Herr Hermann, Aon ist Industriemakler. Ist der Dschungel des Gewerbeversicherungsmarkts für Kunden so undurchschaubar?
Hermann: Auch ein Dschungel hat Ein- und Ausgänge, Wege und Regeln, die man von außen gar nicht so gut kennt. Derjenige, der sich auskennt, weiß genau, wie er sich darin bewegen muss. Natürlich ist Versicherungsschutz eng mit unserem Rechtssystem verbunden, welches uns die Rahmenbedingungen vorgibt. Das bedeutet, dass Versicherungsschutz keine einfache Materie aber auch keinen Dschungel darstellt. Zudem ist das Risikobewusstsein sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Das ist bei großen multinationalen Konzernen mit eigenem großen Rechts- und Risikomanagement absolut vorhanden. Der klassische Gewerbetreibende, der in der jetztigen Situation versucht, sein Unternehmen über Wasser zu halten, hat beim Risikobewusstsein und der Absicherung einen anderen Abstand und braucht einen Intermediär, der ihm erklärt, wo die Risiken liegen und wie er sie absichern kann.
Leifeld: Wir als Insurtech schauen, was man technisch bereitstellen kann, damit jeder Kunden die Möglichkeit auf einen Versicherungsschutz bekommt. Die Versicherer differenzieren die Gewerbetreibenden grob in 1.500 Kategorien. Nehmen wir einen Bäcker: Das kann der kleine Bäcker um die Ecke sein oder eine Kette mit dutzenden Filialen.
Dieses Beispiel zeigt die bunte Vielfalt und macht es vor allem für Makler und Vermittler so herausfordernd, denn der Markt ist zu über 95 Prozent fest in klassischer Vermittlerhand. Als Technologieunternehmen haben wir immer noch viel zu tun, den komplexen Markt technisch abzubilden.
Neuhalfen: Es ist weniger ein Dschungel denn ein Wald. Der ist vielleicht doch leichter zu durchdringen, aber auch da kann man sich verirren. Ich möchte noch einen Aspekt hinzugeben: Die einen oder anderen mögen sich noch entsinnen, dass wir seit gut 25 Jahren deregulierte Bedingungen haben.
Jeder Versicherer kann eigene Bedingungen, Produkte, Konzepte entwickeln. Das ist eine Dimension, die es für den einzelnen Vermittler schwerer macht, einen Vergleich herzustellen.
Wetzel: Wir sehen große und kleine Unternehmen, viele Branchen und unterschiedlichste Produkte und Lösungen. Diese Vielfalt macht es sehr schnell unübersichtlich. Aber ich erwarte, dass ein Berater das strukturieren kann. Wenn man genau hinschaut, sind die Bedingungen und Risiken kategorisierbar.
Im Gewerbegeschäft ist – anders als im Industriegeschäft – der Dschungel nicht so groß, wie man auf den ersten Blick meint. Insbesondere, wenn man sich intensiv damit beschäftigt. Das Unternehmen von Herrn Leifeld hat begonnen, Produktvergleiche zu entwickeln. Man sieht, dass es möglich ist.
Wie steht es um die Abdeckung der ungefähr acht Millionen Unternehmen in Deutschland. Es ist zu zu hören, dass es eine flächendeckende Unterversorgung gebe. Stimmt das?
Neuhalfen: Die Einschätzung kann ich nicht teilen. Unterversorgung heißt, dass die Nachfrage nicht befriedigt wird. So gut wie jeder Betrieb ist haftpflicht- und auch sachversichert. Das Bild ist seit Jahren stabil. Allerdings ist die Qualität dieser Deckung unterschiedlich und teilweise schlecht.
Der Unternehmer muss entscheiden, ob er ergänzend etwa eine Elektronik- oder eine Bauleistungsversicherung abschließen will, oder nicht. Und an der Stelle kommt der Berater wieder ins Spiel. Er ist der Experte und sollte an der Stelle die Expertise und die richtigen Überzeugungskräfte besitzen, um dem Unternehmer gute Entscheidungen zu ermöglichen. Nochmals, einen Mangel gibt es nicht.
Hermann: Den letzten Teil würde ich unterstreichen. Es ist nicht nur die Frage der Unternehmerentscheidung und des Risikoblicks. Sondern es ist auch die Frage der Qualität und der umfassenden Fähigkeiten des Maklers oder Vermittlers.
Ob er in der Lage ist, dem Unternehmer die Risikobereiche transparent aufzuzeigen, ihm die möglichen Gefahren, die sich daraus für ihn ergeben, zu erklären und ihn dann in der Entscheidung zu unterstützen, ob der Unternehmer das Risiko selber tragen möchte oder besser den Versicherungsschutz einkauft.
Wetzel: Die Risikoeinschätzung bei Betriebs- oder Cyberversicherungen ist häufig nicht so, wie sie aus unserer Sicht sein sollte. Wir beobachten, dass die Unternehmen sich gerade in den Bereichen Betriebsunterbrechung und Cyber stärker absichern könnten.
Denn wenn es am Ende zu einer Betriebsunterbrechung kommt, sind die Einbußen sehr groß. Das haben wir ja bei der Betriebsausfallversicherung in den letzten Monaten intensiv erlebt. Dementsprechend kommt es letztendlich umso mehr auf die Beratung an.
Leifeld: Wenn man auf die Daten schaut, welche Risiken abgesichert werden, beschränkt es sich zu über 80 Prozent auf die eben genannten. Und wenn man liest, welche Risiken abgesichert werden müssten, etwa bei Cyber, dann gibt es durchaus Potenzial.
Das ist nicht nur ein Thema der Sensibilisierung beim Kunden, sondern auch im Vertrieb. Durchschnittlich ist ein Vertrag sieben Jahre alt. Ich glaube, dass die Vermittler die Versorgungswerke ein bisschen besser durchleuchten könnten.
Neuhalfen: Wobei das durchschnittliche Alter einer Versicherung nichts darüber aussagt, ob zwischendurch Beratungsgespräche geführt werden. Wir fragen jedes Jahr bei den umsatzabhängigen Policen auch die Umsätze ab und geben dem Vermittler oder Makler die Möglichkeit, dort das Jahresgespräch zu führen. Ein guter Vermittler sollte das eben auch machen.