Deutschland kämpft mit einem alarmierenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften – dem sogenannten Fachkräftemangel. Wie stellt sich die Situation im Finanzvertrieb dar?
Perschke: Wir erwarten, dass der Nachwuchsmangel – der heute im Finanzvertrieb schon zu sehen ist – in den nächsten Jahren immer deutlicher wird; die Corona-Jahre haben das kurzzeitig etwas abgemildert, weil man von der Freisetzung anderer Branchen profitieren konnte. Aber die zukünftigen Trends sind klar: Der hohe Altersdurchschnitt in der Branche führt zu einem Rückgang der vorhandenen Vermittler, gleichzeitig wurde die Gewinnung von Nachwuchs (durch Banken, Versicherungen, auch große Vertriebe) seit langem immer mehr zurückgefahren. Ein allgemein entspannter Arbeitsmarkt, das relative schlechte Bild der Branche und eher überzogene Erwartungen an Vertriebserfolge durch „Technisierung“ der Beratung führen dazu, dass es nicht leichter wird, qualifizierte junge Menschen für unsere wichtige Branche zu gewinnen. Dabei wird oft übersehen, dass Finanzprodukte nicht „sexy“ sind und oftmals auch komplex, also aktiv beim Kunden verkauft und beraten werden müssen, der qualifizierte Finanzberater also Erfolgsfaktor für die Branche ist. Die Ausbildungsquote bei Versicherungen und Banken liegt seit einigen Jahren bei vier bis sieben Prozent. Weniger als ein Fünftel davon wird aber in Maklerbetrieben oder Agenturen ausgebildet, in diesen Fällen oft zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen oder auch zur Kauffrau für Büromanagement. Vereinzelt werden auch duale Studiengänge genutzt. Die geringe Ausbildungsquote bei Vermittlern ist darin begründet, dass bisher stark auf die Gewinnung von Mitarbeitern „aus dem Markt“ – insbesondere von Banken und Versicherern – gesetzt wurde. Aus oben genannten Gründen wird das aber immer schwieriger und – aufgrund des entspannten Arbeitsmarktes – tendenziell auch teurer. Deshalb empfehlen wir Beratungs- und Vertriebsunternehmen, sich stärker eigene Ausbildungswege aufzubauen bzw. dafür Ausbildungspartner zu suchen, wie zum Beispiel unsere Akademie.
Wie begeistert man die fähigsten Beratungs- und Verkaufstalente für die Branche?
Perschke: Das ramponierte Image der Branche hat dazu geführt, dass junge Menschen mit Entwicklungspotenzial nicht als erstes von einer Tätigkeit in der Finanzbranche träumen. Dies lässt sich am besten dadurch überbrücken, dass man bei der Werbung um Nachwuchs auf persönliche Ansprache setzt und dabei deutlich macht, welche verantwortliche Tätigkeit der Finanzberater im Rahmen der Lebensplanung von Menschen wahrnimmt und es dafür eine hohe Fachkompetenz braucht. Gerade motivierte junge Leute suchen persönliche Entwicklungsperspektiven. Das schließt Verantwortung, Erfolgsaussichten und Weiterbildungsmöglichkeiten im Betrieb ein – zum Beispiel über die Qualifikationsstufen Fachwirt/Bachelor/Master kann man junge Leute über viele Jahre erfolgreich an das eigene Unternehmen binden und gleichzeitig die Erwartungen an persönlicher Entwicklung junger Menschen erfüllen. Der favorisierte Weg zur Gewinnung solch motivierter junger Leute sollte daher zunächst das eigene Netzwerk sein: Mitarbeiter, Kunden, Umfeld. Sinn macht es auch, regionale Einrichtung wie Schulen, Arbeitsagenturen usw. anzusprechen und Praktika oder andere Kennenlernmöglichkeiten zu bieten. Bei streuenden Suchwegen wie Anzeigen, Messen und dergleichen ist der Vermittler meist so stark im Wettbewerb zu größeren Unternehmen, dass sich das nicht lohnt, weil man finanziell und in der Professionalität dort meist nicht mithalten kann.
Behindert die fortlaufende Diskussion über das Vergütungssystem die Nachwuchsgewinnung? Oder spielt sie dabei keine Rolle?
Perschke: Unser Eindruck ist, dass die politische Grundsatzdiskussion über „Provisionsverbot ja oder nein“ für die Gewinnung von jungem Nachwuchs (Schulabgängern) eher keine Rolle spielt. Diese komplexe Diskussion der Branche haben Neueinsteiger meist noch gar nicht im Blick. Relevanter für diese Zielgruppe ist eher die Frage, ob man als junger Mensch gleich von Beginn an bereit und in der Lage ist, sich eine Selbstständigkeit auf Basis eines Handelsvertretervertrages aufzubauen. Die klare Mehrheit junger Menschen sucht zunächst den Weg in eine Berufsperspektive über eine geordnete Qualifizierung (Ausbildung oder Studium) mit fester Grundvergütung. Darauf sollte auch der Finanzvertrieb stärker setzen, da es über den Seiteneinstieg per Sachkundequalifizierung zukünftig immer schwerer werden wird, ausreichend junge Leute für die Branche zu begeistern.
