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GRV-Pflicht für Selbständige? „So seriös wie der Betreiber eines Schneeballsystems“

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Foto: Votum/Carsten Herwig
Martin Klein, Votum

Sollten Selbständige künftig in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden? Cash. hat sich bei den Vermittlerverbänden umgehört.

In der letzten Woche kündigten die Kanzlerkandidaten von SPD und Grünen, Olaf Scholz und Robert Habeck, bei einer Debattenveranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) an, dass im Fall ihres Wahlsiegs anders als heute die Selbständigen generell in der gesetzlichen Rente abgesichert werden sollen. In der Zeit, in der die Menschen Beiträge zahlten, helfe so ein Schritt auch für die Liquidität der Rentenversicherung, sagte Scholz. Doch das Hauptmotiv sei, dass heute unzureichend abgesicherten Selbständigen geholfen werden solle.

Habeck sagte, viele sogenannte kleine Selbständige erzielten im Lauf ihrer Erwerbsbiografie nicht genug Einnahmen für eine Altersabsicherung und seien dann im Alter doch auf die Solidargemeinschaft angewiesen. Doch auch die Finanzlage der Rentenkasse wäre dann besser. Die meisten zusätzlichen Lasten, die mit dem Eintritt der zahlreichen Angehörigen der sogenannten Babyboomer-Generation ins Rentenalter auf die Rentenkasse zukämen, könnten mit einer Einbeziehung der Selbständigen in die gesetzliche Rente abgedeckt werden, so Habeck.


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Betroffen von einer solchen Neuregelung wären auch die selbständigen Finanzvermittlerinnen und -vermittler in Deutschland. Entsprechend skeptisch reagieren die Berufsverbände auf die Ankündigung von Scholz und Habeck. So hält BVK-Präsident Michael H. Heinz die Verbesserung der Finanznot der Rentenkasse für ein Scheinargument. „Wir glauben nicht, dass sich durch eine gesetzliche Rentenversicherungspflicht von Selbständigen die Finanznöte der GRV spürbar verbessern würden“, sagt er. „Denn hier handelt es sich im Vergleich zu den rund 40 Millionen Arbeitnehmern, die Beiträge in die GRV einzahlen, um eine relativ kleine Gruppe von rund 2 Millionen Soloselbständigen. Nur bei diesen besteht die Gefahr einer unzureichenden Absicherung fürs Alter, weil sie unter Umständen geringe Einnahmen haben. Ihre kleinen Beiträge würden zudem die Rentenkasse nicht spürbar füllen und in späteren Jahren Finanzabflüsse durch erworbene Rentenanwartschaften bedeuten.“

Ungeachtet dessen widerspricht eine Einbeziehung von Selbständigen in die GRV laut Heinz ihrem unternehmerischen Status. Dennoch sieht er das Problem einer mangelnden Altersvorsorge gerade von Soloselbständigen: „Daher befürworten wir eine Altersvorsorgepflicht für Selbständige mit Opt-Out. Diese sollten jedoch selbst entscheiden können, welchen Vorsorgeweg sie wählen und in welcher Höhe. Wir halten hierbei die Mitgliedschaft in bestehenden berufsständischen Versorgungswerken oder anderweitigen Absicherungen im Rahmen von privaten Lebens-, Renten- und Rürup-Rentenversicherungen für geeignete Wege.“

Für Votum-Chef Martin Klein ist die Lösung, die Scholz und Habeck präsentieren, ein „Taschenspielertrick“: „Anstatt die Finanzprobleme der gesetzlichen Rentenkasse durch strukturelle Reformen zu lösen, werden diese schlicht auf die nächste Generation verschoben. Wer unverblümt einräumt, dass er, ohne ein tragendes Konzept für die Zukunft, die Gruppe der Einzahlenden erweitern möchte, um aktuelle Ansprüche von Rentenempfängern zu bedienen, verhält sich so seriös wie der Betreiber eines Schneeballsystems. Er weiß genau, dass er die späteren Leistungsansprüche derer, die er jetzt zur Einzahlung heranzieht, nicht erfüllen können wird. Wer so agiert, setzt die Akzeptanz der gesetzlichen Rentenversicherung bei denen aufs Spiel, die sie zukünftig finanzieren sollen.“ Ein langfristig veraltetes Umlagesystem werde nicht zukunftsfähig, indem man neue Beitragszahler zwinge, sich ihm anzuschließen.

Opt-Out-Modell statt Zwangslösung

Eine verpflichtende Altersvorsorge für Selbständige könne ein Instrument gegen Altersarmut sein, doch sie dürfe nicht in ein starres Korsett der gesetzlichen Rentenkasse gezwängt werden, betont Klein. „Statt eines Zwangs zur gesetzlichen Rentenversicherung muss es Wahlfreiheit zwischen privater und gesetzlicher Vorsorge geben. Die Einkommenssituation von Selbständigen ist nicht vergleichbar mit der eines Angestellten – variable Einkünfte und unregelmäßige Auftragslagen verlangen flexible Lösungen, die die private Vorsorge bietet.“ Ein modernes Rentensystem müsse den flexiblen Wechsel zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit erleichtern, fordert er. „Selbständige sollten in bestehende Fördermodelle integriert werden, um eigenverantwortlich für ihr Alter vorzusorgen. Die erzwungene Einbindung in die gesetzliche Rentenversicherung ist hingegen eine ideologische Maßnahme, die an der Realität des Arbeitsmarktes vorbeigeht.“

AfW-Vorstand Frank Rottenbacher sieht das ganz ähnlich. Die Argumente für eine Einbeziehung von Selbständigen, die Scholz und Habeck vorgebracht haben, seien zwar nicht völlig von der Hand zu weisen. Für den AfW sprechen aber zahlreiche Gründe gegen eine pauschale Einbeziehung aller Selbständigen in die GRV. „Die Idee einer verbesserten sozialen Absicherung für Selbständige ist grundsätzlich sinnvoll. Eine verpflichtende GRV-Mitgliedschaft ignoriert jedoch bestehende Vorsorgelösungen, schadet der unternehmerischen Freiheit, erhöht den bürokratischen Aufwand und bietet keine nachhaltige Systemverbesserung“, so Rottenbacher. Wie Heinz und Klein plädiert auch er für Wahlfreiheit: Statt einer Zwangslösung in der GRV sollte ein Opt-Out-Modell für eine verpflichtende Altersvorsorge für beginnende Selbständige etabliert werden, ähnlich den Plänen der Ampelkoalition. „Dann können diese selbst entscheiden, wie sie vorsorgen möchten und somit dann eine für ihre jeweilige Situation passende Altersvorsorgelösung finden.“

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