Stichwort Cyber. Dort hapert es ganz besonders an der Sensibilität. Sparen die Firmen einfach am falschen Ende?
Neuhalfen: Ich glaube, die Risiken werden schlicht und ergreifend unterschätzt. Jedem ist klar: Wenn es brennt, ist das Gebäude gefährdet. Aber ein Cyber-Schaden ist oftmals immateriell und daher schwer zu greifen. Wenn es darum geht, ob meine Daten sicher und meine Systeme geschützt sind, dann sind wir doch alle mehr oder minder Laien.
In der Wahrnehmung des einzelnen Unternehmers ist tatsächlich Cyber das unbekannte Wesen. Dort, wo die Versicherungsdichte hoch ist und eine öffentliche Wahrnehmung existiert wie bei Überschwemmungen oder Stürmen, nimmt die Nachfrage spätestens dann zu, wenn es Ereignisse gegeben hat. Das wird bei Cyber nicht anders sein. Allerdings haben wir da noch einen ziemlich steinigen Weg zu gehen.
Hermann: Zudem ist die argumentative Sattelfestigkeit der Vermittler nicht immer vorhanden und nicht jedes Maklerunternehmen hat, so wie wir, ein Spezialteam in seiner Organisation. Auch weil es bisher eher ein Randthema war.
Spätestens, wenn die IT des Unternehmers sagt, dass alles sicher ist, ist die Diskussion beendet. Schlussendlich ist es eine Frage des Geldes und weil der Unternehmer aus seiner Wahrnehmung heraus andere Prioritäten setzt. Ob das die richtigen sind, sei dahingestellt.
Wetzel: Bei den kleineren Unternehmen und Handwerksbetrieben stellen wir fest, dass sie sich nicht die Zeit dafür nehmen. Es ist zwar auch ein Geldthema. Aber speziell im Cyber-Bereich oder der Betriebsunterbrechung ist das Risikobewusstsein oft nicht vorhanden, weil die Erfahrungen fehlen.
Wurden negative Erlebnisse gemacht, spüren wir durchaus, dass die Sensibilität zunimmt – wie aktuell in der Pandemiesituation. Speziell im gewerblichen Bereich merken wir das deutlich: Die Fälle der durch den Lockdown Geschädigten, insbesondere in der Gastronomie und im Hotelgewerbe sind durch die Presse gegangen – und plötzlich ist es greifbar.
Es gibt viele Gerichtsurteile zur Betriebsschließungsversicherung (BSV). Ein wunder Punkt scheinen die allgemeinen Geschäftsbedingungen zu sein. Michael Pickel, Vorstandsvorsitzender der Hannover Re, sagte, dass es weder Erst- noch Rückversicherern vor Covid-19 aufgefallen sei, dass viele Bedingungswerke nicht ganz eindeutig formuliert seien. Hat die Branche geschlafen?
Neuhalfen: Die Beschreibung ist richtig. Die Beschreibung ist richtig. Allerdings hat die Branche nicht geschlafen. Die BSV wurde entwickelt, um Hotels oder Restaurants, etwa bei einem konkreten Salmonellenbefall, abzusichern und nicht für einen flächendeckenden präventiven Lockdown von Geschäften, Hotels, Gastronomiebetrieben.
Die Bedingungen sind zumeist so geschrieben, dass sie darauf abstellen, dass es sich um einen Erreger handelt, der im Infektionsschutzgesetz aufgeführt ist und dass es eine behördlich veranlasste, konkrete Betriebsschließung gibt. Das Covid-19-Virus hingegen wurde erst durch Verordnung am 30. Januar 2020 den im Infektionsschutzgesetz genannten Krankheitserregern gleichgestellt.
Hermann: Es ist eine Situation, die wir uns alle nicht haben vorstellen können. Und ich meine, HDI zeigt ja, dass Versichern auch Lernen heißt. Dass man eine Balance findet zwischen der Risikotragung des Kunden und der Risikotragung der Branche. Insofern gehe ich davon aus, dass wir dauerhaft geeignete Lösungen in der Breite anbieten können.
Leifeld: Die diesjährigen Entwicklungen haben zu einem neuen Verständnis in der Assekuranz geführt. Danach ist eine Allgemeinverfügung im Falle einer Pandemie nicht versicherbar. Denn wenn ein Risiko alle betrifft, widerspricht das dem Versicherungsgedanken.
Gleichzeitig lässt sich an Gerichtsurteilen festmanchen, dass in manchen Tarifwerken eine Allgemeinverfügung abgedeckt war. Diese Erkenntnis ist im Nachhinein natürlich ungünstig. Die Situation regulieren die Versicherer nun auch auf ganz unterschiedliche Weise. Für die Branche sehe ich hier die Gefahr, dass das Vertrauen in die Leistungsversprechen der Versicherung darunter leidet.
Wetzel: HDI ist ein international agierender Konzern und unser Purpose lautet: „Together we take care of the unexpected and foster entrepeneurship“ – „Gemeinsam kümmern wir uns um das Unerwartete und fördern Unternehmertum“. Unternehmerisch zu denken und zu handeln ist ein hohes kulturelles Gut in unserem Konzern.
Wir helfen durch unsere Leistungen auch unseren Kunden und Partnern, unternehmerisch tätig zu sein. Dafür stehen wir am Markt. Beim Thema Corona und Betriebsschließungsversicherung mussten wir schnell entscheiden, wie wir uns positionieren.
Zuerst stellte sich die Frage, ob in unseren vormaligen Bedingungen zur BSV eine Allgemeinverfügung, wie wir sie im März 2020 erlebt haben, mitversichert war. Hierzu waren die Bedingungen nicht eindeutig formuliert. Unsere rechtliche Einschätzung war allerdings, dass Urteile zugunsten der Versicherungsnehmer ausfallen werden – was sich ja teilweise schon bewahrheitet hat.
Das Problem bei Allgemeinverfügungen ist, dass sie sich flächendeckend nicht ausschließlich privatwirtschaftlich versichern lassen. Solche Risiken können die Versicherer nicht tragen, betont ja auch die Deutsche Aktuarvereinigung. Gleichwohl wollen und müssen wir für unsere Kunden da sein, denn das Risiko ist immer noch vorhanden. Wir haben es letztendlich darauf ausgerichtet, wofür die Betriebsschließungsversicherung im Kern gedacht ist.
Haben wir aktuell beispielsweise einen versicherten Betrieb, in dem ein Corona-Fall aufgetreten ist und die Behörde ordnet deswegen die Schließung per Einzelverfügung an, leisten wir auch nach den neuen Bedingungen. Wir hatten bisher 2.100 Schadenfälle. Bereits betroffenen versicherten Kunden haben wir nach der Zahlung die Umstellung der Verträge auf die neuen Bedingungen angeboten.
Die Zustimmungsquote liegt hier bei 90 Prozent. Wir sind davon überzeugt, dass dieses Vorgehen ein guter Weg ist. Denn das Firmen/Freie-Berufe-Geschäft ist Teil der DNA von HDI. Die wollen wir nicht antasten.