Zieht es Absolventen mittlerweile eher zu Fin- und Insurtechs als zu klassischen Finanzvertrieben?
Perschke: Das kann man so pauschal keinesfalls mit „Ja“ beantworten. Selbstverständlich sind IT-basierte Fin- und Insurtechs für einige junge Leute interessante Arbeitgeber. Jedoch: Im Finanzvertrieb werden jedoch vor allem junge Leute benötigt, die Spaß am Umgang mit anderen Menschen haben und ihren Fokus in der Berufstätigkeit vor allem im persönlichen Kontakt und Austausch mit Kunden sehen. Dies sind wiederum keine Kernanforderungen, die man für eine Karriere in IT-basierten Unternehmen braucht. Insofern suchen Finanzvertriebe auf der einen Seite und Fin- und Insurtechs auf der anderen Seite im Kern andere Typen von Mitarbeitern. Gerade wenn – wie empfohlen – aus dem persönlichen Umfeld rekrutiert wird, sollte man zu sich und dem Bewerber ehrlich sein: Ist derjenige wirklich für die beruflichen Anforderungen des sehr kommunikativen und vertriebsorienterten Vermittlerberufes geeignet? Wir haben schon oft erlebt, dass aus einem Gefallen heraus Azubis eingestellt wurden und daraus eine allgemeine Enttäuschung „Ausbildung funktioniert nicht“ entstanden ist. Die Eignung kann man recht gut über eine Kombination aus Auswahlgespräch, Probearbeit oder Assessment-Center testen. Hat der Makler dabei wenig Erfahrung, begleiten wir den Auswahlprozess auch gern. Diese Investition zahlt sich bei gelungener Auswahl schnell aus.
Welche Rolle spielt Social Media bei der Rekrutierung von Nachwuchskräften?
Perschke: Social Media ist grundsätzlich ein exzellenter Weg, eine erhöhte Aufmerksamkeit für das eigene Unternehmen zu generieren. Voraussetzung dafür ist aber, dass man als Unternehmen dafür ausreichend Kapazitäten hat, professionelle Auftritte in den für die Zielgruppe „Nachwuchs“ relevanten Social-Media-Kanälen zu erzeugen. Da man in diesem Medien mit großen Arbeitgebern und deren Marketing-Ressourcen konkurriert, kann man Auftritte dort nicht nebenbei steuern. Es braucht ein klares Konzept, um die eigene Zielstellung des Auftritts auch gut umsetzen zu können. Spätestens im zweiten Schritt – und wenn man keine ausreichenden Social-Media-Kapazitäten aufwenden kann besser im ersten Schritt – sollte man durch persönlichen Auftritt als Unternehmen überzeugen.
Wie stehen Sie zu einer generellen Akademisierung des Berufs – als Garant für eine bessere Beratung und eine erfolgreiche Karriere im Finanzvertrieb?
Perschke: Akademisierung ist per se kein Erfolgsgarant und auch nicht als ausschließlicher Ansatz für die Personalgewinnung zu empfehlen. Wie immer in der Personalentwicklung muss ich vorab die Frage stellen, welche Menschen mit welchen Fähigkeiten und persönlichen Zielsetzung suche ich für welche Position im Unternehmen. Für Ausbildungsbewerber mit Ambitionen ist der akademische Qualifizierungsweg jedoch sicherlich erste Wahl, um die persönlichen Entwicklungspläne dieser jungen Leute erfüllen zu können. Voraussetzung ist dann allerdings auch, dass man nach Abschluss des Studiums einen adäquaten Arbeitsplatz zum Beispiel bei der Beratung von interessanten Kundengruppen und/oder in der Leitungshierarchie des Unternehmenns bieten kann. Going Public bietet in Kooperation mit der Hochschule Kaiserslautern bundesweit den berufsintegrierten Fernstudiengang „Bachelor of Arts – Fachrichtung Finanzberatung für Unternehmen und Privatkunden“ für Nachwuchskräfte mit Abitur zur Verfügung. Dieser lässt sich auch flexibel mit der Berufsausbildung verzahnen, entweder gleich mit Beginn der Ausbildung oder zeitversetzt. Werden Ausbildung und Bachelor parallel begonnen, kann das Bachelor-Studium schon nach vier Jahren – also ein Jahr nach Ende der Ausbildung – abgeschlossen werden. Junge Menschen, die (zunächst) keine akademischen Ambitionen haben, können auch ein Berufsausbildungskonzept bei uns besuchen. Dort besuchen sie im Gegensatz zum klassischen Ausbildungsweg nicht die staatlichen Berufsschulen, sondern absolvieren den Schulanteil an unserer Akademie, beenden die Ausbildung aber mit dem gleichen Abschluss bei der IHK. Dadurch, dass wir Träger der Ausbildung sind, können wir diese stärker an den Anforderungen des Vermittlerbetriebs ausrichten und allgemeine Schulfächer entfallen lassen. Dadurch sind die Azubis über drei Jahre Berufsausbildung circa 100 Tage mehr im Betrieb, wodurch sich das Schulgeld schnell refinanziert.
Die Fragen stellte Kim Brodtmann, Cash.