In Deutschland sind aktuell 8,7 Millionen Menschen privat krankheitsvollversichert, weitere 25,7 Millionen Bürger verfügen über eine private Krankenzusatzversicherung. Das sind stolze Zahlen, der Rechenschaftsbericht 2024 des PKV-Verbandes ist zudem voller positiver Statistiken mit den vorläufigen Jahreszahlen für 2023. Zum Beispiel sind bereits zum sechsten Mal in Folge mehr Menschen von der GKV in die PKV gewechselt als umgekehrt, der Nettogewinn beträgt knapp 50.000 Versicherte. Eine Zahl allerdings gibt der Branche Anlass zur Sorge: Erstmals nach der Corona-Pandemie sind die Leistungsausgaben überdurchschnittlich stark gestiegen. Ist dies ein Einmaleffekt aufgrund rekordverdächtiger Krankenstände oder müssen sich Versicherer, Vermittler und Kunden künftig auf eine neue Welt mit deutlich höheren Kosten und Beitragshöhen einstellen?
Leistungsausgaben steigen deutlich
„Die Steigerung der Leistungsausgaben in der PKV lag 2023 bei über acht Prozent und zog sich durch alle Bereiche, von ambulanten über stationäre bis hin zu Zahnbehandlungen sowie Zahnersatzmaßnahmen. So haben sich beispielsweise viele Arzneimittel verteuert und auch vor Krankenhäusern und Arztpraxen macht die Inflation keinen Halt – diese Mehrkosten werden zumindest teilweise an die Patientinnen und Patienten weitergegeben“, sagt Miriam Michelsen, Leiterin Vorsorge und Krankenversicherung bei MLP. „Im vergangenen Jahr sind die Leistungsausgaben besonders deutlich gestiegen. Deswegen ist für 2025 mit höheren Beiträgen in der Privaten Krankenversicherung zu rechnen“, sagt auch Alexandra Markovic-Sobau.
Die Leiterin Vertrieb der Hallesche Krankenversicherung nennt hier beispielhaft die Leistungsausgaben für den Krankenhausbereich, der in der gesamten PKV einen Zuwachs von 13,5 Prozent verzeichnete. In der Langzeitbetrachtung wird der Kostendruck besonders plakativ. Denn übergreifend beträgt der Anstieg der Leistungsausgaben im PKV-Bereich seit 2018 rund 25 Prozent. „Beispielsweise haben sich die durchschnittlichen Behandlungskosten zwölf Monate nach Erstdiagnose bei einem Schlaganfall seit 2018 um mehr als 30 Prozent, bei Lungenkrebs sogar um mehr als 60 Prozent gesteigert“, stellt Dr. Eberhard Sautter, Vorstandsvorsitzender der Hanse Merkur Krankenversicherung, fest. Zusätzlich habe sich die Anzahl der kostenintensiven Arztbesuche ab 500 Euro seit 2018 um 56 Prozent erhöht.
„Die gestiegenen Leistungsausgaben werden sich natürlich auf die zukünftigen Beitragsanpassungen auswirken und den Druck auf diese weiter erhöhen. Zur Ermittlung der gesamten Beitragsstabilität müssen jedoch noch weitere Faktoren herangezogen werden“, gibt Alexander Kraus, Fachkoordinator Krankenversicherung der Assekurata, zu Bedenken. Dazu gehören etwa die Ausstattung der RfB-Mittel, die zur Abmilderung von Beitragsanpassungen herangezogen werden.
Oder auch der Zeitpunkt der letzten Tarifanpassung. Zudem besteht für mögliche Erhöhungen in der PKV ein strenges Regelwerk. Die Beitragsstabilität gilt indes im Markt als ein wesentlicher Faktor für den Vertriebserfolg und die Kundenzufriedenheit. „Wir rechnen mit einer geringen und unter dem Marktdurchschnitt liegenden Beitragssteigerung. Bei den meisten Neugeschäftstarifen können wir die Beitragsstabilität bis 2025 sogar garantieren“, beruhigt Sautter.
„Die Finanzierungsprobleme der GKV verstärken den Trend“
Mit dem Absatz von PKV-Tarifen zeigt sich die Branche durchwegs zufrieden, denn die Themen Gesundheit und Pflege rücken immer mehr ins Blickfeld der Bevölkerung. „Die Finanzierungsprobleme der GKV und die Berichterstattung darüber sowie die stark steigenden individuellen Zusatzbeiträge in den gesetzlichen Krankenkassen verstärken diesen Trend. Ein weiterer Faktor ist das steigende Interesse an Alternativmedizin sowie Vorsorgeleistungen, die über Voll- und Zusatzversicherungen abgedeckt werden können“, sagt Christine Schönteich, Geschäftsführerin der Fonds Finanz. Einen deutlichen Aufwärtstrend gerade nach der Pandemie erkennt auch die Vema.
