Jetzt hatte Corona auch ganz konkrete Folgen für den Gewerbevertrieb. Wie groß waren die Herausforderungen?
Neuhalfen: Ab April ist die persönliche Kontaktaufnahme weitgehend eingestellt worden. Und sehr schnell mussten digitale Wege gefunden werden, via Telefon, via Videochat, damit der Vermittler wiederum an den Endkunden herantreten konnte. Das galt im Privatkunden- genauso wie im Gewerbegeschäft. Und das haben wir gut hinbekommen.
Der Bevölkerung und auch den Unternehmern ist bewusst geworden, was Gesundheit und Risikoschutz bedeuten. Da erinnert man sich daran, auch einmal in den Versicherungsordner zu blicken. Und wenn der zehn Jahre alt ist, kann das sogar zu zusätzlichem Neugeschäft führen. Diejenigen die sich digital gut auf die neue Situation eingestellt haben, können selbstbewusst in die Zukunft blicken.
Allerdings müssen wir abwarten, wie sich die volkswirtschaftlichen Folgen äußern. Denn das, was dieses Jahr eingetreten ist, wird sich erst nachgelagert auswirken.
Wetzel: Wir waren unglaublich schnell arbeitsfähig und haben in der Spitze eine Homeofficequote von 95 Prozent gehabt – ohne Auswirkungen auf die Performance, Betriebsstabilität oder Erreichbarkeit. Das macht mich sehr stolz. Herr Neuhalfen sprach gerade von der Suche nach neuen Wegen.
Im Privatkundengeschäft war es noch wichtiger, weil die Kunden sich zurückgenommen haben und der Kontakt zu den Vermittlern abgebrochen ist. Werden keine Autos mehr zugelassen, bedeutet das, dass die Kfz-Versicherung kein Thema mehr ist. Insofern mussten sich die Vermittler sehr stark umstellen. Aus meiner Sicht hat das gut funktioniert. Dagegen war der Kontakt im Gewerbebereich von Beginn an intensiv.
Viele Gewerbekunden waren besorgt und sind von sich aus auf ihren Vermittler oder Makler zugegangen. Im Moment läuft der ganze Bereich erstaunlich positiv. Gleichwohl erwarten wir Corona-Effekte: Wir werden Umsätze wegbrechen sehen. Wir werden Insolvenzen erleben. Der Privatkundenbereich ist inzwischen relativ stabil.
Dort hat das Risikobewusstsein zugenommen. Und wir registrieren eine Zunahme digitaler und telefonischer Beratungsgespräche. Kunden sind aufgrund der Pandemiesituation eher zurückhaltend, was persönliche Termine angeht. Corona hat die Umgangsformen auch hier verändert.
Leifeld: Wir haben zwei Beobachtungen gemacht. Zum einen ist die Nachfrage der Versicherungsmakler nach technischen Lösungen gestiegen. Ich glaube, dass viele ihre digitale Readyness auf den Prüfstand gestellt und an die neue Arbeitsrealität angepasst haben.
Da zeichnen sich ganz viele Diskussionen mit Partnern für eine Zusammenarbeit ab. Das andere ist, dass wir selbst aber auch unsere eigenen technischen Lösungen auf den Prüfstand gestellt und erweitert haben. Letztlich sind wir ein Beratungstool, das nicht nur für den Vergleich geeignet ist, sondern auch für die Kundenberatung zur Angebotsfindung eingesetzt werden kann.
Hermann: Ich würde gerne etwas ergänzen. Die Erreichbarkeit einiger Maklerunternehmen war gerade zu Beginn der Pandemie bei weitem nicht so gut wie die der Carrier. Wir haben dadurch gerade in den ersten Wochen des Lockdowns erhebliches Neugeschäft gemacht, weil Unternehmen ihre Makler, ihre Vermittler nicht erreicht haben.
Gleichwohl sind Neugeschäft und Ersttermine auch in Zeiten von Social Distancing per Webex sehr gut möglich. Und das wird von Kundenseite akzeptiert, teilweise sogar gewünscht. Wir haben deshalb bis dato ein sensationelles Jahr. Derzeit mache ich mir aber Sorgen, weil wir im Gewerbeversicherungsmarkt eine Verknappung der Kapazitäten und eine sehr intensive Preisdiskussion sehen.
In einer Situation, in der viele Branchen finanzielle Probleme haben, kommt es zu einer immer dezidierteren Preispolitik oder Preisdiversifizierung. Underwriting-technisch mag das Vorgehen richtig sein: Wer ein hohes Risiko hat, soll auch einen hohen Preis dafür bezahlen, und wer ein niedriges Risiko hat, soll einen niedrigeren Preis dafür bezahlen.
Wir dürfen bei all dem den Grundgedanken von Versicherung, den Ausgleich in der Zeit und in der Masse, nicht ganz vergessen. Wenn wir an einen Punkt kommen, an dem derjenige, der ein hohes Risiko hat, das gar nicht mehr versichern kann, weil er es nicht mehr bezahlbar ist und der, der ein geringes Risiko hat, sich nicht mehr versichert, weil er sagt, ich habe kein Risiko mehr, dann werden wir den Gedanken ad absurdum führen.