Private Pflegeversicherung: Die Steilvorlage für den Vertrieb

Ohne Zweifel stellt der demographische Wandel die soziale Pflegeversicherung vor große Herausforderungen. Die große Koalition ist entschlossen, die Belastungen für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen zu deckeln. Wenn Eltern pflegebedürftig werden, sind ihre Kinder laut dem Bürgerlichen Gesetzbuch zum Unterhalt verpflichtet. Relevant wird dies meist, wenn Eltern die hohen Kosten aus dem eigenen Einkommen und Vermögen nicht mehr aufbringen können und die Kinder finanziell in die Bresche springen müssen.

Um die finanziellen Belastungen zu begrenzen, war zum 1. Januar 2020 das Angehörigen-Entlastungsgesetz in Kraft getreten. Damit werden Kinder, deren Eltern die hohen Kosten für die Pflege nicht aufbringen können, ab einen Jahresbruttoeinkommen von 100.000 Euro je unterhaltspflichtiger Person vom Sozialamt in Anspruch genommen. Allerdings verhindert das Entlastungs-Gesetz nicht, dass der oder die Pflegebedürftige selbst in Zukunft noch zum Sozialhilfefall werden kann.

Seit der Pflegereform 2017 ist der Eigenanteil an den Pflegeheimkosten, der aus eigener Tasche zu zahlen ist, nicht mehr abhängig vom Pflegegrad. Stattdessen setzt er sich zusammen aus dem einrichtungseinheitlichen Eigenanteil (EEE) für die pflegebedingten Kosten der Pflegegrade 2 bis 5, den Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie den Investitionskosten. Dabei hängt die Beteiligung der Pflegeversicherung von der individuellen Pflegebedürftigkeit ab.

Bedeutet: Je höher der jeweilige Pflegegrad, desto höher der Zuschuss. Für den Pflegegrad 2 zahlt die soziale Pflegeversicherung bis zu 770 Euro monatlich. Bei Pflegegrad 3 1.262 und bei Pflegegrad 5 sind dies 2.005 Euro pro Monat. Gleichwohl zahlen Pflegebedürftige im Pflegegrad 5 genauso viel Eigenanteil zu wie Betroffene im Pflegegrad 2. Im Durchschnitt liegen die Kosten für Unterkunft und Pflege bei 774 Euro monatlich. Für die Investitionskosten fallen nochmals 455 Euro an. Diese Kosten werden eigentlich von den Ländern getragen.

Falls nicht, können die Pflegeheime sie ihren Bewohnern in Rechnung stellen. Nach Angaben des Gesundheitsreportes der AOK Rheinland/Hamburg aus dem Juli 2020 konnten rund 37,3 Prozent der Bewohner die Zuzahlungen nicht aus eigener Kraft finanzieren. Mit 57, 3 Prozent ist der Anteil der Sozialhilfebezieher in Hamburg besonders groß. Im Rheinland sind es dagegen im Schnitt nur 33,65 Prozent. Die Zahlen decken sich mit denen des Statistischen Bundesamtes. Danach erhalten mittlerweile rund 36 Prozent aller Heimbewohner Geld vom Sozialamt.

Und wieder dreht sich die Reformschraube

Vor dem Hintergrund will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn noch in dieser Legislaturperiode erneut an der Reformschraube drehen, um die Pflegeheim-Bewohner zu entlasten. Spahn’s Plan: Den Eigenanteil bei den Pflegekosten für die Bewohner von Pflegeheimen für einen Zeitraum von 36 Monaten auf 700 Euro pro Monat zu begrenzen. Dieser Teil der Reform soll für Planungssicherheit bei Pflegebedürftigen wie Angehörigen sorgen. Teil zwei der Reform soll die Pflege Zuhause verbessern.

Denn der Löwenanteil der Pflegebedürftigen – etwa 75 Prozent – wird zu Hause gepflegt. Für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege ist künftig ein Jahresbudget von 3.300 Euro eingeplant. Darüber hinaus sollen die Leistungen für pflegende Angehörige besser gebündelt werden. Wird ein pflegender Angehöriger krank oder braucht eine Aushilfe, springt dafür die Pflegeversicherung ein. Geld gibt es auch von der Pflegekasse, wenn ein Betroffener ins Krankenhaus muss und danach auf stationäre Pflege angewiesen ist.

Laut Spahn sollen das Pflegegeld und die Pflegesachleistungen jährlich ansteigen. Darüber plant der Minister, dass Pflegekräfte künftig nach Tarif bezahlt werden. Konkret soll ein Heim künftig nur noch mit der Pflegeversicherung abrechnen können, wenn die Mitarbeiter mindestens nach Tarif entlohnt werden. Die Kosten für die Reform: Rund sechs Milliarden Euro.

