Noch immer mangelt es an hochwertigen konzeptionellen Beratungsansätzen für die Zielgruppe 50plus, die meisten Vermittler sind auf Ansparprozesse und Kapitalaufbau fokussiert, nicht auf das Entsparen. Dabei gewinnt die Auszahlungsphase immer mehr an Bedeutung.
All zu häufig wird die Ruhestandsplanung noch als verlängerte Altersvorsorge missverstanden. Dabei gibt es grundsätzliche Unterschiede. “Die Altersvorsorge ist ein Sparprozess, der bis zum Ruhestand dauert, während die Ruhestandsplanung ein Beratungs- bzw. Planungsprozess ist, der kurz vor dem oder im Ruhestand beginnt und deshalb ganz anderen Prämissen unterliegt. Man plant dann nicht mehr bis zum Ruhestand, sondern sozusagen bis zum Todesfall”, erklärt Olaf Neuenfeldt, Vorstand der Initiative Ruhestandsplanung.
Die Zielgruppe sei eine völlig andere, betont er: „Ein 25-Jähriger hat andere Bedürfnisse als ein 60-Jähriger und befindet sich in einer anderen Lebenssituation. In der Ruhestandsplanung ist die Lebenserwartung als Chance und zugleich als Risiko zu betrachten. Testament, Verfügungen, Vollmachten sind wesentliche Beratungsthemen.” Die Unterschiede zur Altersvorsorge seien groß.
“Nicht ruhestandsgerecht investiert”
“Die herkömmliche Altersvorsorgeberatung richtet sich meist an Kunden im Alter von 25 bis etwa 50 Jahren und zielt in erster Linie auf den Vermögensaufbau. Die Ruhestandsplanung schafft als neuer Beratungsansatz einen Perspektivwechsel, indem die konkrete Nutzung des für den Ruhestand angesparten Vermögens in den Mittelpunkt gestellt wird. Es geht um die Planung des Entsparens“, erläutert Professor Dr. Rolf Tilmes, Vorstandsvorsitzender des Financial Planning Standards Board Deutschland (FPSB). Daraus ergeben sich aus seiner Sicht besondere Chancen in der Beratung der Zielgruppe 50plus.
“Bisher wird das Thema Ruhestandsplanung nur von einer sehr kleinen Anzahl spezialisierter Finanzberater systematisch umgesetzt. Gleichzeitig zeigt die aktuelle Struktur des Geldvermögens, dass insbesondere bei vermögenden Kunden in der Zielgruppe 50plus ein akuter Handlungsbedarf besteht, denn das für den Ruhestand angesparte Vermögen liegt zu großen Teilen in niedrigverzinsten Anlagen und ist nicht ruhestandsgerecht investiert.” Die Aufgabe des Ruhestandsplaners besteht also darin, lebenslange finanzielle Liquidität für den Kunden sicherzustellen.
Doch noch immer mangelt es in der Finanzdienstleistungsbranche an hochwertigen konzeptionellen Beratungsansätzen für die Zielgruppe 50plus, die meisten Vermittler sind auf Ansparprozesse und Kapitalaufbau fokussiert, nicht auf das Entsparen. Dabei gewinnt die Auszahlungsphase angesichts der längeren Lebenserwartung und der damit verbundenen längeren Rentenbezugsdauer immer mehr an Bedeutung.
Laut Tilmes müssen sich viele Berater umstellen und umdenken. “Nicht Produktvermittlung steht im Vordergrund, sondern die individuelle Beratung zu Kundenproblemen.” Es sei eine ganzheitliche Betrachtung notwendig. “Welche Vorsorgebausteine bestehen, wie rentiert sich das Vermögen, wie ist mit Immobilien umzugehen, was passiert in Risikosituationen, was im Pflegefall, wie ist die Absicherung des länger lebenden Partners geregelt, wird ein Testament benötigt, wie lange sollte das Vermögen reichen?” Fragen wie diese seien aber nur Teilaspekte, im Ergebnis müsse das Thema finanzplanerisch mit den Kunden betrachtet werden.
Binsen helfen nicht weiter
Entsprechend wünschen auch die Kunden laut Tilmes eine ganzheitliche Beratung und nicht reflexartige Antworten wie etwa: “Dann müssen Sie eine Rentenversicherung abschließen”. “Das heißt nicht, dass eine Versicherung nicht Teil einer Lösung ist – aber sie ist oft eben nur ein Teil der Lösung neben anderen Elementen. Diese ganzheitliche Sichtweise erfordert einen strukturieren Beratungsansatz und eine entsprechende Beraterqualifikation”, so Tilmes. Doch gerade aufgrund der Komplexität dieser Aufgabe trauen sich viele Vermittler nicht an das Thema Ruhestandsplanung heran. Und auch die vielen Verkaufstrainer mit ihren häufig eher schlichtgemütigen Binsen können auf diesem sehr speziellen Gebiet nicht weiterhelfen.
“Die Ruhestandsplanung ist nicht einfach mit Produktverkauf lösbar. Viele Finanzvorsorgeberater sind es nicht mehr gewohnt, konzeptionell zu beraten”, beklagt auch Neuenfeldt. “Die Kundensituation 50plus ist komplex, die Beratung vielschichtig, der Kunde sehr erfahren.” Erforderlich seien das Verstehen der Zielgruppe und konzeptionelle Beratung. Tilmes ergänzt, der Berater müsse sich an die sich wandelnden Lebenswirklichkeit seiner Kunden anpassen und entsprechende Beratungsangebote, aber auch Lösungskonzepte und Produkte anbieten können. “Vorsorge, Anlage, Vermögensaufbau und -optimierung und Finanzierung wachsen zusammen. Es geht eben nicht nur um das eine Produkt, das man immer anbietet, sondern um einen ganzheitlichen Ansatz.”