Wir hören immer wieder, dass sich die Menschen seit Beginn der Pandemie deutlich stärker auf die eigene Gesundheit rückbesinnen. Wie hat sich vor dem Hintergrund der Absatz von Produkten zur Arbeitskraftabsicherung seitdem entwickelt?
Hammer: Die Pandemie hat in der Tat vielen Verbrauchern Gelegenheit gegeben, sich mit dem Thema Arbeitskraftabsicherung auseinanderzusetzen. Wir hatten seit Beginn der Pandemie bis in den Herbst 2021 hinein etwa 60.000 neue BU-Anträge. Bemerkenswert, dass wir im ersten Halbjahr 2021 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020 noch einmal draufsatteln konnten. Das zeigt, dass der Bedarf größer denn je ist. Und wir versuchen mit verschiedenen regelmäßigen Updates die Modelle immer zielgruppengerechter zu gestalten.
Lerch: Wir bieten erst seit dem Jahr 2014 BU-Versicherungen an. Wir wachsen hier stark. Den größten Bestand und die längste Historie haben wir in Deutschland aber mit unserem Dread-
Disease-Produkt. Dort hatten wir genau in der Pandemie ein Produktupdate. Und natürlich haben wir uns gefragt, wie es ankommt. Aber das Produkt ist eine Erfolgsgeschichte, wir haben etwa 50 Prozent mehr Anträge als im Vorjahr. Das ist schon sehr bemerkenswert.
Roß: Es gibt zwei Aspekte in der Pandemie. Das eine ist der Gesundheitsschutz. Der andere, wie schaffe ich es, gesund zu bleiben. Beides hat dazu geführt, dass auch bei uns die Zahlen in der privaten wie der betrieblichen Vorsorge nach oben gehen. Wir haben festgestellt, dass sich vor allem Unternehmer Gedanken gemacht haben – Stichwort „War for Talents“ – wie sie ihre Mitarbeiter mit kollektiven Team-Lösungen beim Thema Gesunderhaltung unterstützen und damit das i-Tüpfelchen aufsetzen können.
Nach Angaben der Deutschen Aktuarvereinigung gibt es gerade einmal 17 Millionen BU-Verträge. Haben Sie eine Erklärung für die Zurückhaltung der Berufstätigen?
Roß: Beim Thema spielen aus meiner Sicht grundsätzlich vier falsche Grundannahmen eine Rolle. Einerseits verlassen sich viele noch immer auf das staatliche Versorgungssystem. Andererseits erzeugt die Vorstellung, dass man irgendwann aufgrund einer Erkrankung nicht mehr arbeiten kann, auch Furcht. Das ist ein Thema, mit dem man sich nicht gerne beschäftigt. An dritter Stelle kommt schlichtweg das Budget. Gerade hier ist aber Priorisierung wichtig: Wofür gebe ich mein Geld aus? Sollte ich vielleicht doch den ein oder anderen Euro für meine Gesunderhaltung oder Arbeitskraftabsicherung zurücklegen? Und das vierte ist, dass man oft glaubt, nicht mehr versicherbar zu sein. Arbeitskraftabsicherung (AKS) wird vielfach mit der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) gleichgesetzt, dem höchstmöglichen Schutz. Das alles führt dazu, dass wir auf der Beraterebene massiv gefordert sind.
Lerch: Jeder Vierte wird im Laufe seines Berufslebens statistisch gesehen mindestens einmal berufsunfähig. Demnach müsste eigentlich viel mehr Nachfrage bestehen. Dann kommen die Punkte, die Herr Roß eben genannt hatte. Das Budget spielt eine Rolle. Es mangelt an der Einsicht. Leider gibt es genug, die das Risiko für eine Berufsunfähigkeit für gering halten. Gerade Bürotätige meinen, sie seien sicher. Doch das Risiko ist im Büro ebenso vorhanden. Stress, Burnout, Bewegungsmangel – all das kann zur BU führen. Die Gefahr wird tendenziell unterschätzt.
Ludwig: Eigentlich kaum nachzuvollziehen. Zumal die Tarife für Bürotätige tendenziell günstiger kalkuliert sind und sich die Berufsgruppen vielmals günstiger versichern lassen. Für jemanden, der eher erwartet, dass er berufsunfähig wird, etwa ein Dachdecker, für den ist eine BU-Versicherung in der Regel preislich nicht die erste Wahl.
Hammer: Viele der 17 Millionen bestehenden Verträge gehören eigentlich ja auch auf den Prüfstand. Denn die durchschnittlichen BU-Renten sind oft zu niedrig. Wir stellen zudem fest, dass viele beim Thema Berufsunfähigkeit ein völlig falsches Bild haben. Die Menschen denken, morgen passiert etwas und dann kann ich 30 Jahre nicht mehr arbeiten gehen. Solche Fälle haben wir im Bestand. Aber die meisten scheiden für ein, zwei, drei oder vier Jahre wegen Krebs, Burnout, einer depressiven Phase aus dem Erwerbsleben aus. Genau die wollen wir mit unseren Arbeitskraftabsicherungsmodellen auffangen. Was wir sehen ist, dass man hierfür eine vertrauensvolle Beraterin oder einen Berater benötigt. Die im persönlichen Gespräch aufklären, wo die Gefahren liegen und welches Modell das Passendste ist.
Es klang bereits an: Der Preis ist für nicht wenige das Kriterium. Sind Einsteigertarife für Schüler oder Studenten, eine Möglichkeit, die Berufstätigen frühzeitig zu einer bezahlbaren Absicherung zu bewegen?
Hammer: Natürlich haben wir auch diese Gruppe im Fokus. Die Menschen sind jung, daher meist gesund und oft noch nicht in handwerklichen oder kreativen Berufen tätig, die eine BU-Absicherung teuer oder unmöglich machen würden. Zudem fehlen hier noch oft die spannenden, risikoreichen Hobbys, die einem Abschluss ebenfalls im Wege stehen könnten. All das spricht natürlich für einen möglichst frühen Start der Absicherung. Ich würde gerne noch die genannte Benchmark von den berüchtigten 50 Euro aufgreifen. Auch hierfür ist ein persönliches Gespräch wichtig. Denn man muss darüber sprechen, wofür der oder die Betreffende sonst noch Geld ausgibt. Wenn man beispielsweise zusammenrechnet, wieviel für das Smartphone und das eine, zweite oder sogar dritte Streaming-Abo ausgegeben wird, bekommen 50 Euro einen ganz anderen Stellenwert. Ich glaube, dass Stufentarife, bei denen man bewusst niedriger einsteigen kann, um das Budget zu entlasten, hier helfen können.
Lerch: Jeder sollte so früh wie möglich beginnen. Da sind die Tarife – auch dank der unterschiedlichen Ansätze – sehr flexibel. Nachversicherungs- oder Ausbaugarantien sind wichtige Punkte. Wir haben in der BU einen garantierten Beitrag. Damit gibt es einen Planungshorizont: Man steigt günstig ein und weiß, dass der Preis für das gesamte Erwerbsleben Bestand hat. Zudem kann man mit Nachversicherungsgarantien den garantierten Beitrag erhöhen. Hier greifen aber die Rechnungsgrundlagen, die zuvor eingekauft wurden. Zur Sensibilisierung gehört aber auch die Beratung. Da gibt es Vorbehalte, auch gegenüber Versicherern. Und es fehlt das versicherungsbezogene Wissen. Ein unangenehmes Thema trifft auf Menschen, die sich nicht auskennen. Da ist ganz klar der Markt gefordert, aufzuklären.