Mairead McGuinness, die EU-Finanzmarktkommissarin, hat große Ziele. Bereits als die nächste Regierungschefin Irlands gehandelt, könnte ein politischer Meilenstein im Finanzsektor hierbei die nötige mediale Aufmerksamkeit sichern. Ihr Ziel ist die Abschaffung von Provisionen für bedeutsame Finanzprodukte in der Europäischen Union im Rahmen der noch für das erste Quartal 2023 geplanten EU-Kleinanlegerstrategie. In Deutschland stemmen sich Finanzministerium und die BaFin dagegen.
In einem Ende Dezember veröffentlichten Brief an einen CSU-Europaabgeordneten beklagte McGuinness etwa, „dass die seit 2018 geltende Finanzmarktrichtlinie MiFID II entgegen der mit ihr verfolgten Absichten nicht zu mehr unabhängiger, provisionsfreier Beratung geführt habe.“ Die Finanzmarktkommissarin macht indes keinen Hehl daraus, welche Anlageform ihrer Ansicht nach künftig von einem Provisionsverbot profitieren sollte: „Günstige Produkte wie ETFs werden kaum empfohlen, und dies wirkt sich auf die Nettorenditen aus, die Verbraucher erwarten können.“ Die weitaus meisten am europäischen Markt gehandelten ETFs sind in der Heimat der Kommissarin beherbergt, dem Steuerparadies Irland.
Auch in vielen deutschen Medien werden ETF-Investments unter anderem aufgrund der vergleichsweise niedrigen Kosten als Ausdruck des zeitgemäßen Investments dargestellt. Ein Verbraucher muss sich nach den häufig vertretenen Grundsätzen des passiven Investments bei Einrichtung etwa eines Sparplans bei Berufsbeginn für lange Zeit kaum noch mit der Finanzmaterie beschäftigen. Soweit das Investment wie häufig der Altersvorsorge dienen soll, muss er nur rechtzeitig vor dem Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt eine Entnahmeplanung vornehmen und Aktien-ETFs zunehmend in liquidere Anlageformen umschichten, um Volatilitätsrisiken einzudämmen.
Einem Provisionsverbot wohnt zunächst das Bild des unmündigen Verbrauchers inne, der nicht in der Lage ist, selbst entscheiden zu können, ob er sich für Produkte mit oder ohne Provision entscheidet, obwohl beide aktuell angeboten werden. Tatsächlich ist bereits der Weg zum Bewusstsein über diese Wahlmöglichkeit hierüber für viele Verbraucher steinig. Auch als liberaler Verfechter des Prinzips Eigenverantwortlichkeit muss man einräumen, dass finanzielle Vorbildung generell derzeit in den allermeisten öffentlichen Bildungswegen wenig bis gar nicht vermittelt wird. Ein Verbraucher kann sich glücklich schätzen, wenn er von den Eltern oder sonstigen Personen im eigenen Umfeld Wissen effektiv weitergegeben bekam, ansonsten ist tatsächlich einiges an Eigeninitiative vonnöten. Interessenkonflikte und Missbrauch von Unwissen durch die Finanzbranche sind in der Vergangenheit zweifellos vielfach vorgekommen.
Finanzthemen stärker in die Lehrpläne integrieren
Andererseits hat der Gesetzgeber mittlerweile bereits ein hohes Maß an Transparenz beim Finanzvertrieb geschaffen. Schon zu Beginn eines Beratungsgesprächs müssen Finanzberater auf Interessenkonflikte hinweisen. Bevor der Kunde ein konkretes Produkt erwirbt, werden ihm alle zu erwartenden Kosten aufgeschlüsselt, die Beratungskosten eingeschlossen (sogenannter Ex Ante Kostenausweis). Wird ein Portfolio-Vorschlag umgesetzt, erhält der Anleger dann einen Ex Post Kostenausweis. Und anschließend weist ihm jährlich die Depotstelle alle angefallenen Kosten aus, worunter auch hier die Vertriebskosten fallen. Der Anleger mag derlei Information häufig als lästiges Zahlenwerk abtun; alle relevanten Informationen aber hätte er.
ETF-Anleger folgen typischerweise schlicht dem Markt und geben mittels dieser sehr passiven Investmentstrategie die vom Aktienrecht gewährte Kontrollfunktion der im Index gelisteten Unternehmen zunehmend in die Hände großer ETF-Anbieter. Provisionsbasierte Anbieter setzen hingegen regelmäßig auf Fondsmanager, die mit ihren individuellen Strategien die aktienemittierenden Unternehmen gesondert in die Pflicht nehmen und so zusammen mit den direkt in die Unternehmen investierenden Anlegern der Entstehung von Monopolen bei der Kontrolle entgegenwirken.
In Zeiten anhaltender Inflation und steigender Zinsen wird zudem teilweise angezweifelt, ob ETF-Investitionen in den kommenden Jahren noch strategische Investitionen schlagen und eine ausreichende Rendite erwirtschaften können. Als Alternative zu dem angedachten Verbot dürfte es sich eher anbieten, Finanzthemen stärker in die Lehrpläne zu integrieren sowie die zunehmende Bedeutung der privaten Altersvorsorge hervorzuheben und diese zu fördern. Zwischenzeitlich kann sich jeder Verbraucher mit Lücken im Finanzwissen jetzt schon seinen Berater frei selbst wählen – genügend Banken, Finanzanlagenvermittler, Honorarberater und Robo-Advisors sind je nach persönlicher Vorliebe vorhanden.
Die Autoren Simon Grieser und Jan Philip Nagel sind Rechtsanwälte in der Kanzlei Reed Smith.