Regulierungswut kostet Deutschland rund 165 Milliarden Euro

Deutschland könnte mit günstigeren regulatorischen Rahmenbedingungen erhebliche zusätzliche Wachstumskräfte freisetzen. Das zeigt eine aktuelle Studie des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Demnach hätte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Untersuchungszeitraum 2000 bis 2016 um 4,4 Prozent höher gelegen, wenn Deutschland zu den fünf OECD-Ländern mit dem besten Regulierungsumfeld zählen würde. Auch die Versicherer hadern mit den überbordenden Berichtspflichten.

Regeln sind wichtig. Doch die Regulierungswut aus Brüssel raubt der heimischen Wirtschaft die Energie

Insgesamt hätte das zusätzliche BIP – bezogen auf 2016 –  um rund 165 Milliarden Dollar höher gelegen. „Die vielen gesetzlichen Auflagen und die hohe Regulierungsdichte kosten Deutschland Wohlstand“, sagt GDV-Chefvolkswirt Klaus Wiener.

Basis für die Berechnung ist der Economic Freedom of the World-Index des Fraser Instituts, in dessen Regulierungs-Ranking Deutschland im Mittelfeld landet. Die ersten fünf Plätze belegen Honkong, Neuseeland, Singapur, die USA und Kanada.

Auch Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass neue regulatorische Initiativen hiesige Unternehmen in jüngster Vergangenheit zusätzlich belastet haben. „Deutschland kommt beim Bürokratieabbau kaum voran“, konstatiert Wiener.

Zwar habe sich die Bundesregierung verpflichtet, neue Auflagen durch Entlastungen in gleicher Höhe zu kompensieren. Die Regel berücksichtige aber nur laufende Kosten, nicht jedoch den Einmalaufwand.

Zuviel behindert das Wachstum

Verbindliche Regeln, etwa zu Eigentums- oder Wettbewerbsfragen, sind einerseits unverzichtbar, damit sich die Wirtschaft entwickeln kann. Ab einem gewissen Regulierungsgrad überschreitet jedoch der Aufwand den Nutzen.

Übermäßige Vorgaben führen bei Unternehmen zu unnötigen Kosten und können zudem Innovationen behindern, weil Firmen weniger Risiken eingehen. Auch bei der öffentlichen Hand fallen mit der Einführung und Überwachung immer neuer Gesetze zusätzliche Ausgaben an, die letztlich von den Steuerzahlern getragen werden müssen.

Die damit verbundenen Wohlfahrtsverluste würden kaum thematisiert, kritisiert Wiener. Über die Zeit führten sie aber zu größeren Einbußen als eine tiefe Rezession. In Zukunft müssten die strukturellen Defizite stärker in den Fokus rücken: „Deutschland ist angesichts des demografischen Wandels gut beraten, das Potenzialwachstum seiner Volkswirtschaft vollständig auszuschöpfen. Eine alternde und schrumpfende Gesellschaft bedeutet mittelfristig niedrigere Wachstumsraten. Eine optimale Regulierung kann diesen Effekt teilweise ausgleichen.“

Regulieren mit Spielräumen

Dabei gehe es weniger um die Streichung von Gesetzen als vielmehr um eine effizientere Aufsicht, betont der GDV-Chefvolkswirt. Besser als haarklein vorgegebene Regeln sei beispielsweise eine Regulierung, die auf Prinzipien basiere und Unternehmen Handlungsspielräume lasse.

Auch sollte der Umfang der Vorgaben gestaffelt sein – abhängig von der Größe der Unternehmen und dem Risiko, das von ihnen ausgeht. „Zwar kennt auch die EU das Proportionalitätsprinzip, es wird aber nur eingeschränkt angewendet“, sagt Wiener.

Versicherer hadern mit überbordenden Berichtspflichten

Dies gelte auch für die Versicherungsaufsicht, etwa bei den Melde- und Dokumentationspflichten. „Sowohl Umfang als auch Taktung der Berichte stehen oft in keinem Verhältnis zum Nutzen“, bemängelt Wiener. Ein namhafter Versicherer habe im ersten Halbjahr 2018 alle 2,5 Wochen eine Meldung an die Aufsichtsbehörden abgeben müssen.

Ausufernde Berichtspflichten schränken die Versicherer laut Studie auch in ihrer Kapitalanlage ein. Ein Beispiel sind Infrastrukturinvestitionen: Statt der pauschalen Eigenmittelunterlegung dürfen die Unternehmen weniger Kapital einsetzen, wenn sie das tatsächliche Risiko der Projekte ermitteln können.

Dies ist aber mit enormen Prüf- und Überwachungspflichten verbunden. „Der damit verbundene Arbeits- und Kostenaufwand schreckt kleinere und mittlere Versicherer ab, so dass sie gar nicht in den Genuss der Kapitalerleichterungen kommen“, so Wiener. So blieben auch staatlich gewünschte Infrastrukturinvestitionen aus.

Assekuranz fordert Änderungen am Aufsichtsregime Solvency II

Der GDV-Chefvolkswirt plädiert daher für Nachbesserungen am Aufsichtsregime Solvency II. Die Gelegenheit dazu bietet sich in diesem Jahr, wenn die Überprüfung des 2016 eingeführten Regelwerks ansteht.

Dabei stehen auch die Berichterstattungs- und Transparenzanforderungen auf der Agenda. „Die Unternehmen wollen weniger Bürokratie, damit sie sich mehr auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können“, formuliert Wiener die Erwartungen der Branche. (dr)

Foto: Shutterstock

 

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