„Insgesamt kann konstatiert werden, dass die Neugeschäftsumsätze der PKV natürlich nicht auf einem Niveau wie um 2004 sind. Aber letztlich sind diese erfreulicherweise im aktuellen Umfeld stark steigend. Eine deutliche Steigerung ist auch bei den Beihilfetarifen zu verzeichnen, nicht zuletzt aufgrund der immer höheren Beamtenquote wie auch der Nachwuchsakquisition der öffentlichen Hand“, betont Johannes Neder, Vorstand der Vema, und weist zudem auf die hohe Nachfrage im Bereich der Zahnzusatzversorgung hin.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) geht für die PKV insgesamt von einem Anstieg des Beitragsaufkommens von 4,5 Prozent für 2024 aus.
Angesichts deutlich gestiegener Leistungen könne das Wachstum der Beitragseinnahmen 2025 mit sechs bis acht Prozent noch darüberliegen.
Die betriebliche Krankenversicherung steht bereits seit einiger Zeit besonders im Fokus des Vertriebs. „Die bKV verzeichnet unverändert ein hohes dynamisches Wachstum. Aus Sicht eines Versicherers ist ein attraktives bKV-Angebot ein ‚must have‘ für eine intakte Verbindung zu Geschäftspartnern“, umreißt Hallesche-Expertin Markovic-Sobau das vielversprechende Umsatzpotenzial.
Die bKV wird zum „must have“
Denn im Rahmen eines Gesamtkonzepts der betrieblichen Vorsorge winken viele Vorteile für die Gewerbekunden: „Arbeitgeber erkennen sehr schnell, dass Gesundheitsleistungen gut bei Mitarbeitenden ankommen und ihnen einen Vorteil im Wettbewerb um Arbeitskräfte verschaffen. Ein Chef, der quasi Vorsorgeuntersuchungen oder den Zahnarztbesuch bezahlt, erzeugt Emotionalität und vermittelt glaubwürdig, dass ihm seine Belegschaft wichtig ist“, unterstreicht Dr. Jan Esser, Vorstandsvorsitzender der Allianz Private Krankenversicherungs-AG in einem Exklusiv-Interview mit Cash (siehe Cash.Online).
Vor allem PKV-Budgettarife waren zuletzt das große Trendthema und in 2023 wurde etliche neue Produkte in diesem Bereich lanciert. „Zum 1. Januar 2024 verfügten 21 Anbieter am Markt über Budgettarife, ein Jahr zuvor waren es noch zwölf“, rechnet Assekurata-Experte Kraus vor. Die Produkteinführungen zeigen demnach deutlich das gesteigerte Interesse der Versicherer an der bKV und auch die Marktzahlen bestätigen dies: „Vor fünf Jahren waren gerade einmal knapp 900.000 Personen in Deutschland über eine bKV versichert. Ende 2023 ist diese Zahl bereits auf über zwei Millionen gestiegen“, so Kraus weiter. Dies stellt einen Anstieg von fast 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr dar. Damit ist klar: Unternehmen nutzen die bKV immer häufiger, um Fachkräfte zu gewinnen und zu binden.
Sinnvolle Ergänzung des Benefit-Portfolios
MLP berichtet, dass in vielen Fällen Arbeitgeber, die bereits eine bAV anbieten, ihr Benefits-Portfolio sinnvoll ergänzen möchten. „Dann kommt die bKV ins Spiel. Mit dem Angebot zeigt der Arbeitgeber nicht nur, dass ihm die Gesundheit seiner Mitarbeiter wichtig ist, sondern fördert gleichzeitig die Nutzung von Vorsorgemaßnahmen, was die frühzeitige Erkennung und Behandlung von Krankheitsbildern wahrscheinlicher macht und eine Ausfallwahrscheinlichkeit des Mitarbeiters reduziert – eine klassische Win-Win-Situation“, konstatiert MLP-Expertin Michelsen.
Und wie schätzt die Zunft die weitere Entwicklung der PKV angesichts der vielfältigen Herausforderungen ein? Im kommenden Jahr stehen Bundestagswahlen an und nicht wenige erwarten dann, dass das Gespenst der Bürgerversicherung wieder auftaucht. „Sollte dieser Ansatz dann aber wieder auf einem, wenn auch breiter aufgestellten Umlageverfahren basieren, wird das die Finanzierungsprobleme der GKV oder der Pflegeversicherung nicht dauerhaft lösen“, sagt Schönteich. Der Maklerpool sieht daher Vorschläge wie das vom PKV-Verband vorgelegte Konzept für eine kapitalgedeckte Finanzierung im Teilbereich Pflege als ein diskussionswertes Papier an.
Autor Oliver Lepold ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und freier Redakteur mit den Schwerpunktthemen Versicherungen, Finanzvertrieb und Vermögensverwaltung.