Jede Krise bringt Chancen mit sich, auch bei Immobilien. Viele Investoren lauern auf Notverkäufe, doch bislang warten sie vergeblich. Das könnte sich bald ändern.
Gastkommentar: Norbert Schley, SEB Asset Management
Der heftige Preisverfall an den Immobilienmärkten hat einige Marktteilnehmer schwerer getroffen als andere. Hohe Fremdfinanzierungsquoten stiegen durch sinkende Immobilienpreise weiter. Abnehmende Nachfrage, Liquiditätsnöte,
wacklige Geldgeber und Projektentwickler trugen dazu bei, dass einige Akteure im Notverkauf, dem oft bemühten „Ende mit Schrecken“, ihren
letzten Lösungsweg sahen. Diese „Distressed Sellers“ schaffen für eigenkapitalstarke Marktteilnehmer wiederum „Distressed Opportunities“, Möglichkeiten günstig an werthaltige Immobilien zu
gelangen. So weit die Theorie.
Lücke zwischen Theorie und Praxis
Auf derartige Kaufgelegenheiten haben seit Ausbruch der Immobilienkrise viele
potenzielle Investoren gewartet, sind bislang jedoch weitgehend enttäuscht
worden. Die große Welle an „Distressed Opportunities“ blieb schlicht aus. Tatsächlich sind die Immobilienpreise an den meisten Märkten um 25 bis 35 Prozent gefallen.
Dadurch wurden vielfach die in den Kreditverträgen festgelegten Loan-to-Value-Grenzen überschritten, was wiederum die Banken
berechtigt Kreditlinien zu kündigen. Viele Finanzierer verlängerten diese jedoch
schlicht gemäß dem Motto „extend and pretend“ – in der Hoffnung, dass sich die Immobilienpreise in nicht allzu ferner Zukunft wieder erholen.
Im Vorfeld vieler Notverkäufe wurden auch Asset Manager eingeschaltet, um Immobilienwerte für Finanzierer, die ungewollt zu Immobilienbesitzern wurden, für diese Übergangszeit zu managen. Viele Deals gingen dadurch am Markt vorbei.
REITs, die börsennotierten Immobilienvehikel, profitierten vom mittlerweile verbesserten Kapitalmarktumfeld und haben laut Jones Lang LaSalle in der ersten Jahreshälfte frisches Kapital in Höhe von rund 30 Milliarden US-Dollar eingesammelt, mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr.
Zweite Welle der Notverkäufe rollt erst an
Die Welle der „Distressed Opportunities“ resultierend aus dem Verfall der Immobilienpreise als Folge und Bestandteil der Finanzkrise beschäftigt noch immer Banken, Immobilienfinanzierer und Projektentwickler, die nun Assets auf der Bilanz führen, die sie eigentlich verkaufen wollen. Während diese erste Welle aber längst noch nicht abgeschlossen ist, baut sich bereits eine weitere auf.
Diese zweite Welle geht einher mit der Konjunkturentwicklung und rührt an der fundamentalen Basis der gewerblichen Immobilienmärkte: Denn negatives Wirtschaftswachstum sorgt auch dafür, dass Mieten unter Druck geraten und Mietausfallraten infolge von Firmenpleiten ansteigen.
Gerade die opportunistischen Käufer aus der Hochphase des Immobilienbooms kommen in Handlungsnot. Die einst rosigen Vorzeichen eines ungebremsten Aufschwungs der Weltwirtschaft haben sich nicht erfüllt. Damit verbunden waren aber die eingeplanten Mietsteigerungen, mit denen auch Kredite getilgt werden sollten.
Diese Rechnung geht vielfach nicht mehr auf. Gleiches gilt für Projektentwicklungen, die im Boom geplant wurden und nun in den Markt kommen und nicht über einen ausreichenden Vorvermietungsstand verfügen. Der Preisverfall am Immobilienmarkt war in den letzten Monaten augenscheinlicher und entscheidender für „Distressed Opportunities“. Doch die
dauerhafte Belastung eines Konjunkturtals werden viele Marktakteure nicht ohne Verkäufe durchstehen können.
Die Arbeitsmärkte sind in vielen Ländern noch unter Druck. Die Mietmärkte laufen dem Konjunkturzyklus hinterher. Dies bedeutet vor allem: Der Druck auf „Distressed Sellers“ nimmt nicht ab. Wir werden daher auch in Zukunft Verkäufe sehen, selbst wenn nicht in den teils erwarteten Größenordnungen. Ein langer Atem ist gefragt, den wiederum viele opportunistische Käufer nicht haben.
Immobilienmarkt generell günstig
Investoren sollten sich aber nicht zu sehr auf das Thema „Distressed Opportunities“ fokussieren, und nicht von ihren Grundsätzen der Immobilienanlage abweichen. Der Immobilienzyklus ist gerade an einem attraktiven Einstiegszeitpunkt angelangt. Nach vorne geschaut ist jetzt der Wendepunkt. Alternativen zur Immobilienanlage sind bei niedrig rentierenden Zinsmärkten und weiterhin volatilen Aktienmärkten gerade für konservative Investoren wenig verlockend.
Die Nettomittelzuflüsse der offenen Immobilienfonds in den vergangenen Monaten bestätigen diesen Trend. Vielversprechend sind weiterhin Core beziehungsweise Core-Plus, beste Objekte in bester Lage. Gerade in einigen europäischen Standorten oder in Asien werden sich hier Chancen ergeben, die wir für Zukäufe unserer Fonds nutzen wollen.
Norbert Schley ist Global Real Estate Strategist bei SEB Asset Management
Foto: SEB AM