Sechs Milliarden sind schnell verpufft

Kritik kommt vom Münchener Verein CEO Dr. Rainer Reitzler: „Durch die von Jens Spahn vorgeschlagene Neuordnung der Pflegefinanzierung wird nur der Eigenanteil der Pflegekosten begrenzt. Unterkunfts- und Verpflegungskosten sowie die Investition in die Pflegeeinrichtungen, die sämtlich von den Pflegebedürftigen zu bezahlen sind und ein Vielfaches der Pflegekosten ausmachen, bleiben außer acht.“

Dr. Rainer Reitzler, Münchener Verein: „In Nordrhein-Westfalen sind die Heimplätze am teuersten, im Durchschnitt zahlt ein Heimbewohner dort 2.405 Euro pro Monat, in Bayern 2.018 Euro. Ohne eine private Pflegezusatzversicherung sind diese hohen Kosten vom Großteil der Pflegebedürftigen nicht zu stemmen.“

Auch Frank Kettnaker, Vertriebsvorstand der Hallesche Krankenversicherung, sieht das Reformvorhaben skeptisch: „Das Reformvorhaben gibt den Menschen eine trügerische Sicherheit. Es enthält neben kleinen Verbesserungen, wie bei der Ersatz- und der Kurzzeitpflege deutliche Leistungsausweitungen, betreffend die Dynamisierung von Leistungen und die Festschreibung des pflegebedingten Eigenanteils bei vollstationärer Pflege auf 700 Euro für 36 Monate. Die Leistungsverbesserungen sollen aber nicht – wie sonst üblich, über Beitragsmittel, sondern dauerhaft aus Steuermitteln finanziert werden.“

Aufsummiert bis 2030 könnte nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Instituts der PKV auf den Steuerzahler eine Mehrbelastung von 108,6 Milliarden Euro zukommen, so Kettnaker. Die angedachte Reform sei weder nachhaltig noch generationengerecht. Und vor allem nicht zu Ende gedacht, denn es würden falsche Erwartungen geweckt, die staatliche Pflegeversicherung stünde auf finanziell sicheren Beinen.

108 Milliarden Euro Mehrbelastung

Für Ellen Ludwig, Geschäftsführerin von Ascore Analyse aus Hamburg, blendet die Reform die demographische Entwicklung weitgehend aus. „Die Anzahl der Pflegebedürftigen steigt jedes Jahr durch die Überalterung der Bevölkerung an. Gleichzeitig liegt die Finanzierungslast auf immer weniger jüngeren Personen. Wird der Eigenanteil bei stationärer Pflege geringer, so geht er dafür bei der häuslichen oder ambulanten Pflege hoch. Die sechs Milliarden sind schnell verpufft, wenn sie denn neben all den Corona-Wirtschaftshilfen überhaupt finanzierbar sind.“ Dass der Eigenanteil künftig wieder ansteigt, sei vorprogrammiert. „Und wahrscheinlich stärker als zuvor“, zeigt sich die Expertin überzeugt.

Arbeitskraftabsicherung hat höhere Priorität

Gerade einmal 3,7 Millionen Deutsche haben ein private Pflegeversicherung. Zu wenig, wenn man berücksichtigt, wie vielen Menschen künftig die Pflegebedürftigkeit droht. Und zu wenig, wenn man betrachtet, was Pflegebedürftige für die Betreuung aus eigener Tasche zuzahlen müssen. Das Online-Marketingunternehmen Mediaworx analysiert kontinuierlich das Suchverhalten der Deutschen bei Google. Schaut man sich das Ranking der beliebtesten Versicherungen an, zeigt sich, dass das Interesse der Deutschen an einer privaten Pflegezusatzversicherung eher gering ist.

22.000 Suchanfragen registrierte die Suchmaschine im Dezember 2020 beim Thema. Gemessen an den insgesamt 902.100 Suchanfragen zu Versicherungen ist die Neugier vergleichsweise dürftig. Gepaart mit einem relativ überschaubaren Wissen zum Thema Pflege ergibt sich für den Vertrieb eine spannende Melange. „Eine Herausforderung ist es, vor allem bei jungen Zielgruppen – welche durch den frühen Einstieg kostenseitig profitieren – ein Bewusstsein für die Notwendigkeit zu schaffen“, bestätig Hallesche-Vertriebsvorstand Kettnaker. Eine weitere bestehe darin, Transparenz über die tatsächliche Lage und die Probleme der gesetzlichen Pflegeabsicherung zu schaffen. „Natürlich wünschen wir uns, dass das Thema Pflegeversicherung stärker in den Fokus rückt und insgesamt einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft einnimmt.

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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