch die Nachhaltigkeitsabfrage ebenfalls nicht, obwohl die Dachfonds des Private-Equity-Spezialisten zunächst als Artikel-6-Produkte laufen, also ohne die formale Berücksichtigung von ESG-Aspekten.

„Bislang gibt es im Buyout-Segment nur eine Handvoll Zielfonds mit qualifiziertem ESG-Fokus. Mit dieser geringen Anzahl lässt sich derzeit noch kein ausreichend diversifiziertes Dachfondsportfolio aufbauen. Wir erwarten, dass sich das in den nächsten Jahren ändert“, sagt Lemke. „Unsere Vertriebspartner wissen, dass sich unsere Fonds noch nicht in Artikel 8 oder 9 einstufen lassen. Sie kennen zudem unseren Investmentprozess, der seit 2014 ESG-Kriterien beinhaltet, die wirtschaftlich nachhaltigen Anlageeigenschaften von Private Equity und können diese Aspekte auch in Kundengesprächen einordnen.“

JDC-Beratungsstrecke umfangreich ergänzt

Welchen enormen Aufwand der Vertrieb für die ESG-Abfrage treiben muss, lässt sich an einer internen Präsentation des technischen Dienstleisters für die Beratungssoftware ATWeb des Maklerpools Jung, DMS & Cie. (JDC) nachvollziehen, die Cash. einsehen konnte. Das Unternehmen hat die Beratungsstrecke umfangreich ergänzt.

Foto von Helmut Schulz-Jodexnis, Leiter Produktbereich Sachwerte, Jung, DMS & Cie.
Helmut Schulz-Jodexnis, Jung, DMS & Cie.: „Abfrage ungeheuer granular“. / Foto: Florian Sonntag

Demnach tritt neben das bisherige „magische Dreieck“ aus Rendite, Risiko und Liquidität (Laufzeit/Verfügbarkeit) gleichberechtigt eine weitere Dimension: Nachhaltigkeit. Anders als die drei anderen Punkte steht sie mit diesen jedoch in keiner Korrelation oder Konkurrenz. Während also zum Beispiel für mehr Rendite in der Regel ein höheres Risiko in Kauf genommen werden muss, bedeutet mehr Nachhaltigkeit nicht automatisch mehr Risiko oder weniger Rendite.

Sofern sich der Kunde dafür entscheidet, dass die Themen ESG und Nachhaltigkeit bei der Produktauswahl berücksichtigt werden sollen, müssen die angeschlossenen JDC-Partner mit ihm nun diverse weitere Seiten durchklicken. Dabei muss der Kunde zunächst angeben, wie wichtig ihm die Nachhaltigkeit nach der Taxonomie (Kategorie 1) und nach der Offenlegungsverordnung (Kategorie 2) ist. Auch wenn die wenigsten Kunden – und wahrscheinlich auch nur ein Teil der Berater – den Unterschied im Detail verstehen werden, erscheint dies noch einigermaßen praktikabel: Es geht um dunkel- oder hellgrün.

Komplexität vor allem durch die ominösen PAI

Weitaus komplexer wird die Angelegenheit, wenn nur oder auch die ominösen PAI berücksichtigt werden sollen, also der Ausschluss bestimmter negativer Auswirkungen. Hierzu enthält die JDC-Software – entsprechend der delegierten EU-Verordnung – fünf „Pflicht-“ und sieben „Wahl“-PAIs, zu denen teilweise noch Detail-Listen aufzuklappen sind. Dabei geht es um Stichworte wie Treibhausgas-Emissionen und Artenvielfalt, aber auch um Soziales oder Menschenrechte.

Theoretisch kann der Kunde – so die Vorstellung der EU-Bürokraten – zu jedem (Unter-) Punkt sogar noch einen Prozentsatz angeben, welcher Teil seines Investments ihm genügen muss. Die JDC-Software sieht das gezwungenermaßen entsprechend vor, praktikabel dürfte es kaum sein. Weder wird ein Kunde zu sinnvollen Angaben dazu in der Lage sein, noch das System dann entsprechende Produkte ausspucken.

Schon bei den übergeordneten Kriterien führt die Angabe „wichtig“ oder „sehr wichtig“, die von der Software jeweils mit einem Prozentsatz unterlegt ist, vielfach dazu, dass ein Großteil der Produkte aus der Auswahl fällt. Das birgt auch die Gefahr, dass am Ende nur wenige Anlagevorschläge übrig bleiben, die dann unter Umständen wiederum weit von dem sonst möglichen Optimum aus Rendite, Risiko und Liquidität entfernt sind.

„Von keinem einzigen Sachwerte-Partner Informationen erhalten“

„Es zeigt sich, dass die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen ungeheuer granular, also kleinteilig, ist“, sagt Helmut Schulz-Jodexnis, Leiter des Bereichs Sachwertanlagen bei JDC. „Dafür sind detaillierte und passgenaue Angaben der Produktanbieter erforderlich.“ Während die offenen Investmentfonds zum großen Teil bereits entsprechende Daten an JDC geliefert haben, hinken die geschlossenen AIFs einmal mehr hinterher.

„Bis zum Stichtag am 2. August habe ich von keinem einzigen unserer Produktpartner aus dem Sachwertebereich entsprechende Unterlagen und Informationen erhalten“, berichtet Schulz-Jodexnis. Nur ein Anbieter habe mittlerweile (Ende August 2022) geliefert, wobei die Angaben recht allgemein gehalten sind und keine PAI definiert wurden.

Die Folge: Sofern die Kunden entsprechende Präferenzen äußern, sind die AIFs aus dem Rennen, wobei Schulz-Jodexnis noch keine Einschätzung darüber abgeben kann, welcher Anteil der Kunden sich für die Nachhaltigkeitsabfrage entscheidet.

Geschichte keineswegs zu Ende

Für die Anbieter bleibt also noch eine Menge Arbeit, um die notwendigen Daten zu liefern – spätestens bis auch der 34f-Vertrieb, der für die meistens Fonds die größere Bedeutung hat, in die Abfragepflichten einbezogen wird. Anders als vielfach offenbar angenommen, betrifft das nicht nur die Emittenten von Artikel-8- oder -9-Fonds. Im Gegenteil: Möglichst detaillierte PAI sind gerade für Artikel-6-Fonds wichtig. Denn ohne diese Ausschlüsse haben sie unter der neuen MiFID-II-Verordnung kaum eine Chance, überhaupt in Betracht zu kommen, sofern die Kundschaft nicht von vornherein auf Nachhaltigkeit pfeift.

Damit ist die Geschichte indes keineswegs zu Ende. Von der Leyens EU-Kommission hat im April bei der Verabschiedung der Offenlegungs-RTS offenbar selbst festgestellt, dass diese nicht das Gelbe vom Ei sind: Sie hat gleichzeitig die Europäischen Aufsichtsbehörden (ESAs) aufgefordert, Vorschläge zu unterbreiten, wie die RTS überarbeitet werden können.

Neben Ergänzungen zu Kernenergie- und Gasaktivitäten sollen die ESAs bis April 2023 Vorschläge für die Überarbeitung der PAI und der produktbezogenen Offenlegungspflichten vorlegen, also für die zentralen Bestandteile der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen. Wenige Monate nach Inkrafttreten der letzten Vorschriften geht das ganze Theater also womöglich wieder von vorne los.

Dieser Artikel stammt mit geringfügigen Anpassungen aus der Cash.-Ausgabe 10/2022 (jetzt im Handel).

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